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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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j)ömpejanische Spaziergänge.

Menge in den alten Städten. In Pompeji finden wir drei verschiedne Gat¬
tungen von Inschriften, zuerst die in Marmor oder Stein eingehauenen. Wir
erblicken sie bald am Giebel der Tempel, wo sie uns mitteilen, wer sie erbaut
hat, bald auf der Basis der Bildsäulen, wo sie uns die Namen der dargestellten
Personen überliefern und die Ämter aufzählen, die jene verleideten. Diese In¬
schriften waren zu ebenso langem Leben bestimmt wie das Denkmal, das sie
trug, und der Zufall, der sie uns erhielt, hat damit keine Indiskretion begangen.
Dann kommen die mit einem Pinsel rot oder schwarz auf die Mauern der
Häuser oder der Säulenhallen gemalten Inschriften. Diese sind für uns weit
interessanter als die erstgenannten; sie vertraten die Stelle unsrer heutigen An¬
schlagszettel. Von den Wahlempfehlungen dieser Art und von den Inschriften,
durch welche Tag und Programm der Schauspiele bekannt gemacht wurde, war
schon die Rede; auf dem gleichen Wege teilte auch der Hausbesitzer dem Publikum
mit, daß er zum 1. Juli oder zum 13. August eine Wohnung zu vermieten
habe, oder lud der Gastwirt die Reisende" ein, bei ihm zu logiren; er ver¬
spricht gute Küche und "alle Bequemlichkeiten" (sinnig, eoinmoäa, vraestMwr).
Ebenso werden gestohlene oder verlorene Gegenstände reklamirt; dem ehrlichen
Finder oder Wiederbringer wird eine anständige Belohnung in Aussicht gestellt:
"ein Krug Wein ist aus dem Laden verschwunden; wer ihn wiederbringt, bekommt
65 Sesterzien (10 M. 40 Pf.); bringt er den Dieb mit, so erhält er doppelt
soviel." Die dritte Gattung der Inschriften endlich umfaßt alle diejenigen, die
einfach mit Kohle hingeschrieben oder mit der Spitze eines Nagels oder Messers
in die Wand eingeritzt sind. Die Urheber dieser Art von Straßenliteratur sind
bald Liebende, die sich im Vorübergehen das Vergnügen machen, ihre Freun¬
dinnen zu begrüßen, bald ein Spaßvogel, der uns die schätzbare Mitteilung
macht, daß er verschleimt sei, oder ein andrer, der diejenigen, welche unartig
genug sind, ihn nicht zu Tische einzuladen, ohne Umstände "Barbaren" schimpft,
bald boshafte Denunzianten, die es an die große Glocke hängen, daß Epaphra
ein wüstes Leben führt, daß Suavis, die Kneipenwirtin, ewig Durst hat und daß
Oppius ein Dieb ist. Diese xigMti, wie man sie in Italien nennt, waren nicht
bestimmt, auf uns zu kommen; die Zerstörung von Pompeji hat sie uns er¬
halten, und das ist ein großes Glück. Wie viel Belehrung solche Gassenjungen¬
streiche, welche die Mauern mit allen möglichen mehr oder weniger dankens¬
werten Mitteilungen bedecken, der Nachwelt liefern können, wenn sie, von der
Polizei geduldet, ein so langes Dasein fristen, ist in der That kaum zu glauben.
Von dem intimen Leben der Pompejaner verraten sie uns ohne Frage ungleich
mehr als irgendwelche andern Urkunden.

In den ZraWi von Pompeji findet sich so ziemlich alles. Auch von ihnen
läßt sich sagen: nichts Menschliches ist ihnen fremd. Was uns aber auch hier
am häusigsten begegnet, ist die Liebe. Nicht umsonst war Venus die hochver¬
ehrte Schutzpatronin der Stadt, welche die frommen Einwohner in allen Lebens-


j)ömpejanische Spaziergänge.

Menge in den alten Städten. In Pompeji finden wir drei verschiedne Gat¬
tungen von Inschriften, zuerst die in Marmor oder Stein eingehauenen. Wir
erblicken sie bald am Giebel der Tempel, wo sie uns mitteilen, wer sie erbaut
hat, bald auf der Basis der Bildsäulen, wo sie uns die Namen der dargestellten
Personen überliefern und die Ämter aufzählen, die jene verleideten. Diese In¬
schriften waren zu ebenso langem Leben bestimmt wie das Denkmal, das sie
trug, und der Zufall, der sie uns erhielt, hat damit keine Indiskretion begangen.
Dann kommen die mit einem Pinsel rot oder schwarz auf die Mauern der
Häuser oder der Säulenhallen gemalten Inschriften. Diese sind für uns weit
interessanter als die erstgenannten; sie vertraten die Stelle unsrer heutigen An¬
schlagszettel. Von den Wahlempfehlungen dieser Art und von den Inschriften,
durch welche Tag und Programm der Schauspiele bekannt gemacht wurde, war
schon die Rede; auf dem gleichen Wege teilte auch der Hausbesitzer dem Publikum
mit, daß er zum 1. Juli oder zum 13. August eine Wohnung zu vermieten
habe, oder lud der Gastwirt die Reisende» ein, bei ihm zu logiren; er ver¬
spricht gute Küche und „alle Bequemlichkeiten" (sinnig, eoinmoäa, vraestMwr).
Ebenso werden gestohlene oder verlorene Gegenstände reklamirt; dem ehrlichen
Finder oder Wiederbringer wird eine anständige Belohnung in Aussicht gestellt:
„ein Krug Wein ist aus dem Laden verschwunden; wer ihn wiederbringt, bekommt
65 Sesterzien (10 M. 40 Pf.); bringt er den Dieb mit, so erhält er doppelt
soviel." Die dritte Gattung der Inschriften endlich umfaßt alle diejenigen, die
einfach mit Kohle hingeschrieben oder mit der Spitze eines Nagels oder Messers
in die Wand eingeritzt sind. Die Urheber dieser Art von Straßenliteratur sind
bald Liebende, die sich im Vorübergehen das Vergnügen machen, ihre Freun¬
dinnen zu begrüßen, bald ein Spaßvogel, der uns die schätzbare Mitteilung
macht, daß er verschleimt sei, oder ein andrer, der diejenigen, welche unartig
genug sind, ihn nicht zu Tische einzuladen, ohne Umstände „Barbaren" schimpft,
bald boshafte Denunzianten, die es an die große Glocke hängen, daß Epaphra
ein wüstes Leben führt, daß Suavis, die Kneipenwirtin, ewig Durst hat und daß
Oppius ein Dieb ist. Diese xigMti, wie man sie in Italien nennt, waren nicht
bestimmt, auf uns zu kommen; die Zerstörung von Pompeji hat sie uns er¬
halten, und das ist ein großes Glück. Wie viel Belehrung solche Gassenjungen¬
streiche, welche die Mauern mit allen möglichen mehr oder weniger dankens¬
werten Mitteilungen bedecken, der Nachwelt liefern können, wenn sie, von der
Polizei geduldet, ein so langes Dasein fristen, ist in der That kaum zu glauben.
Von dem intimen Leben der Pompejaner verraten sie uns ohne Frage ungleich
mehr als irgendwelche andern Urkunden.

In den ZraWi von Pompeji findet sich so ziemlich alles. Auch von ihnen
läßt sich sagen: nichts Menschliches ist ihnen fremd. Was uns aber auch hier
am häusigsten begegnet, ist die Liebe. Nicht umsonst war Venus die hochver¬
ehrte Schutzpatronin der Stadt, welche die frommen Einwohner in allen Lebens-


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[0610] j)ömpejanische Spaziergänge. Menge in den alten Städten. In Pompeji finden wir drei verschiedne Gat¬ tungen von Inschriften, zuerst die in Marmor oder Stein eingehauenen. Wir erblicken sie bald am Giebel der Tempel, wo sie uns mitteilen, wer sie erbaut hat, bald auf der Basis der Bildsäulen, wo sie uns die Namen der dargestellten Personen überliefern und die Ämter aufzählen, die jene verleideten. Diese In¬ schriften waren zu ebenso langem Leben bestimmt wie das Denkmal, das sie trug, und der Zufall, der sie uns erhielt, hat damit keine Indiskretion begangen. Dann kommen die mit einem Pinsel rot oder schwarz auf die Mauern der Häuser oder der Säulenhallen gemalten Inschriften. Diese sind für uns weit interessanter als die erstgenannten; sie vertraten die Stelle unsrer heutigen An¬ schlagszettel. Von den Wahlempfehlungen dieser Art und von den Inschriften, durch welche Tag und Programm der Schauspiele bekannt gemacht wurde, war schon die Rede; auf dem gleichen Wege teilte auch der Hausbesitzer dem Publikum mit, daß er zum 1. Juli oder zum 13. August eine Wohnung zu vermieten habe, oder lud der Gastwirt die Reisende» ein, bei ihm zu logiren; er ver¬ spricht gute Küche und „alle Bequemlichkeiten" (sinnig, eoinmoäa, vraestMwr). Ebenso werden gestohlene oder verlorene Gegenstände reklamirt; dem ehrlichen Finder oder Wiederbringer wird eine anständige Belohnung in Aussicht gestellt: „ein Krug Wein ist aus dem Laden verschwunden; wer ihn wiederbringt, bekommt 65 Sesterzien (10 M. 40 Pf.); bringt er den Dieb mit, so erhält er doppelt soviel." Die dritte Gattung der Inschriften endlich umfaßt alle diejenigen, die einfach mit Kohle hingeschrieben oder mit der Spitze eines Nagels oder Messers in die Wand eingeritzt sind. Die Urheber dieser Art von Straßenliteratur sind bald Liebende, die sich im Vorübergehen das Vergnügen machen, ihre Freun¬ dinnen zu begrüßen, bald ein Spaßvogel, der uns die schätzbare Mitteilung macht, daß er verschleimt sei, oder ein andrer, der diejenigen, welche unartig genug sind, ihn nicht zu Tische einzuladen, ohne Umstände „Barbaren" schimpft, bald boshafte Denunzianten, die es an die große Glocke hängen, daß Epaphra ein wüstes Leben führt, daß Suavis, die Kneipenwirtin, ewig Durst hat und daß Oppius ein Dieb ist. Diese xigMti, wie man sie in Italien nennt, waren nicht bestimmt, auf uns zu kommen; die Zerstörung von Pompeji hat sie uns er¬ halten, und das ist ein großes Glück. Wie viel Belehrung solche Gassenjungen¬ streiche, welche die Mauern mit allen möglichen mehr oder weniger dankens¬ werten Mitteilungen bedecken, der Nachwelt liefern können, wenn sie, von der Polizei geduldet, ein so langes Dasein fristen, ist in der That kaum zu glauben. Von dem intimen Leben der Pompejaner verraten sie uns ohne Frage ungleich mehr als irgendwelche andern Urkunden. In den ZraWi von Pompeji findet sich so ziemlich alles. Auch von ihnen läßt sich sagen: nichts Menschliches ist ihnen fremd. Was uns aber auch hier am häusigsten begegnet, ist die Liebe. Nicht umsonst war Venus die hochver¬ ehrte Schutzpatronin der Stadt, welche die frommen Einwohner in allen Lebens-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/610>, abgerufen am 03.07.2024.