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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Pompejanische SpaziergLnge.

Die außerordentliche Popularität, deren sich diese Schauspiele bei den Pompe-
janern erfreuten, beweist auch ihre Gewohnheit, überall Gladiatoren hinzumalen.
Wir finden ihrer auf den Wänden noch eine große Menge, in den verschiedensten
Stellungen. In der Regel sind sie kämpfend dargestellt, während neben ihnen
ein alter ausgedienter Gladiator, an seinem Stäbe erkennbar, den Kampf an¬
ordnet und überwacht. Darunter lesen wir den Namen des Mannes und die
Zahl der Siege, die er davongetragen. An der elementaren Art, wie diese
Zeichnungen hingeworfen sind, erkennen wir schnell, daß sie nicht von Künstlern
von Beruf herrühren. Leute aus dem Volke oder Kinder waren es, die auf
diese Weise die Wände mit ihren Meisterwerken schmückten. Mit einem Stück
Kohle oder Kreide malten die Kinder einen Gladiator hin, etwa wie sie heut¬
zutage mit Vorliebe Soldaten zeichnen, und interessant ist es zu beobachten,
wie diese jungen Hände schon damals ganz ebenso verfuhren wie heut. Es ist
dieselbe Methode, Soldaten und Gladiatoren gleichen einander; immer stellt
eine mehr oder minder gerade Linie die Stirn und Nase vor und zwei Punkte
deuten die Augen an. Doch ist bei manchen dieser Zeichnungen eine gewisse
komische Absicht unverkennbar. So trägt z. B. der neronische Gladiator
Asteropäus eine sehr selbstbewußte Haltung zur Schau; er sieht wie ein rechter
Eisenfresser aus -- offenbar bildet er sich auf seine 106 Siege nicht wenig
ein. Merkwürdig ist auch die schwerfällige Persönlichkeit des Gladiators Achilles,
genannt "der Unbesiegliche"; sein Embonpoint beweist uns, daß man in diesem
schrecklichen Metier nicht immer mager wurde.*)

Ich habe bisher nur von dem äußeren Leben der Pompejaner gesprochen;
dieses läßt sich noch immer am besten aus der Entfernung beobachten. Nach
dem Forum und in das Theater sind wir ihnen ohne große Mühe gefolgt.
Weniger leicht ist es, bis zu ihnen selbst vorzudringen -- in ihr Haus, in ihr
Herz. Ist es ja doch schon nach wenigen Jahrhunderten eine überaus schwierige
Aufgabe, in das Privatleben der Menschen einen Einblick zu gewinnen, ihre
innersten Empfindungen, ihre gegenseitigen Beziehungen, ihren Haß, ihre Liebe,
ihre geheimen Freuden und Schmerzen, kurz Alles was nur ein Roman, ein
volles rundes Zeit- und Lebensbild, der Nachwelt erhalten und erzählen kann,
zu ahnen. In Pompeji sind wir jedoch in dieser Beziehung besser daran als
anderwo. Der Überfluß an Inschriften, die man dort entdeckt hat, läßt uns
das, was wir völlig kennen zu lernen außer Stande sind, wenigstens in seinen
Umrissen erkennen; er erlaubt uns, ein paar kleine abgebrochene Romane zu ent¬
werfen, die von unsrer Phantasie zu Ende geführt werden und unsre Neugier
angenehm beschäftigen.

Die Inschriften waren damals das einzige Mittel der Information und
der Öffentlichkeit, das man hatte; so gab es ihrer denn auch eine gewaltige



Garrucci, tap. 11, 12.
Grenzboten II. 1383.76
Pompejanische SpaziergLnge.

Die außerordentliche Popularität, deren sich diese Schauspiele bei den Pompe-
janern erfreuten, beweist auch ihre Gewohnheit, überall Gladiatoren hinzumalen.
Wir finden ihrer auf den Wänden noch eine große Menge, in den verschiedensten
Stellungen. In der Regel sind sie kämpfend dargestellt, während neben ihnen
ein alter ausgedienter Gladiator, an seinem Stäbe erkennbar, den Kampf an¬
ordnet und überwacht. Darunter lesen wir den Namen des Mannes und die
Zahl der Siege, die er davongetragen. An der elementaren Art, wie diese
Zeichnungen hingeworfen sind, erkennen wir schnell, daß sie nicht von Künstlern
von Beruf herrühren. Leute aus dem Volke oder Kinder waren es, die auf
diese Weise die Wände mit ihren Meisterwerken schmückten. Mit einem Stück
Kohle oder Kreide malten die Kinder einen Gladiator hin, etwa wie sie heut¬
zutage mit Vorliebe Soldaten zeichnen, und interessant ist es zu beobachten,
wie diese jungen Hände schon damals ganz ebenso verfuhren wie heut. Es ist
dieselbe Methode, Soldaten und Gladiatoren gleichen einander; immer stellt
eine mehr oder minder gerade Linie die Stirn und Nase vor und zwei Punkte
deuten die Augen an. Doch ist bei manchen dieser Zeichnungen eine gewisse
komische Absicht unverkennbar. So trägt z. B. der neronische Gladiator
Asteropäus eine sehr selbstbewußte Haltung zur Schau; er sieht wie ein rechter
Eisenfresser aus — offenbar bildet er sich auf seine 106 Siege nicht wenig
ein. Merkwürdig ist auch die schwerfällige Persönlichkeit des Gladiators Achilles,
genannt „der Unbesiegliche"; sein Embonpoint beweist uns, daß man in diesem
schrecklichen Metier nicht immer mager wurde.*)

Ich habe bisher nur von dem äußeren Leben der Pompejaner gesprochen;
dieses läßt sich noch immer am besten aus der Entfernung beobachten. Nach
dem Forum und in das Theater sind wir ihnen ohne große Mühe gefolgt.
Weniger leicht ist es, bis zu ihnen selbst vorzudringen — in ihr Haus, in ihr
Herz. Ist es ja doch schon nach wenigen Jahrhunderten eine überaus schwierige
Aufgabe, in das Privatleben der Menschen einen Einblick zu gewinnen, ihre
innersten Empfindungen, ihre gegenseitigen Beziehungen, ihren Haß, ihre Liebe,
ihre geheimen Freuden und Schmerzen, kurz Alles was nur ein Roman, ein
volles rundes Zeit- und Lebensbild, der Nachwelt erhalten und erzählen kann,
zu ahnen. In Pompeji sind wir jedoch in dieser Beziehung besser daran als
anderwo. Der Überfluß an Inschriften, die man dort entdeckt hat, läßt uns
das, was wir völlig kennen zu lernen außer Stande sind, wenigstens in seinen
Umrissen erkennen; er erlaubt uns, ein paar kleine abgebrochene Romane zu ent¬
werfen, die von unsrer Phantasie zu Ende geführt werden und unsre Neugier
angenehm beschäftigen.

Die Inschriften waren damals das einzige Mittel der Information und
der Öffentlichkeit, das man hatte; so gab es ihrer denn auch eine gewaltige



Garrucci, tap. 11, 12.
Grenzboten II. 1383.76
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[0609] Pompejanische SpaziergLnge. Die außerordentliche Popularität, deren sich diese Schauspiele bei den Pompe- janern erfreuten, beweist auch ihre Gewohnheit, überall Gladiatoren hinzumalen. Wir finden ihrer auf den Wänden noch eine große Menge, in den verschiedensten Stellungen. In der Regel sind sie kämpfend dargestellt, während neben ihnen ein alter ausgedienter Gladiator, an seinem Stäbe erkennbar, den Kampf an¬ ordnet und überwacht. Darunter lesen wir den Namen des Mannes und die Zahl der Siege, die er davongetragen. An der elementaren Art, wie diese Zeichnungen hingeworfen sind, erkennen wir schnell, daß sie nicht von Künstlern von Beruf herrühren. Leute aus dem Volke oder Kinder waren es, die auf diese Weise die Wände mit ihren Meisterwerken schmückten. Mit einem Stück Kohle oder Kreide malten die Kinder einen Gladiator hin, etwa wie sie heut¬ zutage mit Vorliebe Soldaten zeichnen, und interessant ist es zu beobachten, wie diese jungen Hände schon damals ganz ebenso verfuhren wie heut. Es ist dieselbe Methode, Soldaten und Gladiatoren gleichen einander; immer stellt eine mehr oder minder gerade Linie die Stirn und Nase vor und zwei Punkte deuten die Augen an. Doch ist bei manchen dieser Zeichnungen eine gewisse komische Absicht unverkennbar. So trägt z. B. der neronische Gladiator Asteropäus eine sehr selbstbewußte Haltung zur Schau; er sieht wie ein rechter Eisenfresser aus — offenbar bildet er sich auf seine 106 Siege nicht wenig ein. Merkwürdig ist auch die schwerfällige Persönlichkeit des Gladiators Achilles, genannt „der Unbesiegliche"; sein Embonpoint beweist uns, daß man in diesem schrecklichen Metier nicht immer mager wurde.*) Ich habe bisher nur von dem äußeren Leben der Pompejaner gesprochen; dieses läßt sich noch immer am besten aus der Entfernung beobachten. Nach dem Forum und in das Theater sind wir ihnen ohne große Mühe gefolgt. Weniger leicht ist es, bis zu ihnen selbst vorzudringen — in ihr Haus, in ihr Herz. Ist es ja doch schon nach wenigen Jahrhunderten eine überaus schwierige Aufgabe, in das Privatleben der Menschen einen Einblick zu gewinnen, ihre innersten Empfindungen, ihre gegenseitigen Beziehungen, ihren Haß, ihre Liebe, ihre geheimen Freuden und Schmerzen, kurz Alles was nur ein Roman, ein volles rundes Zeit- und Lebensbild, der Nachwelt erhalten und erzählen kann, zu ahnen. In Pompeji sind wir jedoch in dieser Beziehung besser daran als anderwo. Der Überfluß an Inschriften, die man dort entdeckt hat, läßt uns das, was wir völlig kennen zu lernen außer Stande sind, wenigstens in seinen Umrissen erkennen; er erlaubt uns, ein paar kleine abgebrochene Romane zu ent¬ werfen, die von unsrer Phantasie zu Ende geführt werden und unsre Neugier angenehm beschäftigen. Die Inschriften waren damals das einzige Mittel der Information und der Öffentlichkeit, das man hatte; so gab es ihrer denn auch eine gewaltige Garrucci, tap. 11, 12. Grenzboten II. 1383.76

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/609>, abgerufen am 03.07.2024.