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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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pompejanische Spaziergänge.

dekorirt, die deutlich genug zeigen, was für ein Publikum dort verkehrte. Offen¬
bar war das Lokal zugleich ein Spielhaus und noch etwas Schlimmeres.
Auf dem einen Bilde sehen wir, wie sich die "weibliche Bedienung" mit den
Gästen amüsirt, sich mit ihnen umherjagt, sie umhalst, küßt und zum Trinken
reizt. Eine andre Darstellung zeigt zwei bärtige Männer; sie halten ein
Spielbrett auf den Knien und sind in ihr Würfelspiel vertieft. Beide sind er¬
sichtlich sehr aufgeregt; der eine hat anscheinend eben einen guten Wurf gethan
und frohlockt darüber, der andre schüttelt die Würfel im Becher und hofft ans
einen noch glücklicheren. Auf dem folgenden Bilde streiten sich unsre beiden
Spieler; beide behaupten gewonnen zu haben und überschütten einander mit
groben Schmähungen; Inschriften über ihren Köpfen geben diese Injurien wieder.
Auf den Lärm eilt der Kneipenwirt herbei und ersucht die Herren sehr höflich
und in respektvoller Haltung, "sich gefälligst lieber auf der Straße zu prügeln."

Die verschiednen Klaffen der pompejanischen Gesellschaft, die wir hier
einzeln betrachtet haben, lebten nicht immer völlig von einander geschieden.
Es gab häusig genug Geschäfte und Vergnügungen, durch welche sie mit ein-
ander in Berührung kamen. Zunächst vereinigte sie die gemeinsame Sorge
für die öffentlichen Angelegenheiten und die Wahl der Behörden; anscheinend
nahm alle Welt daran sehr thätigen Anteil. Durchwandern wir Pompeji, so
erregen Wahlanschläge alle Augenblicke unsre Aufmerksamkeit; fast keine Straße
giebt es, wo wir nicht einen solchen finden. In unsern Hauptstädten läßt die
Behörde diese Art von Literatur entfernen, sobald die Wahl vorüber ist; in
manchen Provinzicilorten dagegen bleiben diese Anschläge noch lange nachher
an den Mauern. So war es auch in Pompeji; manche der hier gefundene"
Wahlreklamen waren beim Untergange der Stadt mehrere Jahre alt. Sie ent¬
halten nicht, wie bei uns, politische Glaubensbekenntnisse, in denen der Kandidat
seine Ansichten darlegt; lediglich seine Nachbarn, Freunde, Klienten empfehlen
ihn den Wählern mit der Versicherung, er sei ein sehr ehrenwerter Mann
und der Stelle, um die er sich bewerbe, vollkommen würdig. Lesen wir diese
zahlreichen Anschläge, sehen wir, mit welchem Eifer so viele Personen ihren
Kandidaten rühmen, so möchten wir fast glauben, daß die Wahlen sehr lebhaft
gewesen sein müssen und daß man um die öffentlichen Ämter in diesen kleinen
Städten heiße Kämpfe führte. Auch ist dies unzweifelhaft wirklich oft der Fall
gewesen; gleichwohl merken wir, daß in manchen pompejanischen Wahlreklamen
die Höflichkeit eine größere Rolle spielt als die Politik. Einzelne von ihnen sind
das Werk angesehener Personen, die in den Vorjahren Kandidaten gewesen sind
oder es bald sein werden, und die nnn einen Dienst vergelten oder sich Beistand
für die Zukunft sichern wollen. Bisweilen vollzieht sich dieser Austausch von
Gefälligkeiten, dies Versicherungsverfahren "auf Gegenseitigkeit," ganz öffentlich.
Ein dienstfertiger Freund, der für die von ihm unterstützte Kandidatur jemand
gewinnen will, sagt zu ihm ohne weiteres: "Proculus, wähle zum Ädilen den


pompejanische Spaziergänge.

dekorirt, die deutlich genug zeigen, was für ein Publikum dort verkehrte. Offen¬
bar war das Lokal zugleich ein Spielhaus und noch etwas Schlimmeres.
Auf dem einen Bilde sehen wir, wie sich die „weibliche Bedienung" mit den
Gästen amüsirt, sich mit ihnen umherjagt, sie umhalst, küßt und zum Trinken
reizt. Eine andre Darstellung zeigt zwei bärtige Männer; sie halten ein
Spielbrett auf den Knien und sind in ihr Würfelspiel vertieft. Beide sind er¬
sichtlich sehr aufgeregt; der eine hat anscheinend eben einen guten Wurf gethan
und frohlockt darüber, der andre schüttelt die Würfel im Becher und hofft ans
einen noch glücklicheren. Auf dem folgenden Bilde streiten sich unsre beiden
Spieler; beide behaupten gewonnen zu haben und überschütten einander mit
groben Schmähungen; Inschriften über ihren Köpfen geben diese Injurien wieder.
Auf den Lärm eilt der Kneipenwirt herbei und ersucht die Herren sehr höflich
und in respektvoller Haltung, „sich gefälligst lieber auf der Straße zu prügeln."

Die verschiednen Klaffen der pompejanischen Gesellschaft, die wir hier
einzeln betrachtet haben, lebten nicht immer völlig von einander geschieden.
Es gab häusig genug Geschäfte und Vergnügungen, durch welche sie mit ein-
ander in Berührung kamen. Zunächst vereinigte sie die gemeinsame Sorge
für die öffentlichen Angelegenheiten und die Wahl der Behörden; anscheinend
nahm alle Welt daran sehr thätigen Anteil. Durchwandern wir Pompeji, so
erregen Wahlanschläge alle Augenblicke unsre Aufmerksamkeit; fast keine Straße
giebt es, wo wir nicht einen solchen finden. In unsern Hauptstädten läßt die
Behörde diese Art von Literatur entfernen, sobald die Wahl vorüber ist; in
manchen Provinzicilorten dagegen bleiben diese Anschläge noch lange nachher
an den Mauern. So war es auch in Pompeji; manche der hier gefundene»
Wahlreklamen waren beim Untergange der Stadt mehrere Jahre alt. Sie ent¬
halten nicht, wie bei uns, politische Glaubensbekenntnisse, in denen der Kandidat
seine Ansichten darlegt; lediglich seine Nachbarn, Freunde, Klienten empfehlen
ihn den Wählern mit der Versicherung, er sei ein sehr ehrenwerter Mann
und der Stelle, um die er sich bewerbe, vollkommen würdig. Lesen wir diese
zahlreichen Anschläge, sehen wir, mit welchem Eifer so viele Personen ihren
Kandidaten rühmen, so möchten wir fast glauben, daß die Wahlen sehr lebhaft
gewesen sein müssen und daß man um die öffentlichen Ämter in diesen kleinen
Städten heiße Kämpfe führte. Auch ist dies unzweifelhaft wirklich oft der Fall
gewesen; gleichwohl merken wir, daß in manchen pompejanischen Wahlreklamen
die Höflichkeit eine größere Rolle spielt als die Politik. Einzelne von ihnen sind
das Werk angesehener Personen, die in den Vorjahren Kandidaten gewesen sind
oder es bald sein werden, und die nnn einen Dienst vergelten oder sich Beistand
für die Zukunft sichern wollen. Bisweilen vollzieht sich dieser Austausch von
Gefälligkeiten, dies Versicherungsverfahren „auf Gegenseitigkeit," ganz öffentlich.
Ein dienstfertiger Freund, der für die von ihm unterstützte Kandidatur jemand
gewinnen will, sagt zu ihm ohne weiteres: „Proculus, wähle zum Ädilen den


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[0606] pompejanische Spaziergänge. dekorirt, die deutlich genug zeigen, was für ein Publikum dort verkehrte. Offen¬ bar war das Lokal zugleich ein Spielhaus und noch etwas Schlimmeres. Auf dem einen Bilde sehen wir, wie sich die „weibliche Bedienung" mit den Gästen amüsirt, sich mit ihnen umherjagt, sie umhalst, küßt und zum Trinken reizt. Eine andre Darstellung zeigt zwei bärtige Männer; sie halten ein Spielbrett auf den Knien und sind in ihr Würfelspiel vertieft. Beide sind er¬ sichtlich sehr aufgeregt; der eine hat anscheinend eben einen guten Wurf gethan und frohlockt darüber, der andre schüttelt die Würfel im Becher und hofft ans einen noch glücklicheren. Auf dem folgenden Bilde streiten sich unsre beiden Spieler; beide behaupten gewonnen zu haben und überschütten einander mit groben Schmähungen; Inschriften über ihren Köpfen geben diese Injurien wieder. Auf den Lärm eilt der Kneipenwirt herbei und ersucht die Herren sehr höflich und in respektvoller Haltung, „sich gefälligst lieber auf der Straße zu prügeln." Die verschiednen Klaffen der pompejanischen Gesellschaft, die wir hier einzeln betrachtet haben, lebten nicht immer völlig von einander geschieden. Es gab häusig genug Geschäfte und Vergnügungen, durch welche sie mit ein- ander in Berührung kamen. Zunächst vereinigte sie die gemeinsame Sorge für die öffentlichen Angelegenheiten und die Wahl der Behörden; anscheinend nahm alle Welt daran sehr thätigen Anteil. Durchwandern wir Pompeji, so erregen Wahlanschläge alle Augenblicke unsre Aufmerksamkeit; fast keine Straße giebt es, wo wir nicht einen solchen finden. In unsern Hauptstädten läßt die Behörde diese Art von Literatur entfernen, sobald die Wahl vorüber ist; in manchen Provinzicilorten dagegen bleiben diese Anschläge noch lange nachher an den Mauern. So war es auch in Pompeji; manche der hier gefundene» Wahlreklamen waren beim Untergange der Stadt mehrere Jahre alt. Sie ent¬ halten nicht, wie bei uns, politische Glaubensbekenntnisse, in denen der Kandidat seine Ansichten darlegt; lediglich seine Nachbarn, Freunde, Klienten empfehlen ihn den Wählern mit der Versicherung, er sei ein sehr ehrenwerter Mann und der Stelle, um die er sich bewerbe, vollkommen würdig. Lesen wir diese zahlreichen Anschläge, sehen wir, mit welchem Eifer so viele Personen ihren Kandidaten rühmen, so möchten wir fast glauben, daß die Wahlen sehr lebhaft gewesen sein müssen und daß man um die öffentlichen Ämter in diesen kleinen Städten heiße Kämpfe führte. Auch ist dies unzweifelhaft wirklich oft der Fall gewesen; gleichwohl merken wir, daß in manchen pompejanischen Wahlreklamen die Höflichkeit eine größere Rolle spielt als die Politik. Einzelne von ihnen sind das Werk angesehener Personen, die in den Vorjahren Kandidaten gewesen sind oder es bald sein werden, und die nnn einen Dienst vergelten oder sich Beistand für die Zukunft sichern wollen. Bisweilen vollzieht sich dieser Austausch von Gefälligkeiten, dies Versicherungsverfahren „auf Gegenseitigkeit," ganz öffentlich. Ein dienstfertiger Freund, der für die von ihm unterstützte Kandidatur jemand gewinnen will, sagt zu ihm ohne weiteres: „Proculus, wähle zum Ädilen den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/606>, abgerufen am 22.07.2024.