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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Pompejanische Spaziergänge.

Die Quartiere, wo alle diese armen Leute wohnten, sind noch nicht ent¬
deckt. Auch die kleinsten und am einfachsten ausgestatteten Häuser, die man
bisher ausgegraben hat, sind nicht eigentlich das, was wir Wohnungen von
Armen nennen. Vielleicht bewohnte ein Teil von ihnen jene "obern Etagen
mit Terrassen" (ooöNÄvuIg, ouin xsrAulis), von denen in den Mietsanzeigen
mehrfach die Rede ist. Leider sind uns von den Häusern Pompejis nur die
Erdgeschosse erhalten; der Rest ist fast überall verschwunden. Einstweilen und
bis man einmal die Volksquartiere findet, verraten sich Anwesenheit und Lebens¬
gewohnheiten der kleinen Leute fast nur durch die von ihnen, dort wie überall,
gern besuchten Vergnügungsorte, die Kneipen und Herbergen. Sie sind in
Pompeji zahlreich vertreten. Beim Eintritt in die Stadt finden wir Gastwirt¬
schaften für die Bauern aus der Umgegend, wenn sie zum Verkauf ihrer
Waaren oder zum Einkauf ihrer eignen Bedürfnisse hierher kamen. Vor dem
Thore ist das Pflaster stark geneigt, damit die Karren leichter in die Remise
einfahren konnten. Die Bewegung in den engen Gassen der Stadt, wo zwei
Wagen nur schwer nebeneinander Passiren können, wäre für sie höchst unbequem
gewesen; so ließ man sie einfach im Wirtshaus stehen. Diese Herbergen haben
kleine Kammern, in denen die Reisenden, falls sie längere Zeit bleiben mußten,
übernachteten. Manchmal haben die Gäste auf den Wänden ihre Namen hinter¬
lassen, nebst Bemerkungen, die nicht ohne Interesse sind. Man kann sich leicht
denken, daß Leute, die sich mit einem so bescheidnen Obdach begnügen, keine
großen Persönlichkeiten sind. Es befinden sich unter ihnen ein beurlaubter
Prcitorianer, sodann Pantomimen, die in Pompeji Vorstellungen geben wollen,
ein Einwohner von Puteoli, der die Gelegenheit benutzt, seiner Vaterstadt alles
mögliche Gute*) zu wünschen, und ein Verliebter, der uns mitteilt, er habe die
Nacht ganz allein gelegen und sich nach seiner Freundin gesehnt.**)

Wir befinden uns, wie man sieht, nicht gerade in sehr vornehmer Gesell¬
schaft; auch die Kneipenbesucher waren gewiß keine feinen Leute. Schenken, wo
warme Getränke verkauft wurden (tllörinoxoliÄ), giebt.es in Pompeji in Menge;
gewöhnlich liegen sie, wie bei uns, an den verkehrreichsten Stellen, besonders
an Straßenecken. Vor der Thür steht ein marmorner Ladentisch mit runden
Öffnungen, in welchen die Gefäße mit den Getränken steckten; hinter den Ge¬
fäßen, an der Wand, waren kleine Gestelle angebracht, mit Gläsern von ver-
schiedner Form und Größe. Diese Einrichtung war für Eilige bestimmt, die
zum Eintritt in den Laden keine Zeit hatten und bloß schnell eine Erfrischung
zu sich nahmen. Wer Muße hatte und sichs bequemer machen wollte, ging
hinein und nahm in andern Räumen, im Innern, an Tischen Platz. Vor acht
Jahren fand man eine solche Schenke; sie war mit merkwürdigen Malereien



*) LoloniÄg 01knall>.e UsrmiöQsi I>utsolA,ri!>,s kslioitsr! -- **) Vidius RssMllws Kio
solus äormivit se vrdkwkm Susa äosiclor-etat (L. 1.1^, IV, 2146).
Pompejanische Spaziergänge.

Die Quartiere, wo alle diese armen Leute wohnten, sind noch nicht ent¬
deckt. Auch die kleinsten und am einfachsten ausgestatteten Häuser, die man
bisher ausgegraben hat, sind nicht eigentlich das, was wir Wohnungen von
Armen nennen. Vielleicht bewohnte ein Teil von ihnen jene „obern Etagen
mit Terrassen" (ooöNÄvuIg, ouin xsrAulis), von denen in den Mietsanzeigen
mehrfach die Rede ist. Leider sind uns von den Häusern Pompejis nur die
Erdgeschosse erhalten; der Rest ist fast überall verschwunden. Einstweilen und
bis man einmal die Volksquartiere findet, verraten sich Anwesenheit und Lebens¬
gewohnheiten der kleinen Leute fast nur durch die von ihnen, dort wie überall,
gern besuchten Vergnügungsorte, die Kneipen und Herbergen. Sie sind in
Pompeji zahlreich vertreten. Beim Eintritt in die Stadt finden wir Gastwirt¬
schaften für die Bauern aus der Umgegend, wenn sie zum Verkauf ihrer
Waaren oder zum Einkauf ihrer eignen Bedürfnisse hierher kamen. Vor dem
Thore ist das Pflaster stark geneigt, damit die Karren leichter in die Remise
einfahren konnten. Die Bewegung in den engen Gassen der Stadt, wo zwei
Wagen nur schwer nebeneinander Passiren können, wäre für sie höchst unbequem
gewesen; so ließ man sie einfach im Wirtshaus stehen. Diese Herbergen haben
kleine Kammern, in denen die Reisenden, falls sie längere Zeit bleiben mußten,
übernachteten. Manchmal haben die Gäste auf den Wänden ihre Namen hinter¬
lassen, nebst Bemerkungen, die nicht ohne Interesse sind. Man kann sich leicht
denken, daß Leute, die sich mit einem so bescheidnen Obdach begnügen, keine
großen Persönlichkeiten sind. Es befinden sich unter ihnen ein beurlaubter
Prcitorianer, sodann Pantomimen, die in Pompeji Vorstellungen geben wollen,
ein Einwohner von Puteoli, der die Gelegenheit benutzt, seiner Vaterstadt alles
mögliche Gute*) zu wünschen, und ein Verliebter, der uns mitteilt, er habe die
Nacht ganz allein gelegen und sich nach seiner Freundin gesehnt.**)

Wir befinden uns, wie man sieht, nicht gerade in sehr vornehmer Gesell¬
schaft; auch die Kneipenbesucher waren gewiß keine feinen Leute. Schenken, wo
warme Getränke verkauft wurden (tllörinoxoliÄ), giebt.es in Pompeji in Menge;
gewöhnlich liegen sie, wie bei uns, an den verkehrreichsten Stellen, besonders
an Straßenecken. Vor der Thür steht ein marmorner Ladentisch mit runden
Öffnungen, in welchen die Gefäße mit den Getränken steckten; hinter den Ge¬
fäßen, an der Wand, waren kleine Gestelle angebracht, mit Gläsern von ver-
schiedner Form und Größe. Diese Einrichtung war für Eilige bestimmt, die
zum Eintritt in den Laden keine Zeit hatten und bloß schnell eine Erfrischung
zu sich nahmen. Wer Muße hatte und sichs bequemer machen wollte, ging
hinein und nahm in andern Räumen, im Innern, an Tischen Platz. Vor acht
Jahren fand man eine solche Schenke; sie war mit merkwürdigen Malereien



*) LoloniÄg 01knall>.e UsrmiöQsi I>utsolA,ri!>,s kslioitsr! — **) Vidius RssMllws Kio
solus äormivit se vrdkwkm Susa äosiclor-etat (L. 1.1^, IV, 2146).
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[0605] Pompejanische Spaziergänge. Die Quartiere, wo alle diese armen Leute wohnten, sind noch nicht ent¬ deckt. Auch die kleinsten und am einfachsten ausgestatteten Häuser, die man bisher ausgegraben hat, sind nicht eigentlich das, was wir Wohnungen von Armen nennen. Vielleicht bewohnte ein Teil von ihnen jene „obern Etagen mit Terrassen" (ooöNÄvuIg, ouin xsrAulis), von denen in den Mietsanzeigen mehrfach die Rede ist. Leider sind uns von den Häusern Pompejis nur die Erdgeschosse erhalten; der Rest ist fast überall verschwunden. Einstweilen und bis man einmal die Volksquartiere findet, verraten sich Anwesenheit und Lebens¬ gewohnheiten der kleinen Leute fast nur durch die von ihnen, dort wie überall, gern besuchten Vergnügungsorte, die Kneipen und Herbergen. Sie sind in Pompeji zahlreich vertreten. Beim Eintritt in die Stadt finden wir Gastwirt¬ schaften für die Bauern aus der Umgegend, wenn sie zum Verkauf ihrer Waaren oder zum Einkauf ihrer eignen Bedürfnisse hierher kamen. Vor dem Thore ist das Pflaster stark geneigt, damit die Karren leichter in die Remise einfahren konnten. Die Bewegung in den engen Gassen der Stadt, wo zwei Wagen nur schwer nebeneinander Passiren können, wäre für sie höchst unbequem gewesen; so ließ man sie einfach im Wirtshaus stehen. Diese Herbergen haben kleine Kammern, in denen die Reisenden, falls sie längere Zeit bleiben mußten, übernachteten. Manchmal haben die Gäste auf den Wänden ihre Namen hinter¬ lassen, nebst Bemerkungen, die nicht ohne Interesse sind. Man kann sich leicht denken, daß Leute, die sich mit einem so bescheidnen Obdach begnügen, keine großen Persönlichkeiten sind. Es befinden sich unter ihnen ein beurlaubter Prcitorianer, sodann Pantomimen, die in Pompeji Vorstellungen geben wollen, ein Einwohner von Puteoli, der die Gelegenheit benutzt, seiner Vaterstadt alles mögliche Gute*) zu wünschen, und ein Verliebter, der uns mitteilt, er habe die Nacht ganz allein gelegen und sich nach seiner Freundin gesehnt.**) Wir befinden uns, wie man sieht, nicht gerade in sehr vornehmer Gesell¬ schaft; auch die Kneipenbesucher waren gewiß keine feinen Leute. Schenken, wo warme Getränke verkauft wurden (tllörinoxoliÄ), giebt.es in Pompeji in Menge; gewöhnlich liegen sie, wie bei uns, an den verkehrreichsten Stellen, besonders an Straßenecken. Vor der Thür steht ein marmorner Ladentisch mit runden Öffnungen, in welchen die Gefäße mit den Getränken steckten; hinter den Ge¬ fäßen, an der Wand, waren kleine Gestelle angebracht, mit Gläsern von ver- schiedner Form und Größe. Diese Einrichtung war für Eilige bestimmt, die zum Eintritt in den Laden keine Zeit hatten und bloß schnell eine Erfrischung zu sich nahmen. Wer Muße hatte und sichs bequemer machen wollte, ging hinein und nahm in andern Räumen, im Innern, an Tischen Platz. Vor acht Jahren fand man eine solche Schenke; sie war mit merkwürdigen Malereien *) LoloniÄg 01knall>.e UsrmiöQsi I>utsolA,ri!>,s kslioitsr! — **) Vidius RssMllws Kio solus äormivit se vrdkwkm Susa äosiclor-etat (L. 1.1^, IV, 2146).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/605>, abgerufen am 01.10.2024.