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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Zur Auslegung Kants.

sofern sie schlechterdings "nur in uns" und "nnr unsre Art, sie wahrzunehmen"
ist, und den Gegenständen an sich selbst. Diese Unterscheidung ist z. B, ans
S, 54 der Schrift Krauses mehr als eine aus der Kantschen Lehre zu ziehende
und als Einwand zu benutzende Schwierigkeit erwähnt, denn als eigne Haupt-
und Grundlehre Kants. In spätern Abschnitten kommt Krause auch nur ge¬
legentlich und ganz kurz auf diesen Punkt zurück und behandelt ihn als etwas
Selbstverständliches, z. B. S. 104. Wenn nun aber dem gegenüber eine fort¬
währende, schon an sich der Popularität und Klarheit durch das immer wieder¬
holte Abreißen des Fadens höchst nachteilige Polemik sich durch die Darstellung
hindurchzieht, und noch dazu eine Polemik gegen die "Subjektivität" der Em¬
pfindungen und Anschauungen in Raum und Zeit und gegen die Lehre, daß
die Erscheinungen "in uns" seien -- wobei unter "subjektiv" und "in uns"
etwas andres verstanden wird, als bei Kant und seinen Auslegern --, und
dann in diesem andern Sinne natürlich die "Subjektivität" und das "In uns"
als falsche Auslegung Kants gebrandmarkt wird, dann ist eine solche Dar¬
stellung ganz notwendig weit entfernt davon, Kants Lehre populär zu machen,
sondern kann uur Verwirrung darüber anrichten. Was sollen wir aber erst
sagen, angesichts der urkundlichen Worte Kants, wenn Dr. Krause auf S. 101
voll Zornes ausruft: "Also wir sehen gar nicht die Dinge selbst, sondern nur
ihre Bilder, ihre Erscheinugen u. s. w.?! Wir wissen gar nicht, wie die Welt
selbst beschaffen ist, sondern nur, wie sie sich uns zeigt? Die Naturwissenschaft
bringt auch gar keine Gesetze der Welt zustande, denn die Welt kennen wir ja gar
nicht!? Welch furchtbarer Unsinn! Aber wo liegt denn die Wurzel dieser Ver¬
kehrtheit?" Und diese Worte richtet Krause nicht etwa gegen Kant, sondern
gegen alle seine bisherigen Ausleger, wonach er sich anschickt, den damit an¬
gedeuteten Grundirrtum in der bisherige" Auffassung Kants aufzudecken. Hieran
schließen sich die das Resultat ziehenden Äußerungen des Verteidigers Krauses
in diesen Blättern, wie: "Natur hat weder Kern noch Schale, alles ist sie mit
einemmale -- sagt Goethe, vielleicht in unbewußter, aber vollkommener Überein¬
stimmung mit Kant," -- und: "Das Ding an sich, welches Liebmann im Kri¬
tizismus mit vollem Rechte einen falschen Blutstropfen nannte, ist nach der
tiefern Analyse von Krause garnicht darin vorhanden" u. v. a. Und noch gegen
das Ende seiner Darstellung -- trotzdem, daß bei seiner im wesentlichen richtigen
Wiedergabe der Antinomienlehre*) die wahre Meinung Kants ihm nicht ent¬
gangen ist -- preist es Krause als Kants Verdienst, gegen die Lehre, daß wir
"die eigentliche Welt, das Dasein der Dinge, wie es ist, nicht erkennen," ge¬
waltige Steinmauern zum Schutze errichtet haben! (S. 195.)



*) Nur hätte Dr. Krause seine sehr wesentliche Veränderung des Wortlauts der Anti-
nomicntafel mit den Beweisen für Thesis und Antithesis nicht als eine bloße "Verkürzung"
einführen sollen.
Zur Auslegung Kants.

sofern sie schlechterdings „nur in uns" und „nnr unsre Art, sie wahrzunehmen"
ist, und den Gegenständen an sich selbst. Diese Unterscheidung ist z. B, ans
S, 54 der Schrift Krauses mehr als eine aus der Kantschen Lehre zu ziehende
und als Einwand zu benutzende Schwierigkeit erwähnt, denn als eigne Haupt-
und Grundlehre Kants. In spätern Abschnitten kommt Krause auch nur ge¬
legentlich und ganz kurz auf diesen Punkt zurück und behandelt ihn als etwas
Selbstverständliches, z. B. S. 104. Wenn nun aber dem gegenüber eine fort¬
währende, schon an sich der Popularität und Klarheit durch das immer wieder¬
holte Abreißen des Fadens höchst nachteilige Polemik sich durch die Darstellung
hindurchzieht, und noch dazu eine Polemik gegen die „Subjektivität" der Em¬
pfindungen und Anschauungen in Raum und Zeit und gegen die Lehre, daß
die Erscheinungen „in uns" seien — wobei unter „subjektiv" und „in uns"
etwas andres verstanden wird, als bei Kant und seinen Auslegern —, und
dann in diesem andern Sinne natürlich die „Subjektivität" und das „In uns"
als falsche Auslegung Kants gebrandmarkt wird, dann ist eine solche Dar¬
stellung ganz notwendig weit entfernt davon, Kants Lehre populär zu machen,
sondern kann uur Verwirrung darüber anrichten. Was sollen wir aber erst
sagen, angesichts der urkundlichen Worte Kants, wenn Dr. Krause auf S. 101
voll Zornes ausruft: „Also wir sehen gar nicht die Dinge selbst, sondern nur
ihre Bilder, ihre Erscheinugen u. s. w.?! Wir wissen gar nicht, wie die Welt
selbst beschaffen ist, sondern nur, wie sie sich uns zeigt? Die Naturwissenschaft
bringt auch gar keine Gesetze der Welt zustande, denn die Welt kennen wir ja gar
nicht!? Welch furchtbarer Unsinn! Aber wo liegt denn die Wurzel dieser Ver¬
kehrtheit?" Und diese Worte richtet Krause nicht etwa gegen Kant, sondern
gegen alle seine bisherigen Ausleger, wonach er sich anschickt, den damit an¬
gedeuteten Grundirrtum in der bisherige» Auffassung Kants aufzudecken. Hieran
schließen sich die das Resultat ziehenden Äußerungen des Verteidigers Krauses
in diesen Blättern, wie: „Natur hat weder Kern noch Schale, alles ist sie mit
einemmale — sagt Goethe, vielleicht in unbewußter, aber vollkommener Überein¬
stimmung mit Kant," — und: „Das Ding an sich, welches Liebmann im Kri¬
tizismus mit vollem Rechte einen falschen Blutstropfen nannte, ist nach der
tiefern Analyse von Krause garnicht darin vorhanden" u. v. a. Und noch gegen
das Ende seiner Darstellung — trotzdem, daß bei seiner im wesentlichen richtigen
Wiedergabe der Antinomienlehre*) die wahre Meinung Kants ihm nicht ent¬
gangen ist — preist es Krause als Kants Verdienst, gegen die Lehre, daß wir
„die eigentliche Welt, das Dasein der Dinge, wie es ist, nicht erkennen," ge¬
waltige Steinmauern zum Schutze errichtet haben! (S. 195.)



*) Nur hätte Dr. Krause seine sehr wesentliche Veränderung des Wortlauts der Anti-
nomicntafel mit den Beweisen für Thesis und Antithesis nicht als eine bloße „Verkürzung"
einführen sollen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/597>, abgerufen am 03.07.2024.