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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Zur Auslegung Kants.

noch einige Worte über die Empfindungen des innern Sinnes hinzuzu-
nehmen.

A. a. O, 716 ff. (zweite Auflage): Nun wird durch bloße Verhältnisse doch nicht
eine Sache an sich erkannt, also ist wohl zu urteilen, daß, da uns durch den
äußern Sinn nichts als bloße Verhältuisvorstellungen gegeben werden, dieser
auch nur das Verhältnis eines Gegenstandes auf das Subjekt in seiner Vor¬
stellung enthalten könne, und nicht das Jnnere, das dem Objekte an sich zukommt.
Mit der innern Anschauung ist es ebenso bewärte. -- Welche jdie Form der
Anschauung^, da sie nichts vorstellt, außer so ferne etwas im Gemüte gehest wird,
nichts andres sein kann als die Art, wie das Gemüt durch eigne Thätigkeit,
mithin durch sich selbst, affizirt wird, d. i. ein innerer Sinn seiner Form
uach. -- Wenn das Vermögen, sich bewußt zu werden, das, was im Gemüte liegt,
aufsuchen (apprchendircn) soll, so muß es dasselbe affizireu, und kann allein auf
solche Art eine Anschauung seiner selbst hervorbringen, deren Form aber -- die
Art, wie das Mannichfaltige im Gemüte beisammen ist, in der Vorstellung der Zeit
bestimmt; da es denn sich selbst anschaut, uicht wie es sich unmittelbar selbstthätig
vorstellen würde, sondern nach der Art, wie es von innen affizirt wird, folglich
wie es sich erscheint, nicht, wie es ist.

So haben wir beinahe die ganze "transscendentale Ästhetik" ausgeschrieben!
Das ist bekanntlich der Abschnitt der "Kritik der reinen Vermmft," der die bis
hierher in Betracht gezogenen Punkte ox <Mole> behandelt. Wo nichts bemerkt
ist, folgten wir der ersten Auflage, von welcher die spätern diesmal in einigen
Stellen, wiewohl unerheblich, abweichen. Die eckigen Parenthesen schließen unsre
Zusätze ein.

Die Summe des Mitgeteilten ist leicht zu ziehen. Hier ist sie. Wir er¬
kennen nach Kant auf dem Wege der sinnlichen Anschauung nach Inhalt und
Form, im Gebiete des äußern wie des innern Sinnes, nur Erscheinung, nur
unsre menschliche Wahrnehmungsweise der Gegenstände, nicht die Gegenstände
an sich selbst, nur unser Affizirtwerden in der uns Menschen eignen Anschauungs¬
form, nicht die Dinge selbst, welche uns afsiziren, nach ihrer eignen Be¬
schaffenheit.

Ich kenne keine Stelle der Schriften Kants seit 1731, welche hiergegen
stritte, nur ganz wenige (in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft),
welche es zu thun scheinen, und keinen Ausleger, der bis hierher Kant anders ver¬
stünde, es sei denn, daß Dr. Krause und Dr. Classen, obwohl sie in manchen
ihrer Worte dasselbe zu sagen scheinen, doch durch andre Äußerungen diesen
Schein zunichte machen. Hier müßte dann wohl ihr Neues liegen.

Krauses "Populäre Darstellung" hat in dem Teile, der die "transscenden¬
tale Ästhetik" direkt zum Gegenstande hat, den angeführten Lehren Kants nicht
sowohl andre Lehren entgegengestellt und für Kants eigentliche Meinung aus¬
gegeben, als vielmehr den Punkt, auf den, wie wir gesehen haben, Kant alles
ankam, aus dem Vordergrunde der Betrachtung auffällig zurücktreten lassen.
Dieser Punkt war die Unterscheidung zwischen der Erscheinung der Gegenstände,


Zur Auslegung Kants.

noch einige Worte über die Empfindungen des innern Sinnes hinzuzu-
nehmen.

A. a. O, 716 ff. (zweite Auflage): Nun wird durch bloße Verhältnisse doch nicht
eine Sache an sich erkannt, also ist wohl zu urteilen, daß, da uns durch den
äußern Sinn nichts als bloße Verhältuisvorstellungen gegeben werden, dieser
auch nur das Verhältnis eines Gegenstandes auf das Subjekt in seiner Vor¬
stellung enthalten könne, und nicht das Jnnere, das dem Objekte an sich zukommt.
Mit der innern Anschauung ist es ebenso bewärte. — Welche jdie Form der
Anschauung^, da sie nichts vorstellt, außer so ferne etwas im Gemüte gehest wird,
nichts andres sein kann als die Art, wie das Gemüt durch eigne Thätigkeit,
mithin durch sich selbst, affizirt wird, d. i. ein innerer Sinn seiner Form
uach. — Wenn das Vermögen, sich bewußt zu werden, das, was im Gemüte liegt,
aufsuchen (apprchendircn) soll, so muß es dasselbe affizireu, und kann allein auf
solche Art eine Anschauung seiner selbst hervorbringen, deren Form aber — die
Art, wie das Mannichfaltige im Gemüte beisammen ist, in der Vorstellung der Zeit
bestimmt; da es denn sich selbst anschaut, uicht wie es sich unmittelbar selbstthätig
vorstellen würde, sondern nach der Art, wie es von innen affizirt wird, folglich
wie es sich erscheint, nicht, wie es ist.

So haben wir beinahe die ganze „transscendentale Ästhetik" ausgeschrieben!
Das ist bekanntlich der Abschnitt der „Kritik der reinen Vermmft," der die bis
hierher in Betracht gezogenen Punkte ox <Mole> behandelt. Wo nichts bemerkt
ist, folgten wir der ersten Auflage, von welcher die spätern diesmal in einigen
Stellen, wiewohl unerheblich, abweichen. Die eckigen Parenthesen schließen unsre
Zusätze ein.

Die Summe des Mitgeteilten ist leicht zu ziehen. Hier ist sie. Wir er¬
kennen nach Kant auf dem Wege der sinnlichen Anschauung nach Inhalt und
Form, im Gebiete des äußern wie des innern Sinnes, nur Erscheinung, nur
unsre menschliche Wahrnehmungsweise der Gegenstände, nicht die Gegenstände
an sich selbst, nur unser Affizirtwerden in der uns Menschen eignen Anschauungs¬
form, nicht die Dinge selbst, welche uns afsiziren, nach ihrer eignen Be¬
schaffenheit.

Ich kenne keine Stelle der Schriften Kants seit 1731, welche hiergegen
stritte, nur ganz wenige (in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft),
welche es zu thun scheinen, und keinen Ausleger, der bis hierher Kant anders ver¬
stünde, es sei denn, daß Dr. Krause und Dr. Classen, obwohl sie in manchen
ihrer Worte dasselbe zu sagen scheinen, doch durch andre Äußerungen diesen
Schein zunichte machen. Hier müßte dann wohl ihr Neues liegen.

Krauses „Populäre Darstellung" hat in dem Teile, der die „transscenden¬
tale Ästhetik" direkt zum Gegenstande hat, den angeführten Lehren Kants nicht
sowohl andre Lehren entgegengestellt und für Kants eigentliche Meinung aus¬
gegeben, als vielmehr den Punkt, auf den, wie wir gesehen haben, Kant alles
ankam, aus dem Vordergrunde der Betrachtung auffällig zurücktreten lassen.
Dieser Punkt war die Unterscheidung zwischen der Erscheinung der Gegenstände,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/596>, abgerufen am 22.07.2024.