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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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cW^^einem der deutschen Philosophen ist es gelungen, im eigentlichsten
Sinne des Wortes eine populäre Gestalt zu werden, einen Namen
von sprichwörtlichen Klänge unter allerlei Volk sich zu erwerben,
außer Immanuel Kant, der -- "das weiß jedes Kind, den kate¬
gorischen Jmperativus fand." Fichte reicht in dieser Beziehung
selbst dann nicht an ihn heran, wenn wir die allgemeiner verständliche Seite
seiner Persönlichkeit, die nationalpatriotische, heranziehen. Aber Kant ist sogar
als Philosoph, nicht als etwas andres, jene allbekannte Persönlichkeit; er ist
die Gestalt, durch die sich das deutsche Volk, auch wo es nur wenig mehr als
den Namen kennt und von Philosophie im Grunde nichts weiß, den Be¬
griff dieser wissenschaftlichen Arbeitssphäre in ein Anschauungsbild zu fassen
sucht. Die Ursachen hiervon aufzusuchen wäre anziehend genug. Daß sie uicht
in einer unmittelbaren Volkstümlichkeit und Leichtverständlich^ der Werke des
Königsberger Weisen liegen, sondern in den abgeleiteten Wirkungen dieser Werke,
wer möchte dies bezweifeln? Seit länger als einem Jahrzehnt arbeiten die
scharfsinnigsten Köpfe, die namhaftesten unter den jüngern Fachphilosophen von
neuem an der Auslegung Knuts, wie wenn sein Verständnis bis jetzt noch
wesentlich im Dunkel gelegen hätte. Aber umso entschiedner -- um jener auf
alle Fälle wohlbegründeten Stellung unsrer gesamten Nation zu Kant willen,
und auch wegen des unvergänglichen Wertes seiner Lehre, sei es auch nur als
des fruchtbarsten Anknüpfungspunktes für weitere Erkenntnisse -- umso ent¬
schiedner muß es für eine ernste Pflicht gelten, das Verständnis und die rechte
Würdigung Kants immer vollständiger zu sichern und allen Kreisen des Volkes
zu überliefern.

Wir können uns darum nur freuen, daß diese Angelegenheit ungefähr seit
dem Jubiläum der "Kritik der reinen Vernunft" auch von unsern grünen
Blättern mit Energie in die Hand genommen ist. Gewiß nicht in der Meinung,
als könne es Aufgabe einer derartigen Wochenschrift sein, für eine unter den
verschiednen Kantauslegungen gleichsam Parteistellung zu nehmen, wie sie
dies unmittelbar praktisch eingreifenden oder eingreifen wollenden Zeitteudenzen
gegenüber allerdings zu thun hat. Den besten Beweis dafür, daß es sich für
ein solches Organ nur darum handeln kann, in dieser Frage ein Sprechsaal



*) Das Vorhaben dieses Aufsatzes hat mich beschäftigt, ehe ich von der Laßwitzischen
Angelegenheit etwas wußte, und auch nachher hat mir diese Streitsache, die mich nicht das
D. Verf. mindeste angeht, keinerlei Motive geliehen.
Zur Auslegung Kants/)


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cW^^einem der deutschen Philosophen ist es gelungen, im eigentlichsten
Sinne des Wortes eine populäre Gestalt zu werden, einen Namen
von sprichwörtlichen Klänge unter allerlei Volk sich zu erwerben,
außer Immanuel Kant, der — „das weiß jedes Kind, den kate¬
gorischen Jmperativus fand." Fichte reicht in dieser Beziehung
selbst dann nicht an ihn heran, wenn wir die allgemeiner verständliche Seite
seiner Persönlichkeit, die nationalpatriotische, heranziehen. Aber Kant ist sogar
als Philosoph, nicht als etwas andres, jene allbekannte Persönlichkeit; er ist
die Gestalt, durch die sich das deutsche Volk, auch wo es nur wenig mehr als
den Namen kennt und von Philosophie im Grunde nichts weiß, den Be¬
griff dieser wissenschaftlichen Arbeitssphäre in ein Anschauungsbild zu fassen
sucht. Die Ursachen hiervon aufzusuchen wäre anziehend genug. Daß sie uicht
in einer unmittelbaren Volkstümlichkeit und Leichtverständlich^ der Werke des
Königsberger Weisen liegen, sondern in den abgeleiteten Wirkungen dieser Werke,
wer möchte dies bezweifeln? Seit länger als einem Jahrzehnt arbeiten die
scharfsinnigsten Köpfe, die namhaftesten unter den jüngern Fachphilosophen von
neuem an der Auslegung Knuts, wie wenn sein Verständnis bis jetzt noch
wesentlich im Dunkel gelegen hätte. Aber umso entschiedner — um jener auf
alle Fälle wohlbegründeten Stellung unsrer gesamten Nation zu Kant willen,
und auch wegen des unvergänglichen Wertes seiner Lehre, sei es auch nur als
des fruchtbarsten Anknüpfungspunktes für weitere Erkenntnisse — umso ent¬
schiedner muß es für eine ernste Pflicht gelten, das Verständnis und die rechte
Würdigung Kants immer vollständiger zu sichern und allen Kreisen des Volkes
zu überliefern.

Wir können uns darum nur freuen, daß diese Angelegenheit ungefähr seit
dem Jubiläum der „Kritik der reinen Vernunft" auch von unsern grünen
Blättern mit Energie in die Hand genommen ist. Gewiß nicht in der Meinung,
als könne es Aufgabe einer derartigen Wochenschrift sein, für eine unter den
verschiednen Kantauslegungen gleichsam Parteistellung zu nehmen, wie sie
dies unmittelbar praktisch eingreifenden oder eingreifen wollenden Zeitteudenzen
gegenüber allerdings zu thun hat. Den besten Beweis dafür, daß es sich für
ein solches Organ nur darum handeln kann, in dieser Frage ein Sprechsaal



*) Das Vorhaben dieses Aufsatzes hat mich beschäftigt, ehe ich von der Laßwitzischen
Angelegenheit etwas wußte, und auch nachher hat mir diese Streitsache, die mich nicht das
D. Verf. mindeste angeht, keinerlei Motive geliehen.
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[0590] Zur Auslegung Kants/) ^Ä ^AZ/ cW^^einem der deutschen Philosophen ist es gelungen, im eigentlichsten Sinne des Wortes eine populäre Gestalt zu werden, einen Namen von sprichwörtlichen Klänge unter allerlei Volk sich zu erwerben, außer Immanuel Kant, der — „das weiß jedes Kind, den kate¬ gorischen Jmperativus fand." Fichte reicht in dieser Beziehung selbst dann nicht an ihn heran, wenn wir die allgemeiner verständliche Seite seiner Persönlichkeit, die nationalpatriotische, heranziehen. Aber Kant ist sogar als Philosoph, nicht als etwas andres, jene allbekannte Persönlichkeit; er ist die Gestalt, durch die sich das deutsche Volk, auch wo es nur wenig mehr als den Namen kennt und von Philosophie im Grunde nichts weiß, den Be¬ griff dieser wissenschaftlichen Arbeitssphäre in ein Anschauungsbild zu fassen sucht. Die Ursachen hiervon aufzusuchen wäre anziehend genug. Daß sie uicht in einer unmittelbaren Volkstümlichkeit und Leichtverständlich^ der Werke des Königsberger Weisen liegen, sondern in den abgeleiteten Wirkungen dieser Werke, wer möchte dies bezweifeln? Seit länger als einem Jahrzehnt arbeiten die scharfsinnigsten Köpfe, die namhaftesten unter den jüngern Fachphilosophen von neuem an der Auslegung Knuts, wie wenn sein Verständnis bis jetzt noch wesentlich im Dunkel gelegen hätte. Aber umso entschiedner — um jener auf alle Fälle wohlbegründeten Stellung unsrer gesamten Nation zu Kant willen, und auch wegen des unvergänglichen Wertes seiner Lehre, sei es auch nur als des fruchtbarsten Anknüpfungspunktes für weitere Erkenntnisse — umso ent¬ schiedner muß es für eine ernste Pflicht gelten, das Verständnis und die rechte Würdigung Kants immer vollständiger zu sichern und allen Kreisen des Volkes zu überliefern. Wir können uns darum nur freuen, daß diese Angelegenheit ungefähr seit dem Jubiläum der „Kritik der reinen Vernunft" auch von unsern grünen Blättern mit Energie in die Hand genommen ist. Gewiß nicht in der Meinung, als könne es Aufgabe einer derartigen Wochenschrift sein, für eine unter den verschiednen Kantauslegungen gleichsam Parteistellung zu nehmen, wie sie dies unmittelbar praktisch eingreifenden oder eingreifen wollenden Zeitteudenzen gegenüber allerdings zu thun hat. Den besten Beweis dafür, daß es sich für ein solches Organ nur darum handeln kann, in dieser Frage ein Sprechsaal *) Das Vorhaben dieses Aufsatzes hat mich beschäftigt, ehe ich von der Laßwitzischen Angelegenheit etwas wußte, und auch nachher hat mir diese Streitsache, die mich nicht das D. Verf. mindeste angeht, keinerlei Motive geliehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/590>, abgerufen am 03.07.2024.