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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Gewerbeordnungsnovelle.

oder Trunkenbolde berüchtigt sind, sollen nicht als Repräsentanten des Handels¬
standes im Lande umherziehen? Ist es ehrverletzend für den Kaufmannsstand,
wenn das Gesetz annimmt, auch Persönlichkeiten dieses Gelichters könnten
versuchen, als Geschäftsreisende zu agiren? Die Erfahrung lehrt, daß dem so
ist. Und wenn das Gesetz dies nicht mehr dulden will, so sollte der tüchtige
und ehrenwerte Kaufmann sich dadurch geehrt fühlen. Hat ihn jemand herab¬
gewürdigt, so sind es diejenigen, welche dergleichen geübt haben, und diejenigen,
welche dafür kämpfen, daß solche Subjekte dem Handelsstande erhalten bleiben-

Die ganze Exaltation, mit welcher diese Frage behandelt wird, ist nur zu
erklären aus der Gehässigkeit des Parteigetriebes und aus einer gewissen poli¬
tischen Idiosynkrasie, die einen Teil unsrer Politiker ergriffen hat. Der Handels¬
stand ist nach ihrer Ansicht für die Gesetzgebung ein rwli ins eg-NKsre. Ihm
soll alles erlaubt fein. Jeder Schutz des Publikums gegen seine Übergriffe
ist ein unerträglicher Eingriff in die wirtschaftliche Freiheit, eine Verletzung
der edelsten Kräfte der Nation. Der Abgeordnete Dr. Bamberger, welcher
lange Zeit hindurch geschwiegen hatte, fühlte bei Gelegenheit dieser Frage sich
wieder zu einer längern Rede gedrängt, bei welcher er den Trumpf ausspielte,
daß mit solchen Freiheitsbeschränkungen das deutsche Reich ein Krähwinkel
werde. Nicht ohne Grund erwiederte ihm der Abgeordnete Windthorst, daß man
mit gleichem Rechte das deutsche Reich in seinem Übermaße von wirtschaft¬
licher Freiheit ein Narrenhaus nennen könne.

Am tiefsten zu beklagen ist es, daß die nationalliberale Partei, während
sie bei dem Krankenversicherungsgesetze ihren bessern Traditionen folgte, bei
dieser Gewerbcordnungsnovelle wieder durch einen falschen Liberalismus sich
berücken ließ und sowohl bei vielen Einzelabstimmungen, wie auch bei der
Abstimmung über das Gesetz im ganzen einen negativen Standpunkt einnahm.
Daß die Gewerbefreiheit, wie sie die Gewerbeordnung von 1869 gebracht hat,
auch manche ungesunden Auswüchse gezeitigt hat, darüber ist man in der großen
Menge des Volkes nicht in Zweifel. Gerade diejenigen, welche die Gewerbe¬
freiheit im Grundsatz aufrechterhalten wollen, sollten deshalb bemüht sein, jene
Auswüchse sobald als möglich zu beseitigen. Die nationalliberale Partei hat
daran noch ein besonderes Interesse, da nun einmal jene Auswüchse und die
daraus hervorgegcmgnen Mißstände ihr besonders auf Rechnung gestellt werden,
und je länger dieselben bestehen, die Partei mehr und mehr an Boden im
Volke verlieren wird, während doch von der Erhaltung ihres berechtigten Ein¬
flusses die gedeihliche Entwicklung unsrer Zustände abhängt.




Die Gewerbeordnungsnovelle.

oder Trunkenbolde berüchtigt sind, sollen nicht als Repräsentanten des Handels¬
standes im Lande umherziehen? Ist es ehrverletzend für den Kaufmannsstand,
wenn das Gesetz annimmt, auch Persönlichkeiten dieses Gelichters könnten
versuchen, als Geschäftsreisende zu agiren? Die Erfahrung lehrt, daß dem so
ist. Und wenn das Gesetz dies nicht mehr dulden will, so sollte der tüchtige
und ehrenwerte Kaufmann sich dadurch geehrt fühlen. Hat ihn jemand herab¬
gewürdigt, so sind es diejenigen, welche dergleichen geübt haben, und diejenigen,
welche dafür kämpfen, daß solche Subjekte dem Handelsstande erhalten bleiben-

Die ganze Exaltation, mit welcher diese Frage behandelt wird, ist nur zu
erklären aus der Gehässigkeit des Parteigetriebes und aus einer gewissen poli¬
tischen Idiosynkrasie, die einen Teil unsrer Politiker ergriffen hat. Der Handels¬
stand ist nach ihrer Ansicht für die Gesetzgebung ein rwli ins eg-NKsre. Ihm
soll alles erlaubt fein. Jeder Schutz des Publikums gegen seine Übergriffe
ist ein unerträglicher Eingriff in die wirtschaftliche Freiheit, eine Verletzung
der edelsten Kräfte der Nation. Der Abgeordnete Dr. Bamberger, welcher
lange Zeit hindurch geschwiegen hatte, fühlte bei Gelegenheit dieser Frage sich
wieder zu einer längern Rede gedrängt, bei welcher er den Trumpf ausspielte,
daß mit solchen Freiheitsbeschränkungen das deutsche Reich ein Krähwinkel
werde. Nicht ohne Grund erwiederte ihm der Abgeordnete Windthorst, daß man
mit gleichem Rechte das deutsche Reich in seinem Übermaße von wirtschaft¬
licher Freiheit ein Narrenhaus nennen könne.

Am tiefsten zu beklagen ist es, daß die nationalliberale Partei, während
sie bei dem Krankenversicherungsgesetze ihren bessern Traditionen folgte, bei
dieser Gewerbcordnungsnovelle wieder durch einen falschen Liberalismus sich
berücken ließ und sowohl bei vielen Einzelabstimmungen, wie auch bei der
Abstimmung über das Gesetz im ganzen einen negativen Standpunkt einnahm.
Daß die Gewerbefreiheit, wie sie die Gewerbeordnung von 1869 gebracht hat,
auch manche ungesunden Auswüchse gezeitigt hat, darüber ist man in der großen
Menge des Volkes nicht in Zweifel. Gerade diejenigen, welche die Gewerbe¬
freiheit im Grundsatz aufrechterhalten wollen, sollten deshalb bemüht sein, jene
Auswüchse sobald als möglich zu beseitigen. Die nationalliberale Partei hat
daran noch ein besonderes Interesse, da nun einmal jene Auswüchse und die
daraus hervorgegcmgnen Mißstände ihr besonders auf Rechnung gestellt werden,
und je länger dieselben bestehen, die Partei mehr und mehr an Boden im
Volke verlieren wird, während doch von der Erhaltung ihres berechtigten Ein¬
flusses die gedeihliche Entwicklung unsrer Zustände abhängt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/589>, abgerufen am 22.07.2024.