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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Der Baron lächelte, als er die Friandise bemerkte, mit der sie von den
Speisen kostete. Der Bursche, der Schmidt, ist ein verschmitzter Hund, sagte
er. Ich vermute, der bessere Teil seiner medizinischen Kenntnisse steckt in seinem
Geldbeutel. Er macht sich ein Vermögen, indem er seine Patienten hungern läßt.

Sie haben vollständig Recht, Herr Baron, versetzte Graf Dietrich lachend.
Ich sage beinahe täglich zu Mama, daß wir die Opfer eines Aberglaubens sind.

Du thust sehr Unrecht, mein lieber Dietrich, so zu sprechen, sagte die
Gräfin. Der Algensaft ist dir vortrefflich bekommen, und ich bin der Meinung,
daß Doktor Schmidt von ausgezeichneter Fähigkeit ist. Er flößt mir volles
Vertrauen ein, obwohl ich nicht sehr geneigt bin, auf ärztliche Kunst zu bauen
und Gelegenheit gehabt habe, die berühmtesten Spezialisier! sich irren zu sehen.

Nun, erwiederte ihr Sohn, das ist Glaubenssache, und ich habe bei dem
heutigen hohen Standpunkte der Wissenschaft immer noch mehr Vertrauen zu
der Fakultät als zu den Kunststücke" der Naturburschen. Welche wundervollen
Namen hat doch die medizinische Wissenschaft heutzutage aufzuweisen! Das ist
ein Glück, welches wir nicht unterschätzen sollten.

Mein seliger Vater pflegte zu sagen, bemerkte der Baron, daß es ein sicherer
Beweis für die schlechte Beschaffenheit der Gesellschaft sei, wenn sie ausgezeich¬
nete Ärzte und Richter nötig habe.

El! rief Dietrich und blickte den Baron fragend an, indeni er Messer und
Gabel niederlegte.

Mein seliger Vater hatte Ansichten, die jetzt für barock gelten würden,
sagte der Baron. Er war ein Mann aus der alten Schule. Er hat sein
Leben lang keinen Arzt lind keinen Advokaten angenommen und nannte die
Ärzte und Juristen stets nur Pflasterkasten und Rechtsverdreher. Er hatte aus
seinen Feldzügen die Überzeugung mitgebracht, daß es nur ein einziges Heil¬
mittel gäbe, nämlich den Schaum vom Pferdemaul, und was die Streitigkeiten
betrifft, so kannte er als solide Rechtsmittel nur den Degen und die Pistole.
Wenn er von den Krankheiten hören könnte, die jetzt Mode sind, wo sogar
Männer Nerven haben, und wenn er sähe, welche Geige jetzt die Juristen in
der Staatsverwaltung spielen, da möchte er sich wohl im Grabe umdrehen.

Der Baron sagte das nicht ohne bestimmte Absicht. Es kitzelte ihn, dem
jungen Grafen, der seiner Nerven wegen in Fischbeck war, einen kleinen Hieb
zu versetzen. Dietrich hatte keinen vollkommen befriedigenden Eindruck auf ihn
gemacht. Er schien ihm der Härte zu entbehren, die er von einem Edelmann
verlangte. Dietrich hatte auf dem Spaziergange durch den Park nicht den En¬
thusiasmus für die Kavallerie an den Tag gelegt, den der Baron bei einem
mustergiltigen Schwiegersöhne für wünschenswert hielt. Dietrich hatte allerdings
den französischen Feldzug so gut mitgemacht wie ein andrer und sprach nicht ohne
Verständnis von den Aufgaben der leichten Reiter, in deren Reihen er gestanden
hatte. Aber er schien doch die Mühseligkeiten jener Zeit sehr empfunden zu haben


Grcnzbow, II. 1883, 7
Die Grafen von Altenschwerdt.

Der Baron lächelte, als er die Friandise bemerkte, mit der sie von den
Speisen kostete. Der Bursche, der Schmidt, ist ein verschmitzter Hund, sagte
er. Ich vermute, der bessere Teil seiner medizinischen Kenntnisse steckt in seinem
Geldbeutel. Er macht sich ein Vermögen, indem er seine Patienten hungern läßt.

Sie haben vollständig Recht, Herr Baron, versetzte Graf Dietrich lachend.
Ich sage beinahe täglich zu Mama, daß wir die Opfer eines Aberglaubens sind.

Du thust sehr Unrecht, mein lieber Dietrich, so zu sprechen, sagte die
Gräfin. Der Algensaft ist dir vortrefflich bekommen, und ich bin der Meinung,
daß Doktor Schmidt von ausgezeichneter Fähigkeit ist. Er flößt mir volles
Vertrauen ein, obwohl ich nicht sehr geneigt bin, auf ärztliche Kunst zu bauen
und Gelegenheit gehabt habe, die berühmtesten Spezialisier! sich irren zu sehen.

Nun, erwiederte ihr Sohn, das ist Glaubenssache, und ich habe bei dem
heutigen hohen Standpunkte der Wissenschaft immer noch mehr Vertrauen zu
der Fakultät als zu den Kunststücke» der Naturburschen. Welche wundervollen
Namen hat doch die medizinische Wissenschaft heutzutage aufzuweisen! Das ist
ein Glück, welches wir nicht unterschätzen sollten.

Mein seliger Vater pflegte zu sagen, bemerkte der Baron, daß es ein sicherer
Beweis für die schlechte Beschaffenheit der Gesellschaft sei, wenn sie ausgezeich¬
nete Ärzte und Richter nötig habe.

El! rief Dietrich und blickte den Baron fragend an, indeni er Messer und
Gabel niederlegte.

Mein seliger Vater hatte Ansichten, die jetzt für barock gelten würden,
sagte der Baron. Er war ein Mann aus der alten Schule. Er hat sein
Leben lang keinen Arzt lind keinen Advokaten angenommen und nannte die
Ärzte und Juristen stets nur Pflasterkasten und Rechtsverdreher. Er hatte aus
seinen Feldzügen die Überzeugung mitgebracht, daß es nur ein einziges Heil¬
mittel gäbe, nämlich den Schaum vom Pferdemaul, und was die Streitigkeiten
betrifft, so kannte er als solide Rechtsmittel nur den Degen und die Pistole.
Wenn er von den Krankheiten hören könnte, die jetzt Mode sind, wo sogar
Männer Nerven haben, und wenn er sähe, welche Geige jetzt die Juristen in
der Staatsverwaltung spielen, da möchte er sich wohl im Grabe umdrehen.

Der Baron sagte das nicht ohne bestimmte Absicht. Es kitzelte ihn, dem
jungen Grafen, der seiner Nerven wegen in Fischbeck war, einen kleinen Hieb
zu versetzen. Dietrich hatte keinen vollkommen befriedigenden Eindruck auf ihn
gemacht. Er schien ihm der Härte zu entbehren, die er von einem Edelmann
verlangte. Dietrich hatte auf dem Spaziergange durch den Park nicht den En¬
thusiasmus für die Kavallerie an den Tag gelegt, den der Baron bei einem
mustergiltigen Schwiegersöhne für wünschenswert hielt. Dietrich hatte allerdings
den französischen Feldzug so gut mitgemacht wie ein andrer und sprach nicht ohne
Verständnis von den Aufgaben der leichten Reiter, in deren Reihen er gestanden
hatte. Aber er schien doch die Mühseligkeiten jener Zeit sehr empfunden zu haben


Grcnzbow, II. 1883, 7
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/57>, abgerufen am 01.10.2024.