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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

folgen und das ihr so durchaus sympathische, entzückende, schöne Geschöpf an
ihren Busen zu drücken. Aber doch machte die Freundschaft innerlich eher Rück¬
schritte als Fortschritte. Dorotheens klaren und von idealer Gesinnung durch¬
geistigten Züge nahmen eine immer festere Geschlossenheit an und näherten sich
in ihrer Ruhe der Unbeweglichkeit eines marmornen Antlitzes.

Von Zeit zu Zeit flog ihr Blick suchend in der Richtung des Schlosses
hin, als wollte er das Dickicht der vielfach hintereinander liegenden Baumgruppen
durchdringen, und sie fragte sich in unbehaglicher Erwartung, warum Eberhardt
noch nicht komme. Sie hatte Weisung zurückgelassen, ihn zum Schießplatz zu
führen, falls er käme, und zudem mußte ihn, wenn er überhaupt schon gekommen
war, der Knall der Schüsse schon von ferne über den Ort unterrichten, wo er
die Gesellschaft treffen würde. Warum kam er nicht, wo seine Gegenwart ihr
doch so besonders lieb gewesen sein würde, wo sie so gern ihr sich zusammen¬
ziehendes Herz einem warmen Lichtstrahl eröffnet hätte, wo er doch auch be¬
sonders eingeladen war? Sie sah den blauen Nebel, der sich in den Tiefen des
Gehölzes bildete, immer mehr sich ausbreiten und das völlige Herabsinken der
Sonne verkünden, und mit einer Regung unerträglicher Ungeduld erhob sie sich
und erinnerte daran, daß es Zeit sei, zum Essen zu gehen. Sie bemerkte in
diesem Augenblick Graf Dietrichs Miene mit dem Ausdruck sympathischen Inter¬
esses ihr zugewandt, und als er ihr gleich darauf deu Arm bot, nahm sie ihn
haftig an und ging mit ihm vorauf.

Dietrich gefiel ihr recht gut. Es war etwas kluges und anschmiegendes
in seinem Wesen, und er wußte stets Gegenstände zu berühren, die so fern lagen,
daß man mit voller Unbefangenheit über sie reden konnte. Er schien mit feinem
Instinkt zu erraten, daß sein Gespräch mit ihr dann am leichtesten und heitersten
verlief, wenn es Dinge betraf, welche weder sie noch ihn selbst betrafen. Er
erging sich jetzt über die Zustände der Theater in Paris und wußte ein so er¬
götzliches Bild der Rivalität der Autoren und der Intriguen der Bühnenkünstler
zu geben, daß Dorothea lachen mußte. Graf Dietrich schien in die geheimsten
Vorgänge hinter den Kulissen eingeweiht zu sein.

Bei ihrer Ankunft im Schlosse zeigte sich, daß Eberhardt nicht dort war,
und Dorothea ließ sein Gedeck vom Tische entfernen, ehe der kleine Kreis sich
im Speisezimmer versammelte. Sie konnte kaum ihre Thränen zurückhalten in
dem Augenblick, wo sie diesen Befehl gab.

In angeregter Stimmung ließ man sich, mit Ausnahme von Dorothea,
die ausgewühlten Gerichte, welche der erprobte Koch zubereitet hatte, schmecken
und that den vorzüglichen Weinen alle Ehre an. Gräfin Sibylle erklärte, daß
es ihr ausnehmend wohlthue, die Küche des Herrn Doktor Schmidt einmal mit
einer andern vertauschen zu dürfen, und führte mit vollem Verständnis das zarte,
mit feinen" Larose gefüllte Glas zu den Lippen.


Die Grafen von Altenschwerdt.

folgen und das ihr so durchaus sympathische, entzückende, schöne Geschöpf an
ihren Busen zu drücken. Aber doch machte die Freundschaft innerlich eher Rück¬
schritte als Fortschritte. Dorotheens klaren und von idealer Gesinnung durch¬
geistigten Züge nahmen eine immer festere Geschlossenheit an und näherten sich
in ihrer Ruhe der Unbeweglichkeit eines marmornen Antlitzes.

Von Zeit zu Zeit flog ihr Blick suchend in der Richtung des Schlosses
hin, als wollte er das Dickicht der vielfach hintereinander liegenden Baumgruppen
durchdringen, und sie fragte sich in unbehaglicher Erwartung, warum Eberhardt
noch nicht komme. Sie hatte Weisung zurückgelassen, ihn zum Schießplatz zu
führen, falls er käme, und zudem mußte ihn, wenn er überhaupt schon gekommen
war, der Knall der Schüsse schon von ferne über den Ort unterrichten, wo er
die Gesellschaft treffen würde. Warum kam er nicht, wo seine Gegenwart ihr
doch so besonders lieb gewesen sein würde, wo sie so gern ihr sich zusammen¬
ziehendes Herz einem warmen Lichtstrahl eröffnet hätte, wo er doch auch be¬
sonders eingeladen war? Sie sah den blauen Nebel, der sich in den Tiefen des
Gehölzes bildete, immer mehr sich ausbreiten und das völlige Herabsinken der
Sonne verkünden, und mit einer Regung unerträglicher Ungeduld erhob sie sich
und erinnerte daran, daß es Zeit sei, zum Essen zu gehen. Sie bemerkte in
diesem Augenblick Graf Dietrichs Miene mit dem Ausdruck sympathischen Inter¬
esses ihr zugewandt, und als er ihr gleich darauf deu Arm bot, nahm sie ihn
haftig an und ging mit ihm vorauf.

Dietrich gefiel ihr recht gut. Es war etwas kluges und anschmiegendes
in seinem Wesen, und er wußte stets Gegenstände zu berühren, die so fern lagen,
daß man mit voller Unbefangenheit über sie reden konnte. Er schien mit feinem
Instinkt zu erraten, daß sein Gespräch mit ihr dann am leichtesten und heitersten
verlief, wenn es Dinge betraf, welche weder sie noch ihn selbst betrafen. Er
erging sich jetzt über die Zustände der Theater in Paris und wußte ein so er¬
götzliches Bild der Rivalität der Autoren und der Intriguen der Bühnenkünstler
zu geben, daß Dorothea lachen mußte. Graf Dietrich schien in die geheimsten
Vorgänge hinter den Kulissen eingeweiht zu sein.

Bei ihrer Ankunft im Schlosse zeigte sich, daß Eberhardt nicht dort war,
und Dorothea ließ sein Gedeck vom Tische entfernen, ehe der kleine Kreis sich
im Speisezimmer versammelte. Sie konnte kaum ihre Thränen zurückhalten in
dem Augenblick, wo sie diesen Befehl gab.

In angeregter Stimmung ließ man sich, mit Ausnahme von Dorothea,
die ausgewühlten Gerichte, welche der erprobte Koch zubereitet hatte, schmecken
und that den vorzüglichen Weinen alle Ehre an. Gräfin Sibylle erklärte, daß
es ihr ausnehmend wohlthue, die Küche des Herrn Doktor Schmidt einmal mit
einer andern vertauschen zu dürfen, und führte mit vollem Verständnis das zarte,
mit feinen« Larose gefüllte Glas zu den Lippen.


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[0056] Die Grafen von Altenschwerdt. folgen und das ihr so durchaus sympathische, entzückende, schöne Geschöpf an ihren Busen zu drücken. Aber doch machte die Freundschaft innerlich eher Rück¬ schritte als Fortschritte. Dorotheens klaren und von idealer Gesinnung durch¬ geistigten Züge nahmen eine immer festere Geschlossenheit an und näherten sich in ihrer Ruhe der Unbeweglichkeit eines marmornen Antlitzes. Von Zeit zu Zeit flog ihr Blick suchend in der Richtung des Schlosses hin, als wollte er das Dickicht der vielfach hintereinander liegenden Baumgruppen durchdringen, und sie fragte sich in unbehaglicher Erwartung, warum Eberhardt noch nicht komme. Sie hatte Weisung zurückgelassen, ihn zum Schießplatz zu führen, falls er käme, und zudem mußte ihn, wenn er überhaupt schon gekommen war, der Knall der Schüsse schon von ferne über den Ort unterrichten, wo er die Gesellschaft treffen würde. Warum kam er nicht, wo seine Gegenwart ihr doch so besonders lieb gewesen sein würde, wo sie so gern ihr sich zusammen¬ ziehendes Herz einem warmen Lichtstrahl eröffnet hätte, wo er doch auch be¬ sonders eingeladen war? Sie sah den blauen Nebel, der sich in den Tiefen des Gehölzes bildete, immer mehr sich ausbreiten und das völlige Herabsinken der Sonne verkünden, und mit einer Regung unerträglicher Ungeduld erhob sie sich und erinnerte daran, daß es Zeit sei, zum Essen zu gehen. Sie bemerkte in diesem Augenblick Graf Dietrichs Miene mit dem Ausdruck sympathischen Inter¬ esses ihr zugewandt, und als er ihr gleich darauf deu Arm bot, nahm sie ihn haftig an und ging mit ihm vorauf. Dietrich gefiel ihr recht gut. Es war etwas kluges und anschmiegendes in seinem Wesen, und er wußte stets Gegenstände zu berühren, die so fern lagen, daß man mit voller Unbefangenheit über sie reden konnte. Er schien mit feinem Instinkt zu erraten, daß sein Gespräch mit ihr dann am leichtesten und heitersten verlief, wenn es Dinge betraf, welche weder sie noch ihn selbst betrafen. Er erging sich jetzt über die Zustände der Theater in Paris und wußte ein so er¬ götzliches Bild der Rivalität der Autoren und der Intriguen der Bühnenkünstler zu geben, daß Dorothea lachen mußte. Graf Dietrich schien in die geheimsten Vorgänge hinter den Kulissen eingeweiht zu sein. Bei ihrer Ankunft im Schlosse zeigte sich, daß Eberhardt nicht dort war, und Dorothea ließ sein Gedeck vom Tische entfernen, ehe der kleine Kreis sich im Speisezimmer versammelte. Sie konnte kaum ihre Thränen zurückhalten in dem Augenblick, wo sie diesen Befehl gab. In angeregter Stimmung ließ man sich, mit Ausnahme von Dorothea, die ausgewühlten Gerichte, welche der erprobte Koch zubereitet hatte, schmecken und that den vorzüglichen Weinen alle Ehre an. Gräfin Sibylle erklärte, daß es ihr ausnehmend wohlthue, die Küche des Herrn Doktor Schmidt einmal mit einer andern vertauschen zu dürfen, und führte mit vollem Verständnis das zarte, mit feinen« Larose gefüllte Glas zu den Lippen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/56>, abgerufen am 03.07.2024.