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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

und blickte darauf mit der Ansicht eines Mannes zurück, der froh ist, ein not¬
wendiges Übel hinter sich zu haben. Ja er hatte sogar zwei Bemerkungen ge¬
macht, die dem Baron entschieden mißfielen. Er hatte die Behauptung auf¬
gestellt, die Artillerie werde in Zukunft die erste Waffe werden, und hatte
gemeint, der Angriff von Kavallerie auf intakte Infanterie sei ein nutzloses Hin¬
schlachten von Mann und Pferd.

Graf Dietrich errötete, als der Baron in tadelnder Weise der männlichen
Nerven Erwähnung that, und wollte darauf etwas entgegnen. Aber als er
schon den Mund öffnete, schlug ein leises Husten an sein Ohr, und er begeg¬
nete dem Blicke seiner Mutter. Er machte den Mund wieder zu und ergriff
von neuem Messer und Gabel.

Inzwischen nahm der alte General den Faden des Gesprächs auf. Wenn
ich die Meinung Ihres seligen Vaters recht verstanden habe, Herr Nachbar,
sagte er, so war es die, daß in einem gesunden und tüchtigen Staate sowohl
die Krankheiten als auch die Rechtshändel so einfacher Art sein müßten, daß
schon die gewöhnlichste Kunst sie zu heilen und der gesunde Menschenverstand
sie zu schlichten imstande sein müßten. Von einem solchen Ideale sind wir
allerdings weit entfernt. Es bringt mich dies auf die alte Frage, ob ein Arzt
selbst kränklich sein darf oder ob er sehr gesund sein muß, und ob ein Richter
selbst ein schlechter Kerl sein darf oder ob er rechtschaffen sein muß. Denn
beide, so argumentiren die Philosophen, sollen heilen: die einen die Körper von
ihren Krankheiten, die andern die Seelen von ihren Schlechtigkeiten, indem diese
ja auch nur Krankheit und die gesetzmäßigen Strafen deren Heilmittel seien.

Nach meiner Erfahrung, sagte die Gräfin, ist es besser, wenn ein Arzt
selbst Krankheiten durchgemacht hat. Es giebt da so robuste Leute, die selbst
alles vertragen können und deshalb ihren Patienten wahre Pferdekuren zu¬
muten. Ich erinnere mich eines Oberstabsarztes, den mein seliger Gemahl aus
alter Anhänglichkeit zu konsultiren pflegte, und der bei jedem Unwohlsein eine
Flasche Nauenthaler verordnete. Weil er selbst täglich mehrere Flaschen dieses
edeln Getränkes in ungetrübter Gesundheit zu sich nahm, dachte er, das müßte
andern Leuten auch gesund sein. Dem Grafen aber bekam es sehr schlecht, wenn
er sich einmal überreden ließ, dem braven Manne zu folgen. El" schwächlicher
Arzt aber kann sich leichter in kranker Leute Zustände hineindenken. Deshalb
sollte ich denken, auch ein Richter käme den Schlichen der Verbrecher am besten
auf die Spur, wenn er selbst eine gewisse Erfahrung darin durchgemacht hätte.
Ein rechtlicher und ehrenhafter Mann wird die Leute immer zu hoch taxiren.
Nimmt man doch auch zu den Detectives und Geheimpolizisten mit Vorliebe
frühere Verbrecher.

O ja, entgegnete der General, aber man hat dagegen noch etwas einge¬
worfen. Man sagt, daß der Arzt zwar körperlich krank sein dürfe, da er ja
durch seine geistigen Fähigkeiten kranke Körper heilt, daß der Richter aber,


Die Grafen von Altenschwerdt.

und blickte darauf mit der Ansicht eines Mannes zurück, der froh ist, ein not¬
wendiges Übel hinter sich zu haben. Ja er hatte sogar zwei Bemerkungen ge¬
macht, die dem Baron entschieden mißfielen. Er hatte die Behauptung auf¬
gestellt, die Artillerie werde in Zukunft die erste Waffe werden, und hatte
gemeint, der Angriff von Kavallerie auf intakte Infanterie sei ein nutzloses Hin¬
schlachten von Mann und Pferd.

Graf Dietrich errötete, als der Baron in tadelnder Weise der männlichen
Nerven Erwähnung that, und wollte darauf etwas entgegnen. Aber als er
schon den Mund öffnete, schlug ein leises Husten an sein Ohr, und er begeg¬
nete dem Blicke seiner Mutter. Er machte den Mund wieder zu und ergriff
von neuem Messer und Gabel.

Inzwischen nahm der alte General den Faden des Gesprächs auf. Wenn
ich die Meinung Ihres seligen Vaters recht verstanden habe, Herr Nachbar,
sagte er, so war es die, daß in einem gesunden und tüchtigen Staate sowohl
die Krankheiten als auch die Rechtshändel so einfacher Art sein müßten, daß
schon die gewöhnlichste Kunst sie zu heilen und der gesunde Menschenverstand
sie zu schlichten imstande sein müßten. Von einem solchen Ideale sind wir
allerdings weit entfernt. Es bringt mich dies auf die alte Frage, ob ein Arzt
selbst kränklich sein darf oder ob er sehr gesund sein muß, und ob ein Richter
selbst ein schlechter Kerl sein darf oder ob er rechtschaffen sein muß. Denn
beide, so argumentiren die Philosophen, sollen heilen: die einen die Körper von
ihren Krankheiten, die andern die Seelen von ihren Schlechtigkeiten, indem diese
ja auch nur Krankheit und die gesetzmäßigen Strafen deren Heilmittel seien.

Nach meiner Erfahrung, sagte die Gräfin, ist es besser, wenn ein Arzt
selbst Krankheiten durchgemacht hat. Es giebt da so robuste Leute, die selbst
alles vertragen können und deshalb ihren Patienten wahre Pferdekuren zu¬
muten. Ich erinnere mich eines Oberstabsarztes, den mein seliger Gemahl aus
alter Anhänglichkeit zu konsultiren pflegte, und der bei jedem Unwohlsein eine
Flasche Nauenthaler verordnete. Weil er selbst täglich mehrere Flaschen dieses
edeln Getränkes in ungetrübter Gesundheit zu sich nahm, dachte er, das müßte
andern Leuten auch gesund sein. Dem Grafen aber bekam es sehr schlecht, wenn
er sich einmal überreden ließ, dem braven Manne zu folgen. El» schwächlicher
Arzt aber kann sich leichter in kranker Leute Zustände hineindenken. Deshalb
sollte ich denken, auch ein Richter käme den Schlichen der Verbrecher am besten
auf die Spur, wenn er selbst eine gewisse Erfahrung darin durchgemacht hätte.
Ein rechtlicher und ehrenhafter Mann wird die Leute immer zu hoch taxiren.
Nimmt man doch auch zu den Detectives und Geheimpolizisten mit Vorliebe
frühere Verbrecher.

O ja, entgegnete der General, aber man hat dagegen noch etwas einge¬
worfen. Man sagt, daß der Arzt zwar körperlich krank sein dürfe, da er ja
durch seine geistigen Fähigkeiten kranke Körper heilt, daß der Richter aber,


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[0058] Die Grafen von Altenschwerdt. und blickte darauf mit der Ansicht eines Mannes zurück, der froh ist, ein not¬ wendiges Übel hinter sich zu haben. Ja er hatte sogar zwei Bemerkungen ge¬ macht, die dem Baron entschieden mißfielen. Er hatte die Behauptung auf¬ gestellt, die Artillerie werde in Zukunft die erste Waffe werden, und hatte gemeint, der Angriff von Kavallerie auf intakte Infanterie sei ein nutzloses Hin¬ schlachten von Mann und Pferd. Graf Dietrich errötete, als der Baron in tadelnder Weise der männlichen Nerven Erwähnung that, und wollte darauf etwas entgegnen. Aber als er schon den Mund öffnete, schlug ein leises Husten an sein Ohr, und er begeg¬ nete dem Blicke seiner Mutter. Er machte den Mund wieder zu und ergriff von neuem Messer und Gabel. Inzwischen nahm der alte General den Faden des Gesprächs auf. Wenn ich die Meinung Ihres seligen Vaters recht verstanden habe, Herr Nachbar, sagte er, so war es die, daß in einem gesunden und tüchtigen Staate sowohl die Krankheiten als auch die Rechtshändel so einfacher Art sein müßten, daß schon die gewöhnlichste Kunst sie zu heilen und der gesunde Menschenverstand sie zu schlichten imstande sein müßten. Von einem solchen Ideale sind wir allerdings weit entfernt. Es bringt mich dies auf die alte Frage, ob ein Arzt selbst kränklich sein darf oder ob er sehr gesund sein muß, und ob ein Richter selbst ein schlechter Kerl sein darf oder ob er rechtschaffen sein muß. Denn beide, so argumentiren die Philosophen, sollen heilen: die einen die Körper von ihren Krankheiten, die andern die Seelen von ihren Schlechtigkeiten, indem diese ja auch nur Krankheit und die gesetzmäßigen Strafen deren Heilmittel seien. Nach meiner Erfahrung, sagte die Gräfin, ist es besser, wenn ein Arzt selbst Krankheiten durchgemacht hat. Es giebt da so robuste Leute, die selbst alles vertragen können und deshalb ihren Patienten wahre Pferdekuren zu¬ muten. Ich erinnere mich eines Oberstabsarztes, den mein seliger Gemahl aus alter Anhänglichkeit zu konsultiren pflegte, und der bei jedem Unwohlsein eine Flasche Nauenthaler verordnete. Weil er selbst täglich mehrere Flaschen dieses edeln Getränkes in ungetrübter Gesundheit zu sich nahm, dachte er, das müßte andern Leuten auch gesund sein. Dem Grafen aber bekam es sehr schlecht, wenn er sich einmal überreden ließ, dem braven Manne zu folgen. El» schwächlicher Arzt aber kann sich leichter in kranker Leute Zustände hineindenken. Deshalb sollte ich denken, auch ein Richter käme den Schlichen der Verbrecher am besten auf die Spur, wenn er selbst eine gewisse Erfahrung darin durchgemacht hätte. Ein rechtlicher und ehrenhafter Mann wird die Leute immer zu hoch taxiren. Nimmt man doch auch zu den Detectives und Geheimpolizisten mit Vorliebe frühere Verbrecher. O ja, entgegnete der General, aber man hat dagegen noch etwas einge¬ worfen. Man sagt, daß der Arzt zwar körperlich krank sein dürfe, da er ja durch seine geistigen Fähigkeiten kranke Körper heilt, daß der Richter aber,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/58>, abgerufen am 03.07.2024.