Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.Die Kinderarmut in Frankreich. s ist bekannt, daß das Anwachsen der Bevölkerung in Frankreich Die Antragsteller beginnen die Erörterung ihrer Motive zu dem Gesetzes-- Die Kinderarmut in Frankreich. s ist bekannt, daß das Anwachsen der Bevölkerung in Frankreich Die Antragsteller beginnen die Erörterung ihrer Motive zu dem Gesetzes-- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0568" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153317"/> </div> <div n="1"> <head> Die Kinderarmut in Frankreich.</head><lb/> <p xml:id="ID_2184"> s ist bekannt, daß das Anwachsen der Bevölkerung in Frankreich<lb/> sich viel langsamer gestaltet als in den ihm benachbarten Ländern<lb/> Deutschland, England und Italien, Die Erkenntnis dieser That¬<lb/> sache hat die Franzosen schon geraume Zeit, besonders aber seit<lb/> dem Kriege von 1870—71, stark beunruhigt. Es ist ihnen peinlich,<lb/> bei jeder Zählung aufs neue konstatiren zu müssen, daß sie hinsichtlich der Ziffer<lb/> des Überschusses der Geborenen über die Gestorbenen hinter andern Nationen<lb/> so bedeutend zurückbleiben. Diese patriotische Beklemmung führte bereits zum<lb/> Erlaß eines Kinderschutzgesetzes, welches bald nach Beendigung des deutsch-fran¬<lb/> zösischen Krieges zur Beratung gestellt und im Jahre 1874 publizirt wurde.<lb/> Dieselbe Beklemmung ist es auch, welche vor kurzem die vier Deputirten Bacher,<lb/> Jean David, Levee und Audiffret veranlaßt hat, einen Gesetzvorschlag einzu¬<lb/> bringen, der sich mit den einer Steigerung der Bevölkerungsziffer förderlichen<lb/> Maßnahmen beschäftigt. Er führt die Bezeichnung kroxosition Ah loi relative<lb/> ü, ta, Äo'xoxulÄtion cle 1a ?rg,nos et aux nrovens et'v reineäier, und verdient<lb/> sowohl um seiner selbst als um der Motive willen, die ihn: beigegeben worden<lb/> sind, ein hohes Interesse, weil er ein bedeutsames Zeichen der Zeit ist und uns<lb/> Gelegenheit bietet, einen lehrreichen Blick in das französische Leben zu thun.</p><lb/> <p xml:id="ID_2185" next="#ID_2186"> Die Antragsteller beginnen die Erörterung ihrer Motive zu dem Gesetzes--<lb/> vorschlage mit einem Hinweise auf das Faktum, daß Frankreich, obgleich es<lb/> jährlich nur etwa 6000 Individuen, oder vierzigmal weniger als Deutschland,<lb/> durch Auswanderung verliere und eine sehr erhebliche Zahl durch Einwanderung<lb/> gewinne, trotzdem in der Bevölkerungszunahme auffällig zurückbleibe. Sie zeigen<lb/> dann, was auch durchaus richtig ist, daß der Grund für diese Thatsache vor¬<lb/> nehmlich in der außerordentlichen Abnahme der Zahl der Geburten zu suchen<lb/> sei. Noch vor einem Jahrhundert wurden in Frankreich jährlich 38 Kinder auf<lb/> 1000 Einwohner geboren, 1870 ihrer nur noch 31, und 1880—1882 sogar<lb/> nur 25. Was das bedeutet, wird jeder verstehen, der sich vergegenwärtigt, wie<lb/> sich die Geburtsziffer in den andern europäischen Ländern verhält. Sie ist in<lb/> ganz Europa etwa 36 auf 1000. in Deutschland 39 auf 1000, in Österreich<lb/> und Italien 38 auf 1000. Kein einziges Land zeigt eine so geringe Zahl der<lb/> Geburten wie das noch dazu so reiche Frankreich; selbst Irland mit seinem<lb/> Elend und der starken Auswanderung von Erwachsenen ist um 2 Promille<lb/> günstiger gestellt. Der Bericht der vier Deputirten hat also nicht zu schwarz</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0568]
Die Kinderarmut in Frankreich.
s ist bekannt, daß das Anwachsen der Bevölkerung in Frankreich
sich viel langsamer gestaltet als in den ihm benachbarten Ländern
Deutschland, England und Italien, Die Erkenntnis dieser That¬
sache hat die Franzosen schon geraume Zeit, besonders aber seit
dem Kriege von 1870—71, stark beunruhigt. Es ist ihnen peinlich,
bei jeder Zählung aufs neue konstatiren zu müssen, daß sie hinsichtlich der Ziffer
des Überschusses der Geborenen über die Gestorbenen hinter andern Nationen
so bedeutend zurückbleiben. Diese patriotische Beklemmung führte bereits zum
Erlaß eines Kinderschutzgesetzes, welches bald nach Beendigung des deutsch-fran¬
zösischen Krieges zur Beratung gestellt und im Jahre 1874 publizirt wurde.
Dieselbe Beklemmung ist es auch, welche vor kurzem die vier Deputirten Bacher,
Jean David, Levee und Audiffret veranlaßt hat, einen Gesetzvorschlag einzu¬
bringen, der sich mit den einer Steigerung der Bevölkerungsziffer förderlichen
Maßnahmen beschäftigt. Er führt die Bezeichnung kroxosition Ah loi relative
ü, ta, Äo'xoxulÄtion cle 1a ?rg,nos et aux nrovens et'v reineäier, und verdient
sowohl um seiner selbst als um der Motive willen, die ihn: beigegeben worden
sind, ein hohes Interesse, weil er ein bedeutsames Zeichen der Zeit ist und uns
Gelegenheit bietet, einen lehrreichen Blick in das französische Leben zu thun.
Die Antragsteller beginnen die Erörterung ihrer Motive zu dem Gesetzes--
vorschlage mit einem Hinweise auf das Faktum, daß Frankreich, obgleich es
jährlich nur etwa 6000 Individuen, oder vierzigmal weniger als Deutschland,
durch Auswanderung verliere und eine sehr erhebliche Zahl durch Einwanderung
gewinne, trotzdem in der Bevölkerungszunahme auffällig zurückbleibe. Sie zeigen
dann, was auch durchaus richtig ist, daß der Grund für diese Thatsache vor¬
nehmlich in der außerordentlichen Abnahme der Zahl der Geburten zu suchen
sei. Noch vor einem Jahrhundert wurden in Frankreich jährlich 38 Kinder auf
1000 Einwohner geboren, 1870 ihrer nur noch 31, und 1880—1882 sogar
nur 25. Was das bedeutet, wird jeder verstehen, der sich vergegenwärtigt, wie
sich die Geburtsziffer in den andern europäischen Ländern verhält. Sie ist in
ganz Europa etwa 36 auf 1000. in Deutschland 39 auf 1000, in Österreich
und Italien 38 auf 1000. Kein einziges Land zeigt eine so geringe Zahl der
Geburten wie das noch dazu so reiche Frankreich; selbst Irland mit seinem
Elend und der starken Auswanderung von Erwachsenen ist um 2 Promille
günstiger gestellt. Der Bericht der vier Deputirten hat also nicht zu schwarz
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