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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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vie Rinderarmut in Frankreich.

gemalt, sondern die reine Wahrheit gesprochen. Frankreich ist thatsächlich kinder¬
arm. Dies soll nun nach der Ansicht der Antragsteller eine Folge mehrerer
Momente sein, nämlich erstens des militärischen Cölibats, zweitens des priester¬
lichen Cölibats, drittens der großen Zahl unehelicher Verbindungen und endlich
der Zerstückelung des Grundbesitzes.

Was den Kriegsdienst betrifft, so bedauern die Antragsteller, daß er den
Termin der Eheschließung um mehrere Jahre verzögere und dadurch die Ehe
selbst weniger fruchtbar mache. Sie wünschen deshalb eine Herabsetzung der
Präsenzzeit auf drei Jahre, ohne sie jedoch im Gesetzentwurfe selbst zu fordern.
Über die Ehelosigkeit der Priester sprechen sie in den Motive" sich nicht näher
aus. Von dem illegitimen Zusammenleben der Männer und Frauen behaupten
sie, daß es zumal in den großen Städten außerordentlich zunehme, und weisen
darauf hin, daß in Konkubinaten entschieden weniger Kinder als in der Ehe
erzeugt würden, daß auch illegitime Sprößlinge eine ungleich größere Sterb¬
lichkeit zeigten als legitime. Schließlich wird die notorisch geringe Frucht¬
barkeit der Ehen in Frankreich auf das moresllöraent as xropriöt6, die
Zerstückelung des Besitzes, zurückgeführt, ein weiterer Grund nicht einmal an¬
gedeutet.

Damit ist der wesentliche Inhalt der Motive gezeichnet, welche dem Gesetz¬
vorschlage beigefügt worden sind. Dieser letztere selbst verlangt nun zum Zwecke einer
Steigerung der Volkszahl Frankreichs folgendes. Gewisse auf die Eintragung
von Mobiliar- und Jmmobiliarwerten zu entrichtende Gebühren sollen künftig
für Hagestolze das doppelte des gewöhnlichen Satzes betragen. Ferner soll
jedem Familienvater, der sechs lebende Kinder hat, das Recht zustehen, eines
derselben einer öffentlichen Unterrichtsanstalt zur Erziehung ans Staatskosten
zu überweisen. Bischöfen, Erzbischöfen, Obern und Oberinnen von Orden ist
es zu verbieten, daß sie der Verheiratung solcher Personen, welche unter ihrer
Jurisdiktion leben, irgend ein Hindernis in den Weg legen. Von den Inhabern
einer Fabrik oder Werkstätte, in welcher Frauen beschäftigt werden, soll für das
Vorhandensein eines geeigneten Raumes gesorgt werden, in welchem Mütter ihre
.Kinder stillen können. Den Kommunen ist die Verpflichtung aufzuerlegen, daß
sie die M<Z8-wörs8 iidanännnöss, welche ihre Kinder bei sich großziehen wollen,
angemessen unterstützen. Zum Schutze und zur Überwachung der sutant-s asslM",
also der armen, aus öffentlichen Fonds unterstützten Kinder, soll eine besondre
Sanitätsbehörde geschaffen werden, die auch über die Sterblichkeit und die vor¬
nehmsten Krankheiten derselben sich zu informiren und an die Negierung darüber
zu berichten hat. Die Impfung soll fortan obligatorisch sein. Endlich sind
an Väter, besonders der Arbeiterklasse, mit zahlreicher Familie Ehrenmedailleu
zu verteilen.

Betrachten wir diesen Gesetzesvorschlag mit seinen Motiven uns etwas näher
und ohne Vorurteil. Aus patriotischer Gesinnung hervorgegangen, hat er gewiß


Grenzboten II. 1883. 71
vie Rinderarmut in Frankreich.

gemalt, sondern die reine Wahrheit gesprochen. Frankreich ist thatsächlich kinder¬
arm. Dies soll nun nach der Ansicht der Antragsteller eine Folge mehrerer
Momente sein, nämlich erstens des militärischen Cölibats, zweitens des priester¬
lichen Cölibats, drittens der großen Zahl unehelicher Verbindungen und endlich
der Zerstückelung des Grundbesitzes.

Was den Kriegsdienst betrifft, so bedauern die Antragsteller, daß er den
Termin der Eheschließung um mehrere Jahre verzögere und dadurch die Ehe
selbst weniger fruchtbar mache. Sie wünschen deshalb eine Herabsetzung der
Präsenzzeit auf drei Jahre, ohne sie jedoch im Gesetzentwurfe selbst zu fordern.
Über die Ehelosigkeit der Priester sprechen sie in den Motive» sich nicht näher
aus. Von dem illegitimen Zusammenleben der Männer und Frauen behaupten
sie, daß es zumal in den großen Städten außerordentlich zunehme, und weisen
darauf hin, daß in Konkubinaten entschieden weniger Kinder als in der Ehe
erzeugt würden, daß auch illegitime Sprößlinge eine ungleich größere Sterb¬
lichkeit zeigten als legitime. Schließlich wird die notorisch geringe Frucht¬
barkeit der Ehen in Frankreich auf das moresllöraent as xropriöt6, die
Zerstückelung des Besitzes, zurückgeführt, ein weiterer Grund nicht einmal an¬
gedeutet.

Damit ist der wesentliche Inhalt der Motive gezeichnet, welche dem Gesetz¬
vorschlage beigefügt worden sind. Dieser letztere selbst verlangt nun zum Zwecke einer
Steigerung der Volkszahl Frankreichs folgendes. Gewisse auf die Eintragung
von Mobiliar- und Jmmobiliarwerten zu entrichtende Gebühren sollen künftig
für Hagestolze das doppelte des gewöhnlichen Satzes betragen. Ferner soll
jedem Familienvater, der sechs lebende Kinder hat, das Recht zustehen, eines
derselben einer öffentlichen Unterrichtsanstalt zur Erziehung ans Staatskosten
zu überweisen. Bischöfen, Erzbischöfen, Obern und Oberinnen von Orden ist
es zu verbieten, daß sie der Verheiratung solcher Personen, welche unter ihrer
Jurisdiktion leben, irgend ein Hindernis in den Weg legen. Von den Inhabern
einer Fabrik oder Werkstätte, in welcher Frauen beschäftigt werden, soll für das
Vorhandensein eines geeigneten Raumes gesorgt werden, in welchem Mütter ihre
.Kinder stillen können. Den Kommunen ist die Verpflichtung aufzuerlegen, daß
sie die M<Z8-wörs8 iidanännnöss, welche ihre Kinder bei sich großziehen wollen,
angemessen unterstützen. Zum Schutze und zur Überwachung der sutant-s asslM«,
also der armen, aus öffentlichen Fonds unterstützten Kinder, soll eine besondre
Sanitätsbehörde geschaffen werden, die auch über die Sterblichkeit und die vor¬
nehmsten Krankheiten derselben sich zu informiren und an die Negierung darüber
zu berichten hat. Die Impfung soll fortan obligatorisch sein. Endlich sind
an Väter, besonders der Arbeiterklasse, mit zahlreicher Familie Ehrenmedailleu
zu verteilen.

Betrachten wir diesen Gesetzesvorschlag mit seinen Motiven uns etwas näher
und ohne Vorurteil. Aus patriotischer Gesinnung hervorgegangen, hat er gewiß


Grenzboten II. 1883. 71
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[0569] vie Rinderarmut in Frankreich. gemalt, sondern die reine Wahrheit gesprochen. Frankreich ist thatsächlich kinder¬ arm. Dies soll nun nach der Ansicht der Antragsteller eine Folge mehrerer Momente sein, nämlich erstens des militärischen Cölibats, zweitens des priester¬ lichen Cölibats, drittens der großen Zahl unehelicher Verbindungen und endlich der Zerstückelung des Grundbesitzes. Was den Kriegsdienst betrifft, so bedauern die Antragsteller, daß er den Termin der Eheschließung um mehrere Jahre verzögere und dadurch die Ehe selbst weniger fruchtbar mache. Sie wünschen deshalb eine Herabsetzung der Präsenzzeit auf drei Jahre, ohne sie jedoch im Gesetzentwurfe selbst zu fordern. Über die Ehelosigkeit der Priester sprechen sie in den Motive» sich nicht näher aus. Von dem illegitimen Zusammenleben der Männer und Frauen behaupten sie, daß es zumal in den großen Städten außerordentlich zunehme, und weisen darauf hin, daß in Konkubinaten entschieden weniger Kinder als in der Ehe erzeugt würden, daß auch illegitime Sprößlinge eine ungleich größere Sterb¬ lichkeit zeigten als legitime. Schließlich wird die notorisch geringe Frucht¬ barkeit der Ehen in Frankreich auf das moresllöraent as xropriöt6, die Zerstückelung des Besitzes, zurückgeführt, ein weiterer Grund nicht einmal an¬ gedeutet. Damit ist der wesentliche Inhalt der Motive gezeichnet, welche dem Gesetz¬ vorschlage beigefügt worden sind. Dieser letztere selbst verlangt nun zum Zwecke einer Steigerung der Volkszahl Frankreichs folgendes. Gewisse auf die Eintragung von Mobiliar- und Jmmobiliarwerten zu entrichtende Gebühren sollen künftig für Hagestolze das doppelte des gewöhnlichen Satzes betragen. Ferner soll jedem Familienvater, der sechs lebende Kinder hat, das Recht zustehen, eines derselben einer öffentlichen Unterrichtsanstalt zur Erziehung ans Staatskosten zu überweisen. Bischöfen, Erzbischöfen, Obern und Oberinnen von Orden ist es zu verbieten, daß sie der Verheiratung solcher Personen, welche unter ihrer Jurisdiktion leben, irgend ein Hindernis in den Weg legen. Von den Inhabern einer Fabrik oder Werkstätte, in welcher Frauen beschäftigt werden, soll für das Vorhandensein eines geeigneten Raumes gesorgt werden, in welchem Mütter ihre .Kinder stillen können. Den Kommunen ist die Verpflichtung aufzuerlegen, daß sie die M<Z8-wörs8 iidanännnöss, welche ihre Kinder bei sich großziehen wollen, angemessen unterstützen. Zum Schutze und zur Überwachung der sutant-s asslM«, also der armen, aus öffentlichen Fonds unterstützten Kinder, soll eine besondre Sanitätsbehörde geschaffen werden, die auch über die Sterblichkeit und die vor¬ nehmsten Krankheiten derselben sich zu informiren und an die Negierung darüber zu berichten hat. Die Impfung soll fortan obligatorisch sein. Endlich sind an Väter, besonders der Arbeiterklasse, mit zahlreicher Familie Ehrenmedailleu zu verteilen. Betrachten wir diesen Gesetzesvorschlag mit seinen Motiven uns etwas näher und ohne Vorurteil. Aus patriotischer Gesinnung hervorgegangen, hat er gewiß Grenzboten II. 1883. 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/569>, abgerufen am 22.07.2024.