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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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vom alten und neuen Griechenland.

nicht zu befürchten, daß in den nächsten Menschenaltern die überlieferten Sitten
erheblich notleiden und durch Neuerungen verdrängt werden. Noch lange wird
dort der Fremde auf dieselbe Weise seine Reise bewerkstelligen und dieselben Zu¬
stände antreffen, wie die britischen Reisenden, welche vor einem Jahrhundert
zum erstenmale wieder in die innern Landschaften der Halbinsel eindrangen.
Diese Zustände sind öfters geschildert worden, neuestens wieder von einem sehr
feinen Beobachter und anmutigen Erzähler, von Adolf Bötticher, der mit
seinem Buche über Olympia einen so wohlverdienten Erfolg gehabt hat und jetzt
in einer Sammlung von Reisebildern eine weitere gereifte Frucht seines Aufent¬
haltes in Griechenland darbietet.*) Sie bilden gleichsam einen Nebenschößling,
den das olympische Ausgrabungswerk getrieben hat. Denn so leicht und gefällig
die Schilderungen sind, so erkennt man doch leicht, daß sie aus einer Wurzel
sind mit jenem wissenschaftlichen Unternehmen und von flüchtigen Aufzeichnungen
eines eiligen Touristen vorteilhaft sich unterscheiden. Bötticher hat lange genug
auf griechischem Boden geweilt, um seine Beobachtungen zu vertiefen, für die
er überdies eine vielseitige Ausrüstung mitbrachte. Er weiß mit den Einge-
bornen in ihrer Sprache zu verkehren und den Landleuten ihre Lieder abzu¬
lauschen. In den Schriften der Alten ist er zu Hause wie in der Frankenchronik
von Morea. Er hat nicht nur ein glückliches Auge für das Eigentümliche der
Landschaft, er sieht auch die Bodengestaltungen mit dem Auge des Geologen,
die niedern und höhern Gewächse mit dem Auge des Botanikers, und vor allem
sieht er die Überreste der Denkmäler mit dem Auge des geschulten Architekten,
der auch formlose Trümmer zu deuten und einen Gewinn der Wissenschaft aus
ihnen herauszulesen versteht. Dazu hat er Orte besucht, die weit abliegen von
den gewöhnlichen Wegen der Fremden, Orte, die seit Jahrzehnten und länger
auch von den gelehrten Forschern nicht leicht aufgesucht worden sind. Ja sein
Buch geht absichtlich an den allbekannten, oft beschriebenen Örtlichkeiten vorüber
und sucht mit Vorliebe die Reize verborgener und vergessener Stätten auf. Die
von einem Flechtwerk üppigster Rankengewächse umschlungene Ruine des byzan¬
tinisch-fränkischen Klosters Jssowa im Lapithasgebirge, ein gothischer Bau mitten
im Peloponnese, die Akropolis von Eira, an welche sich der Heldenname des
Aristomenes knüpft, die Bergveste Jthome, die im ersten messenischen Kriege und
wieder im Helotenausstande den Kernpunkt der Verteidigung Messeniens gegen
Sparta bildete, die spärlichen Überreste von Thuria am westlichen Abhang des
Taygetos und von Pherai bei Kalamcita, der Burg des Diokles, in deren gast¬
lichen Mauern Telemachos auf dem Wege von Pylos nach Sparta sein Nacht¬
quartier aufschlug, von Gytheion bei Marathonissi, wo der phrygische Königs¬
sohn die Helena vom Heiligtum der Aphrodite hinweg auf sein Fahrzeug raubte,



*) Auf griechischen Landstraßen. Von Adolf Bötticher. Berlin, Gebrüder
Paetel, 1333. ,
vom alten und neuen Griechenland.

nicht zu befürchten, daß in den nächsten Menschenaltern die überlieferten Sitten
erheblich notleiden und durch Neuerungen verdrängt werden. Noch lange wird
dort der Fremde auf dieselbe Weise seine Reise bewerkstelligen und dieselben Zu¬
stände antreffen, wie die britischen Reisenden, welche vor einem Jahrhundert
zum erstenmale wieder in die innern Landschaften der Halbinsel eindrangen.
Diese Zustände sind öfters geschildert worden, neuestens wieder von einem sehr
feinen Beobachter und anmutigen Erzähler, von Adolf Bötticher, der mit
seinem Buche über Olympia einen so wohlverdienten Erfolg gehabt hat und jetzt
in einer Sammlung von Reisebildern eine weitere gereifte Frucht seines Aufent¬
haltes in Griechenland darbietet.*) Sie bilden gleichsam einen Nebenschößling,
den das olympische Ausgrabungswerk getrieben hat. Denn so leicht und gefällig
die Schilderungen sind, so erkennt man doch leicht, daß sie aus einer Wurzel
sind mit jenem wissenschaftlichen Unternehmen und von flüchtigen Aufzeichnungen
eines eiligen Touristen vorteilhaft sich unterscheiden. Bötticher hat lange genug
auf griechischem Boden geweilt, um seine Beobachtungen zu vertiefen, für die
er überdies eine vielseitige Ausrüstung mitbrachte. Er weiß mit den Einge-
bornen in ihrer Sprache zu verkehren und den Landleuten ihre Lieder abzu¬
lauschen. In den Schriften der Alten ist er zu Hause wie in der Frankenchronik
von Morea. Er hat nicht nur ein glückliches Auge für das Eigentümliche der
Landschaft, er sieht auch die Bodengestaltungen mit dem Auge des Geologen,
die niedern und höhern Gewächse mit dem Auge des Botanikers, und vor allem
sieht er die Überreste der Denkmäler mit dem Auge des geschulten Architekten,
der auch formlose Trümmer zu deuten und einen Gewinn der Wissenschaft aus
ihnen herauszulesen versteht. Dazu hat er Orte besucht, die weit abliegen von
den gewöhnlichen Wegen der Fremden, Orte, die seit Jahrzehnten und länger
auch von den gelehrten Forschern nicht leicht aufgesucht worden sind. Ja sein
Buch geht absichtlich an den allbekannten, oft beschriebenen Örtlichkeiten vorüber
und sucht mit Vorliebe die Reize verborgener und vergessener Stätten auf. Die
von einem Flechtwerk üppigster Rankengewächse umschlungene Ruine des byzan¬
tinisch-fränkischen Klosters Jssowa im Lapithasgebirge, ein gothischer Bau mitten
im Peloponnese, die Akropolis von Eira, an welche sich der Heldenname des
Aristomenes knüpft, die Bergveste Jthome, die im ersten messenischen Kriege und
wieder im Helotenausstande den Kernpunkt der Verteidigung Messeniens gegen
Sparta bildete, die spärlichen Überreste von Thuria am westlichen Abhang des
Taygetos und von Pherai bei Kalamcita, der Burg des Diokles, in deren gast¬
lichen Mauern Telemachos auf dem Wege von Pylos nach Sparta sein Nacht¬
quartier aufschlug, von Gytheion bei Marathonissi, wo der phrygische Königs¬
sohn die Helena vom Heiligtum der Aphrodite hinweg auf sein Fahrzeug raubte,



*) Auf griechischen Landstraßen. Von Adolf Bötticher. Berlin, Gebrüder
Paetel, 1333. ,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/556>, abgerufen am 29.06.2024.