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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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vom alten und neuen Griechenland.

dem Besuche der Küstenstädte und leicht zugänglichen Orte sich begnügt. Wer
Land und Leute mehr als oberflächlich kennen lernen will, darf eine solche Reise
durch das Innere nicht unterlassen. Fahrbare Straßen wird er zwar selten
antreffen, und Wirtshäuser sind dort ein unbekanntes Ding, aber gerade dadurch
ist der Reisende zu einem näheren Verkehr mit den Einheimischen gezwungen, er
kann die guten Dienste der Bevölkerung nicht entbehren, ist genötigt, mit ihr
zu leben, ihren Sitten sich anzubequemen. Eine solche Reise ist nur zu Pferde
möglich, sie erfordert die Mitnahme eines Pferdeführers oder Agogiaten, und
unter Umständen eines Dragvmans oder Reisemarschalls und Dolmetschers, dazu
noch eines Packtiers, dem das Reisezeng und die unentbehrlichen Vorräthe auf¬
geladen sind. Für das Nachtquartier aber ist man in den Dörfern, ja in den
Städten, wenn man nicht mit den vier nackten Wänden eines Charis sich be¬
gnügen will, auf irgend ein gastliches Dach angewiesen, das der Dragoman
leicht ausfindig machen wird, wenn wir nicht bereits ein Empfehlungsschreiben
bei uns tragen, das uns der Gastfreund von gestern an ein bestimmtes Haus
mitgegeben hat. Durch die überall mit größter Willigkeit dargebotene Gast¬
freundschaft wird nicht nur das Reisen in den innern Landschaften erleichtert,
es erhält dadurch auch einen eignen Reiz, der für manches Lästige, das doch
mit der Wohlthat der Gastfreundschaft verknüpft ist, reichlich entschädigt. Und
wie die Gastlichkeit eine von alters her ererbte und fortgepflanzte Tugend der
Griechen ist, so sind auch die Sitten, die man in den Häusern des Peloponneses
kennen lernt, von ursprünglichem, altertümlichen Gepräge; Wohnung und
Kleidung, Essen und Trinken, die Stellung der Frauen, die Formen des Um¬
gangs, die Bräuche in Haus und Straße, das alles ist uns Abendländern fremd¬
artig, nicht selten glauben wir eine homerische Szene leibhaftig vor uns
zu sehen. Daß man aber auf solchen Ritten ins Innere zahlreiche und noch
wenig erforschte Denkmäler der Vergangenheit kennen lernen kann, daß der
Wandrer überall von großen geschichtlichen Erinnerungen und überall von einer
Fülle eigentümlicher Landschaftsbilder begleitet ist, braucht nicht erst gesagt zu
werden.

Es ist möglich, ja unausbleiblich, daß mit der Zeit eine Umwandlung der
Sitten sich vollzieht. Das Straßennetz dehnt sich aus, wenn auch langsam, in
den Städten wird die einheimische albanesische Tracht von der fränkischen Ge¬
wandung zusehends verdrängt, und schon der nachdrücklich gepflegte Schulunter¬
richt und der Eifer, mit dem sich die hellenische Jugend in die Hörsäle der
Universität drängt, muß mit der Zeit abschleifend auch auf die ländliche Be¬
völkerung zurückwirken. Sollte der noch immer dünne Strom von Reisenden
stärker anwachsen, so würde die Einrichtung von Gasthäusern von den Küsten¬
städten sich allmählich auch in das Innere fortpflanzen, und die Eingebornen
würden dann aufhören, die althergebrachte Gastlichkeit den Fremdlingen zu er¬
weisen. Aber das hat immer noch gute Wege. Gerade im Peloponnes ist noch


vom alten und neuen Griechenland.

dem Besuche der Küstenstädte und leicht zugänglichen Orte sich begnügt. Wer
Land und Leute mehr als oberflächlich kennen lernen will, darf eine solche Reise
durch das Innere nicht unterlassen. Fahrbare Straßen wird er zwar selten
antreffen, und Wirtshäuser sind dort ein unbekanntes Ding, aber gerade dadurch
ist der Reisende zu einem näheren Verkehr mit den Einheimischen gezwungen, er
kann die guten Dienste der Bevölkerung nicht entbehren, ist genötigt, mit ihr
zu leben, ihren Sitten sich anzubequemen. Eine solche Reise ist nur zu Pferde
möglich, sie erfordert die Mitnahme eines Pferdeführers oder Agogiaten, und
unter Umständen eines Dragvmans oder Reisemarschalls und Dolmetschers, dazu
noch eines Packtiers, dem das Reisezeng und die unentbehrlichen Vorräthe auf¬
geladen sind. Für das Nachtquartier aber ist man in den Dörfern, ja in den
Städten, wenn man nicht mit den vier nackten Wänden eines Charis sich be¬
gnügen will, auf irgend ein gastliches Dach angewiesen, das der Dragoman
leicht ausfindig machen wird, wenn wir nicht bereits ein Empfehlungsschreiben
bei uns tragen, das uns der Gastfreund von gestern an ein bestimmtes Haus
mitgegeben hat. Durch die überall mit größter Willigkeit dargebotene Gast¬
freundschaft wird nicht nur das Reisen in den innern Landschaften erleichtert,
es erhält dadurch auch einen eignen Reiz, der für manches Lästige, das doch
mit der Wohlthat der Gastfreundschaft verknüpft ist, reichlich entschädigt. Und
wie die Gastlichkeit eine von alters her ererbte und fortgepflanzte Tugend der
Griechen ist, so sind auch die Sitten, die man in den Häusern des Peloponneses
kennen lernt, von ursprünglichem, altertümlichen Gepräge; Wohnung und
Kleidung, Essen und Trinken, die Stellung der Frauen, die Formen des Um¬
gangs, die Bräuche in Haus und Straße, das alles ist uns Abendländern fremd¬
artig, nicht selten glauben wir eine homerische Szene leibhaftig vor uns
zu sehen. Daß man aber auf solchen Ritten ins Innere zahlreiche und noch
wenig erforschte Denkmäler der Vergangenheit kennen lernen kann, daß der
Wandrer überall von großen geschichtlichen Erinnerungen und überall von einer
Fülle eigentümlicher Landschaftsbilder begleitet ist, braucht nicht erst gesagt zu
werden.

Es ist möglich, ja unausbleiblich, daß mit der Zeit eine Umwandlung der
Sitten sich vollzieht. Das Straßennetz dehnt sich aus, wenn auch langsam, in
den Städten wird die einheimische albanesische Tracht von der fränkischen Ge¬
wandung zusehends verdrängt, und schon der nachdrücklich gepflegte Schulunter¬
richt und der Eifer, mit dem sich die hellenische Jugend in die Hörsäle der
Universität drängt, muß mit der Zeit abschleifend auch auf die ländliche Be¬
völkerung zurückwirken. Sollte der noch immer dünne Strom von Reisenden
stärker anwachsen, so würde die Einrichtung von Gasthäusern von den Küsten¬
städten sich allmählich auch in das Innere fortpflanzen, und die Eingebornen
würden dann aufhören, die althergebrachte Gastlichkeit den Fremdlingen zu er¬
weisen. Aber das hat immer noch gute Wege. Gerade im Peloponnes ist noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/555>, abgerufen am 01.07.2024.