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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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vom alten uns neuen Griechenland.

grabungswerkes eben darin, daß hier ein Ganzes aufgedeckt ist, daß ein
ausgedehnter Bezirk von zusammengedachten Heiligtümern, eine ganze Festan-
lage mit ihren Tempeln, Altären und Denkmälern, Marmorgebilden, Bronzen
und Inschriften aus dem Schutt der Jahrtausende wieder erstanden ist: jedes
einzelne Stück ist ein Glied des Ganzen, und zuletzt ist alles doch nur aus
der Kenntnis der gesamten Anlage, das heißt an Ort und Stelle, zu ver¬
stehen. Diese und andre Gründe sind so triftig, daß sie auch den Anhängern
Athens zu einigem Troste gereichen und dieselben mit dem durch des Herrn
Syngros Freigebigkeit hergestellten Bau versöhnen werden, wenn nur, was
freilich ein Hauptpunkt bleibt, die griechische Regierung imstande und willens ist,
zum Unterhalt und zur Beaufsichtigung des einsamen Museums das Nötige zu
thun und für genügende Sicherheit des Platzes zu sorgen -- Sicherheit nicht
bloß gegen Überfall und Raub, sondern auch gegen jene schlimmern Gefahren,
die in einem übel disziplinirten Beamtenkörper lauern. Es sind sehr wertvolle
Schätze, und sie werden an einem sehr ausgesetzten Platze sein.

Gleichviel, den Archäologen vom Fach bliebe der Besuch von Olympia
doch nicht erspart, wenn sie auch die Nike des Paionios und den Hermes des
Praxiteles an der Patissiastraße studiren könnten. Aber auch der Tourist, der
gebildete Kunstfreund, der das Original des Götterjünglings schauen möchte,
den wir nach Ernst Curtius' Ausdruck "jetzt schon als Hausfreund bei allen
kunstsinnigen Familien eingebürgert finden," wird eine Pilgerfahrt nach den
Trümmern des hellenischen Nationalheiligtums nicht zu bereuen haben. Auch
der Ungelehrte wird mächtig angezogen sein von dem Gedanken, daß hier alle
Überreste der ehemaligen Herrlichkeit zusammen sind, völlig gesondert von Kunst¬
werken andrer Art, sie aber vereinigt an der Stelle, der sie ursprünglich ange¬
hören. Wenige Schritte von den künftig wieder kunstreich zusammengestellten
Figuren der Giebelfelder liegen die zerbrochenen Glieder des mächtigen Tempels,
den sie schmückten, und leicht baut sich die Einbildungskraft an dieser Stätte
die hingestreckten Säulenreihen wieder auf, fügt Trommel zu Trommel, darüber
die Kapitelle, das Gebälk und führt in den Äther das Dach und die Giebel auf.
darinnen die Marmorwerke des Paionios und des Alkamenes ihre Stelle hatten.
Und so die ganze Landschaft, der lautlose, von Waldboden umgebene Thalgrund,
er belebt sich mit der bunten Formenwelt, deren Überreste hier gesammelt sind;
der heilige Hain, die Tempel mit ihren Götterbildern erstehen vor dem innern
Auge; die geflügelte Nike fügt sich wieder zu der noch an der alten Stelle
befindlichen Basis; die Hallen, die Rennbahnen füllen sich mit der Blüte helle¬
nischer Jugend; dort stehen die heiligen Ölbäume, deren Zweige die Schläfe
des Siegers krönten, man hört den jauchzenden Beifall, der den Glücklichen
empfängt, und ein festliches Gewühl erfüllt wieder die ftillgewordene Ebene --
so wird, wer durch die Räume des künftigen Museums am Kladeos wandelt,
ganz anders als in sonstigen Kunstsammlungen die Empfindung eines Gesamt-


Grcnzboten II. 1883, 69
vom alten uns neuen Griechenland.

grabungswerkes eben darin, daß hier ein Ganzes aufgedeckt ist, daß ein
ausgedehnter Bezirk von zusammengedachten Heiligtümern, eine ganze Festan-
lage mit ihren Tempeln, Altären und Denkmälern, Marmorgebilden, Bronzen
und Inschriften aus dem Schutt der Jahrtausende wieder erstanden ist: jedes
einzelne Stück ist ein Glied des Ganzen, und zuletzt ist alles doch nur aus
der Kenntnis der gesamten Anlage, das heißt an Ort und Stelle, zu ver¬
stehen. Diese und andre Gründe sind so triftig, daß sie auch den Anhängern
Athens zu einigem Troste gereichen und dieselben mit dem durch des Herrn
Syngros Freigebigkeit hergestellten Bau versöhnen werden, wenn nur, was
freilich ein Hauptpunkt bleibt, die griechische Regierung imstande und willens ist,
zum Unterhalt und zur Beaufsichtigung des einsamen Museums das Nötige zu
thun und für genügende Sicherheit des Platzes zu sorgen — Sicherheit nicht
bloß gegen Überfall und Raub, sondern auch gegen jene schlimmern Gefahren,
die in einem übel disziplinirten Beamtenkörper lauern. Es sind sehr wertvolle
Schätze, und sie werden an einem sehr ausgesetzten Platze sein.

Gleichviel, den Archäologen vom Fach bliebe der Besuch von Olympia
doch nicht erspart, wenn sie auch die Nike des Paionios und den Hermes des
Praxiteles an der Patissiastraße studiren könnten. Aber auch der Tourist, der
gebildete Kunstfreund, der das Original des Götterjünglings schauen möchte,
den wir nach Ernst Curtius' Ausdruck „jetzt schon als Hausfreund bei allen
kunstsinnigen Familien eingebürgert finden," wird eine Pilgerfahrt nach den
Trümmern des hellenischen Nationalheiligtums nicht zu bereuen haben. Auch
der Ungelehrte wird mächtig angezogen sein von dem Gedanken, daß hier alle
Überreste der ehemaligen Herrlichkeit zusammen sind, völlig gesondert von Kunst¬
werken andrer Art, sie aber vereinigt an der Stelle, der sie ursprünglich ange¬
hören. Wenige Schritte von den künftig wieder kunstreich zusammengestellten
Figuren der Giebelfelder liegen die zerbrochenen Glieder des mächtigen Tempels,
den sie schmückten, und leicht baut sich die Einbildungskraft an dieser Stätte
die hingestreckten Säulenreihen wieder auf, fügt Trommel zu Trommel, darüber
die Kapitelle, das Gebälk und führt in den Äther das Dach und die Giebel auf.
darinnen die Marmorwerke des Paionios und des Alkamenes ihre Stelle hatten.
Und so die ganze Landschaft, der lautlose, von Waldboden umgebene Thalgrund,
er belebt sich mit der bunten Formenwelt, deren Überreste hier gesammelt sind;
der heilige Hain, die Tempel mit ihren Götterbildern erstehen vor dem innern
Auge; die geflügelte Nike fügt sich wieder zu der noch an der alten Stelle
befindlichen Basis; die Hallen, die Rennbahnen füllen sich mit der Blüte helle¬
nischer Jugend; dort stehen die heiligen Ölbäume, deren Zweige die Schläfe
des Siegers krönten, man hört den jauchzenden Beifall, der den Glücklichen
empfängt, und ein festliches Gewühl erfüllt wieder die ftillgewordene Ebene —
so wird, wer durch die Räume des künftigen Museums am Kladeos wandelt,
ganz anders als in sonstigen Kunstsammlungen die Empfindung eines Gesamt-


Grcnzboten II. 1883, 69
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[0553] vom alten uns neuen Griechenland. grabungswerkes eben darin, daß hier ein Ganzes aufgedeckt ist, daß ein ausgedehnter Bezirk von zusammengedachten Heiligtümern, eine ganze Festan- lage mit ihren Tempeln, Altären und Denkmälern, Marmorgebilden, Bronzen und Inschriften aus dem Schutt der Jahrtausende wieder erstanden ist: jedes einzelne Stück ist ein Glied des Ganzen, und zuletzt ist alles doch nur aus der Kenntnis der gesamten Anlage, das heißt an Ort und Stelle, zu ver¬ stehen. Diese und andre Gründe sind so triftig, daß sie auch den Anhängern Athens zu einigem Troste gereichen und dieselben mit dem durch des Herrn Syngros Freigebigkeit hergestellten Bau versöhnen werden, wenn nur, was freilich ein Hauptpunkt bleibt, die griechische Regierung imstande und willens ist, zum Unterhalt und zur Beaufsichtigung des einsamen Museums das Nötige zu thun und für genügende Sicherheit des Platzes zu sorgen — Sicherheit nicht bloß gegen Überfall und Raub, sondern auch gegen jene schlimmern Gefahren, die in einem übel disziplinirten Beamtenkörper lauern. Es sind sehr wertvolle Schätze, und sie werden an einem sehr ausgesetzten Platze sein. Gleichviel, den Archäologen vom Fach bliebe der Besuch von Olympia doch nicht erspart, wenn sie auch die Nike des Paionios und den Hermes des Praxiteles an der Patissiastraße studiren könnten. Aber auch der Tourist, der gebildete Kunstfreund, der das Original des Götterjünglings schauen möchte, den wir nach Ernst Curtius' Ausdruck „jetzt schon als Hausfreund bei allen kunstsinnigen Familien eingebürgert finden," wird eine Pilgerfahrt nach den Trümmern des hellenischen Nationalheiligtums nicht zu bereuen haben. Auch der Ungelehrte wird mächtig angezogen sein von dem Gedanken, daß hier alle Überreste der ehemaligen Herrlichkeit zusammen sind, völlig gesondert von Kunst¬ werken andrer Art, sie aber vereinigt an der Stelle, der sie ursprünglich ange¬ hören. Wenige Schritte von den künftig wieder kunstreich zusammengestellten Figuren der Giebelfelder liegen die zerbrochenen Glieder des mächtigen Tempels, den sie schmückten, und leicht baut sich die Einbildungskraft an dieser Stätte die hingestreckten Säulenreihen wieder auf, fügt Trommel zu Trommel, darüber die Kapitelle, das Gebälk und führt in den Äther das Dach und die Giebel auf. darinnen die Marmorwerke des Paionios und des Alkamenes ihre Stelle hatten. Und so die ganze Landschaft, der lautlose, von Waldboden umgebene Thalgrund, er belebt sich mit der bunten Formenwelt, deren Überreste hier gesammelt sind; der heilige Hain, die Tempel mit ihren Götterbildern erstehen vor dem innern Auge; die geflügelte Nike fügt sich wieder zu der noch an der alten Stelle befindlichen Basis; die Hallen, die Rennbahnen füllen sich mit der Blüte helle¬ nischer Jugend; dort stehen die heiligen Ölbäume, deren Zweige die Schläfe des Siegers krönten, man hört den jauchzenden Beifall, der den Glücklichen empfängt, und ein festliches Gewühl erfüllt wieder die ftillgewordene Ebene — so wird, wer durch die Räume des künftigen Museums am Kladeos wandelt, ganz anders als in sonstigen Kunstsammlungen die Empfindung eines Gesamt- Grcnzboten II. 1883, 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/553>, abgerufen am 22.07.2024.