Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
9le Vloomfieldschen Memoiren.

le Verfasserin dieses Memoirenwerkes,*) welches zum Teil in Tage¬
buchsblättern derselben, zum Teil in Briefen ihres Gemahls besteht
und ein buntes Nebeneinander von politischen Urteilen, Notizen und
Charakterbildern ans der höhern Gesellschaft, Hofanekdoten, frommen
Betrachtungen und Gespenstergeschichten bildet, ist bei der Ver¬
öffentlichung ihrer zweibändigen Schrift "nicht von der eiteln Vorstellung beein¬
flußt worden, sie werde damit einen Beitrag zur Geschichte unsrer Zeit liefern,"
und diese Bescheidenheit hat im allgemeinen Recht. Ihre Mitteilungen ent¬
halten nur wenig, was für den Historiker von Bedeutung würe, obwohl die
Verfasserin in Sphären gelebt hat, die ihr Einblicke in wichtige Vorgänge der
letzten drei Jahrzehnte gestatten und sie zu interessanten Enthüllungen befähigen
müßten. (Ihr Gemahl war länger als ein halbes Jahrhundert als Mitglied
der englischen Diplomatie thätig und nahm in der letzten Hälfte seiner Lauf¬
bahn die höchsten Stellungen auf der Stufenleiter der Würden ein, welche das
Auswärtige Amt in London zu vergeben hat. 1818 als Attache in die britische
Gesandtschaft zu Wien eingetreten, beschloß er 1871 seine Thätigkeit auf diplo¬
matischem Gebiete als Vorstand derselben. Dazwischen diente er zunächst in
Stuttgart, dann in Lissabon und Stockholm, wurde Lord Stuart de Rothesays
Nachfolger auf dem Gesandtschaftsposten in Petersburg, später, 18S1, Gesandter
am Berliner Hofe und 1860 Botschafter in die Kaiserstadt an der Donau. Er
erwies sich dabei weder als stark ausgeprägter Parteimann, sodaß ihn "abwech¬
selnd Whig- und Toryregierungen beförderten," uoch als hervorragendes Talent,
sondern war ein guter Durchschnittsbcamter, wohlerfahren in der Routine und
gebührend zu Hause in Sachen der Etikette, sodaß er "sich i" seiner langen Laufbahn
niemals Tadel zuzog.") Dennoch glauben wir dein Buche eine ausführliche
Besprechung widmen zu müssen, da jene wenigen Stellen sehr bezeichnend, ja
typisch für das Verhältnis der englischen Diplomatie zu deu deutschen Dingen ist.

Die ersten fünf Kapitel des Buches bringen zunächst Jugenderinnerungen
der Verfasserin, Berichte über ihre Mutter und Tante, über die Krönung der
Königin Viktoria, über Reisen nach Edinburg und Paris, dann Erlebnisse in
ihrer Stellung als Hofdame, Mitteilungen über das Privatleben der Königin
in Windsor und Besuche derselben in Provinzialstädten und auf der Insel
Wight, die Schilderung der Ankunft König Friedrich Wilhelms von Preußen
in London und der Taufe des Prinzen von Wales, bei dem er Pathe war,



*) Nsillinisognoos ot' Lonrt Dlxlowii-dio I>ik<z >z^ (^oorg'iavs. Larcmosg ölooinüolä.
^oiMx, ?g.u<zdlnt2, 1883.
9le Vloomfieldschen Memoiren.

le Verfasserin dieses Memoirenwerkes,*) welches zum Teil in Tage¬
buchsblättern derselben, zum Teil in Briefen ihres Gemahls besteht
und ein buntes Nebeneinander von politischen Urteilen, Notizen und
Charakterbildern ans der höhern Gesellschaft, Hofanekdoten, frommen
Betrachtungen und Gespenstergeschichten bildet, ist bei der Ver¬
öffentlichung ihrer zweibändigen Schrift „nicht von der eiteln Vorstellung beein¬
flußt worden, sie werde damit einen Beitrag zur Geschichte unsrer Zeit liefern,"
und diese Bescheidenheit hat im allgemeinen Recht. Ihre Mitteilungen ent¬
halten nur wenig, was für den Historiker von Bedeutung würe, obwohl die
Verfasserin in Sphären gelebt hat, die ihr Einblicke in wichtige Vorgänge der
letzten drei Jahrzehnte gestatten und sie zu interessanten Enthüllungen befähigen
müßten. (Ihr Gemahl war länger als ein halbes Jahrhundert als Mitglied
der englischen Diplomatie thätig und nahm in der letzten Hälfte seiner Lauf¬
bahn die höchsten Stellungen auf der Stufenleiter der Würden ein, welche das
Auswärtige Amt in London zu vergeben hat. 1818 als Attache in die britische
Gesandtschaft zu Wien eingetreten, beschloß er 1871 seine Thätigkeit auf diplo¬
matischem Gebiete als Vorstand derselben. Dazwischen diente er zunächst in
Stuttgart, dann in Lissabon und Stockholm, wurde Lord Stuart de Rothesays
Nachfolger auf dem Gesandtschaftsposten in Petersburg, später, 18S1, Gesandter
am Berliner Hofe und 1860 Botschafter in die Kaiserstadt an der Donau. Er
erwies sich dabei weder als stark ausgeprägter Parteimann, sodaß ihn „abwech¬
selnd Whig- und Toryregierungen beförderten," uoch als hervorragendes Talent,
sondern war ein guter Durchschnittsbcamter, wohlerfahren in der Routine und
gebührend zu Hause in Sachen der Etikette, sodaß er „sich i» seiner langen Laufbahn
niemals Tadel zuzog.") Dennoch glauben wir dein Buche eine ausführliche
Besprechung widmen zu müssen, da jene wenigen Stellen sehr bezeichnend, ja
typisch für das Verhältnis der englischen Diplomatie zu deu deutschen Dingen ist.

Die ersten fünf Kapitel des Buches bringen zunächst Jugenderinnerungen
der Verfasserin, Berichte über ihre Mutter und Tante, über die Krönung der
Königin Viktoria, über Reisen nach Edinburg und Paris, dann Erlebnisse in
ihrer Stellung als Hofdame, Mitteilungen über das Privatleben der Königin
in Windsor und Besuche derselben in Provinzialstädten und auf der Insel
Wight, die Schilderung der Ankunft König Friedrich Wilhelms von Preußen
in London und der Taufe des Prinzen von Wales, bei dem er Pathe war,



*) Nsillinisognoos ot' Lonrt Dlxlowii-dio I>ik<z >z^ (^oorg'iavs. Larcmosg ölooinüolä.
^oiMx, ?g.u<zdlnt2, 1883.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0495" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153244"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> 9le Vloomfieldschen Memoiren.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1951"> le Verfasserin dieses Memoirenwerkes,*) welches zum Teil in Tage¬<lb/>
buchsblättern derselben, zum Teil in Briefen ihres Gemahls besteht<lb/>
und ein buntes Nebeneinander von politischen Urteilen, Notizen und<lb/>
Charakterbildern ans der höhern Gesellschaft, Hofanekdoten, frommen<lb/>
Betrachtungen und Gespenstergeschichten bildet, ist bei der Ver¬<lb/>
öffentlichung ihrer zweibändigen Schrift &#x201E;nicht von der eiteln Vorstellung beein¬<lb/>
flußt worden, sie werde damit einen Beitrag zur Geschichte unsrer Zeit liefern,"<lb/>
und diese Bescheidenheit hat im allgemeinen Recht. Ihre Mitteilungen ent¬<lb/>
halten nur wenig, was für den Historiker von Bedeutung würe, obwohl die<lb/>
Verfasserin in Sphären gelebt hat, die ihr Einblicke in wichtige Vorgänge der<lb/>
letzten drei Jahrzehnte gestatten und sie zu interessanten Enthüllungen befähigen<lb/>
müßten. (Ihr Gemahl war länger als ein halbes Jahrhundert als Mitglied<lb/>
der englischen Diplomatie thätig und nahm in der letzten Hälfte seiner Lauf¬<lb/>
bahn die höchsten Stellungen auf der Stufenleiter der Würden ein, welche das<lb/>
Auswärtige Amt in London zu vergeben hat. 1818 als Attache in die britische<lb/>
Gesandtschaft zu Wien eingetreten, beschloß er 1871 seine Thätigkeit auf diplo¬<lb/>
matischem Gebiete als Vorstand derselben. Dazwischen diente er zunächst in<lb/>
Stuttgart, dann in Lissabon und Stockholm, wurde Lord Stuart de Rothesays<lb/>
Nachfolger auf dem Gesandtschaftsposten in Petersburg, später, 18S1, Gesandter<lb/>
am Berliner Hofe und 1860 Botschafter in die Kaiserstadt an der Donau. Er<lb/>
erwies sich dabei weder als stark ausgeprägter Parteimann, sodaß ihn &#x201E;abwech¬<lb/>
selnd Whig- und Toryregierungen beförderten," uoch als hervorragendes Talent,<lb/>
sondern war ein guter Durchschnittsbcamter, wohlerfahren in der Routine und<lb/>
gebührend zu Hause in Sachen der Etikette, sodaß er &#x201E;sich i» seiner langen Laufbahn<lb/>
niemals Tadel zuzog.") Dennoch glauben wir dein Buche eine ausführliche<lb/>
Besprechung widmen zu müssen, da jene wenigen Stellen sehr bezeichnend, ja<lb/>
typisch für das Verhältnis der englischen Diplomatie zu deu deutschen Dingen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1952" next="#ID_1953"> Die ersten fünf Kapitel des Buches bringen zunächst Jugenderinnerungen<lb/>
der Verfasserin, Berichte über ihre Mutter und Tante, über die Krönung der<lb/>
Königin Viktoria, über Reisen nach Edinburg und Paris, dann Erlebnisse in<lb/>
ihrer Stellung als Hofdame, Mitteilungen über das Privatleben der Königin<lb/>
in Windsor und Besuche derselben in Provinzialstädten und auf der Insel<lb/>
Wight, die Schilderung der Ankunft König Friedrich Wilhelms von Preußen<lb/>
in London und der Taufe des Prinzen von Wales, bei dem er Pathe war,</p><lb/>
          <note xml:id="FID_107" place="foot"> *) Nsillinisognoos ot' Lonrt Dlxlowii-dio I&gt;ik&lt;z &gt;z^ (^oorg'iavs. Larcmosg ölooinüolä.<lb/>
^oiMx, ?g.u&lt;zdlnt2, 1883.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0495] 9le Vloomfieldschen Memoiren. le Verfasserin dieses Memoirenwerkes,*) welches zum Teil in Tage¬ buchsblättern derselben, zum Teil in Briefen ihres Gemahls besteht und ein buntes Nebeneinander von politischen Urteilen, Notizen und Charakterbildern ans der höhern Gesellschaft, Hofanekdoten, frommen Betrachtungen und Gespenstergeschichten bildet, ist bei der Ver¬ öffentlichung ihrer zweibändigen Schrift „nicht von der eiteln Vorstellung beein¬ flußt worden, sie werde damit einen Beitrag zur Geschichte unsrer Zeit liefern," und diese Bescheidenheit hat im allgemeinen Recht. Ihre Mitteilungen ent¬ halten nur wenig, was für den Historiker von Bedeutung würe, obwohl die Verfasserin in Sphären gelebt hat, die ihr Einblicke in wichtige Vorgänge der letzten drei Jahrzehnte gestatten und sie zu interessanten Enthüllungen befähigen müßten. (Ihr Gemahl war länger als ein halbes Jahrhundert als Mitglied der englischen Diplomatie thätig und nahm in der letzten Hälfte seiner Lauf¬ bahn die höchsten Stellungen auf der Stufenleiter der Würden ein, welche das Auswärtige Amt in London zu vergeben hat. 1818 als Attache in die britische Gesandtschaft zu Wien eingetreten, beschloß er 1871 seine Thätigkeit auf diplo¬ matischem Gebiete als Vorstand derselben. Dazwischen diente er zunächst in Stuttgart, dann in Lissabon und Stockholm, wurde Lord Stuart de Rothesays Nachfolger auf dem Gesandtschaftsposten in Petersburg, später, 18S1, Gesandter am Berliner Hofe und 1860 Botschafter in die Kaiserstadt an der Donau. Er erwies sich dabei weder als stark ausgeprägter Parteimann, sodaß ihn „abwech¬ selnd Whig- und Toryregierungen beförderten," uoch als hervorragendes Talent, sondern war ein guter Durchschnittsbcamter, wohlerfahren in der Routine und gebührend zu Hause in Sachen der Etikette, sodaß er „sich i» seiner langen Laufbahn niemals Tadel zuzog.") Dennoch glauben wir dein Buche eine ausführliche Besprechung widmen zu müssen, da jene wenigen Stellen sehr bezeichnend, ja typisch für das Verhältnis der englischen Diplomatie zu deu deutschen Dingen ist. Die ersten fünf Kapitel des Buches bringen zunächst Jugenderinnerungen der Verfasserin, Berichte über ihre Mutter und Tante, über die Krönung der Königin Viktoria, über Reisen nach Edinburg und Paris, dann Erlebnisse in ihrer Stellung als Hofdame, Mitteilungen über das Privatleben der Königin in Windsor und Besuche derselben in Provinzialstädten und auf der Insel Wight, die Schilderung der Ankunft König Friedrich Wilhelms von Preußen in London und der Taufe des Prinzen von Wales, bei dem er Pathe war, *) Nsillinisognoos ot' Lonrt Dlxlowii-dio I>ik<z >z^ (^oorg'iavs. Larcmosg ölooinüolä. ^oiMx, ?g.u<zdlnt2, 1883.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/495
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/495>, abgerufen am 22.07.2024.