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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Franzosen in Tonkin.

zurückerstattet werden, welche der Minister auf 30 Millionen Franks schätzte.
Davon sollen 10 zu öffentlichen Arbeiten verwendet, 10 an Tuduk abgeliefert
und wiederum 10 zu Zwecken der Verwaltung ausgegeben werden. Brun ist
der Meinung, daß die Okkupation des Deltas des Roten Flusses und einiger
andern Punkte zwar für jetzt genügen werde, daß aber eine endgiltige und voll¬
ständige Besitznahme Tonkins unausbleiblich folgen müsse. Die nach Tonkin be¬
stimmten Schiffe und Truppen sollen sofort nach Bewilligung des geforderten
Kredits abgehen. Zwar beginnt jetzt die Regenzeit, aber die Lage gestattet
keinen Aufschub, und überdies werden die Truppen in Baracken untergebracht
werden und erst nach Verlauf der nassen Jahreszeit marschiren, vorausgesetzt,
daß es uoch erforderlich sein wird, was der Regierung nicht wahrscheinlich vor¬
kommt, da ihre bloße Gegenwart vermutlich genügen wird, die Chinesen von
dem Gedanken an Widerstand absehen zu lassen.

Das offene Eingeständnis Bruns, daß die beabsichtigte Schutzherrschaft sich
nicht auf Tonkin beschränken, sondern über ganz Arran ausgedehnt werden soll,
ist natürlich der Hauptpunkt in den Mitteilungen des Ministers. Uns ist er
gleichgiltig wie das ganze Verfahren Frankreichs in Tonkin, wenn wir nicht
daran denken, daß es damit von europäischen Unternehmungen abgelenkt wird,
die auch uns, vielleicht zunächst uns, betreffen würden. In England wird man
der Sache mit andern Empfindungen gegenüberstehen. Doch drücken sich die
Londoner Blätter darüber uoch ziemlich gemäßigt aus und begnügen sich mit
der (beiläufig kaum begründeten) Hoffnung, daß die Pläne der Franzosen mißlingen
werden, und mit gelinden Klagen über die Überrumpelung der Kammer mit
der Erklärung, daß es auf ganz Arran abgesehen sei. Der og,it^ ^sis^raxli sagt
z. B: "In diesem Falle hat man die bei der berufenen Khrumireampagne befolgte
Taktik in gewissem Maße mit einer andern vertauscht. Bevor die für nötig
erachteten Truppen Tonkin betreten, wird Tuduk gehörig verwarnt und die
chinesische Regierung auf das oui vivs angewiesen werden. Die französischen
Kammern werden mit der Ausdehnung des Unternehmens bekannt gemacht, auf
das sich das Kabinet Ferry so leichten Herzens hinauswagt. Hat es keinen
Erfolg, so wird das Land wenigstens in diesem Falle das Ministerium mit dem
Vorwurfe verschonen müssen, nicht offen mit der Sprache herausgegangen zu
sein. Andrerseits freilich nimmt sichs sonderbar aus, daß man vor Befragung
des Parlaments den Grafen de Kergaradec mit einem eigenhändigen Briefe des
Präsidenten nach Huc absandte, in welchem der König von Arran aufgefordert
wird, sich unter französische Schutzherrschaft zu begeben. Man weiß, daß Grevy
selbst gegen den viel bescheidenem Plan Jcmreguiberrys war. Das Geheimnis
ist wohlbewahrt worden und erst kurz vor der Abstimmung über die Kredit¬
forderung des Kabinets zu Tage getreten. . . Auch in der Einleitung zu dem
betreffenden Gesetzentwurfe geschah desselben noch keiner Erwähnung. Wenn
manche bezweifelten, daß es klug sei, ein Protektorat über Tonkin zu erstreben,


Die Franzosen in Tonkin.

zurückerstattet werden, welche der Minister auf 30 Millionen Franks schätzte.
Davon sollen 10 zu öffentlichen Arbeiten verwendet, 10 an Tuduk abgeliefert
und wiederum 10 zu Zwecken der Verwaltung ausgegeben werden. Brun ist
der Meinung, daß die Okkupation des Deltas des Roten Flusses und einiger
andern Punkte zwar für jetzt genügen werde, daß aber eine endgiltige und voll¬
ständige Besitznahme Tonkins unausbleiblich folgen müsse. Die nach Tonkin be¬
stimmten Schiffe und Truppen sollen sofort nach Bewilligung des geforderten
Kredits abgehen. Zwar beginnt jetzt die Regenzeit, aber die Lage gestattet
keinen Aufschub, und überdies werden die Truppen in Baracken untergebracht
werden und erst nach Verlauf der nassen Jahreszeit marschiren, vorausgesetzt,
daß es uoch erforderlich sein wird, was der Regierung nicht wahrscheinlich vor¬
kommt, da ihre bloße Gegenwart vermutlich genügen wird, die Chinesen von
dem Gedanken an Widerstand absehen zu lassen.

Das offene Eingeständnis Bruns, daß die beabsichtigte Schutzherrschaft sich
nicht auf Tonkin beschränken, sondern über ganz Arran ausgedehnt werden soll,
ist natürlich der Hauptpunkt in den Mitteilungen des Ministers. Uns ist er
gleichgiltig wie das ganze Verfahren Frankreichs in Tonkin, wenn wir nicht
daran denken, daß es damit von europäischen Unternehmungen abgelenkt wird,
die auch uns, vielleicht zunächst uns, betreffen würden. In England wird man
der Sache mit andern Empfindungen gegenüberstehen. Doch drücken sich die
Londoner Blätter darüber uoch ziemlich gemäßigt aus und begnügen sich mit
der (beiläufig kaum begründeten) Hoffnung, daß die Pläne der Franzosen mißlingen
werden, und mit gelinden Klagen über die Überrumpelung der Kammer mit
der Erklärung, daß es auf ganz Arran abgesehen sei. Der og,it^ ^sis^raxli sagt
z. B: „In diesem Falle hat man die bei der berufenen Khrumireampagne befolgte
Taktik in gewissem Maße mit einer andern vertauscht. Bevor die für nötig
erachteten Truppen Tonkin betreten, wird Tuduk gehörig verwarnt und die
chinesische Regierung auf das oui vivs angewiesen werden. Die französischen
Kammern werden mit der Ausdehnung des Unternehmens bekannt gemacht, auf
das sich das Kabinet Ferry so leichten Herzens hinauswagt. Hat es keinen
Erfolg, so wird das Land wenigstens in diesem Falle das Ministerium mit dem
Vorwurfe verschonen müssen, nicht offen mit der Sprache herausgegangen zu
sein. Andrerseits freilich nimmt sichs sonderbar aus, daß man vor Befragung
des Parlaments den Grafen de Kergaradec mit einem eigenhändigen Briefe des
Präsidenten nach Huc absandte, in welchem der König von Arran aufgefordert
wird, sich unter französische Schutzherrschaft zu begeben. Man weiß, daß Grevy
selbst gegen den viel bescheidenem Plan Jcmreguiberrys war. Das Geheimnis
ist wohlbewahrt worden und erst kurz vor der Abstimmung über die Kredit¬
forderung des Kabinets zu Tage getreten. . . Auch in der Einleitung zu dem
betreffenden Gesetzentwurfe geschah desselben noch keiner Erwähnung. Wenn
manche bezweifelten, daß es klug sei, ein Protektorat über Tonkin zu erstreben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/493>, abgerufen am 22.07.2024.