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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Klytia.

dazu in der Situation, in der sie gegeben wird, einigermaßen unwahr¬
scheinlich ist.*)

Wenn also Anlage und Durchführung der Fabel einigen Widerspruch er¬
regen, so fordert doch die Charakteristik und die Schilderung Anerkennung und
Bewunderung. Freilich auch das nicht ohne Einschränkung. Das lehrhafte
Element tritt in der "Klytia" stärker hervor als im "Antinous." Dort waren es
nur einzelne Stellen, hier sind es ganze Partien des Buches, die als dichterisch
verwertete Kirchengeschichte erscheinen. Den meisten Zweifel erregt die Erziehungs¬
und Jugendgeschichte des Paolo Laurenzano. Diese erscheint vielfach als eine
Konstruktion auf Grund jesuitischer Lehrbücher der Moral, und den gleichen
Charakter tragen die Unterredungen, in denen Pigavctta seinem Schüler und
Untergebenen die moralische Unbedenklichkeit der ihm zugemuteten Handlungs¬
weise klar machen will. Man gewinnt hier nicht den Eindruck wirklichen Lebens,
wie man ihn etwa von der Gestalt des Jesuiten Wenzel Terschka in Gutzkows
"Zauberer vou Rom" hat. Gutzkow hat die Partien, die mit den Geheimnissen
des Ordens zusammenhängen, mehr im Dunkel gelassen und für die dichterische
Wirkung unstreitig dadurch mehr gewonnen. Es läßt sich indessen nicht leugnen,
daß Taylor in seiner Art Glänzendes geleistet hat. Der Versuch, die mystischen
Wirkungen der Meditationen und geistlichen Exerzitien, die der Priester mit
den jungen Mädchen vornimmt, dein Leser verständlich zu machen, ist sehr gut
gelungen, man wird von der halb sinnlichen, halb mystischen Atmosphäre dieser
Exerzitien selbst mit ergriffen. Die Unterredungen, in denen die Eigenartigkeit



*) Diese Verquickung der Lydia des Romans mit der allbekannten schönen Büste des
Britischen Museums ist -- was unser Herr Referent nicht erwähnt, was wir aber doch noch
hervorheben möchten -- umso anstößiger, als nun bereits seit zehn Jahren (von E. Hühner
im 33. Berliner Winckelmanuprogramm "Bildnis einer Römerin/' Berlin, 1873) aufs evi¬
denteste nachgewiesen ist, 1. daß an einen modernen Ursprung der sogenannten Klytiabüste
nicht entfernt zu denken ist, sondern daß dieselbe ein unzweifelhaft antikes Werk, und zwar
etwa aus dem ersten Viertel des zweiten Jahrhunderts n. Chr. ist, 2. daß dieselbe das
Porträt einer schönen Römerin war, 3. daß der Blumenkelch, aus dem die Büste heraus¬
wächst, keine symbolische, sondern eine rein ornamentale Bedeutung hat, und daß die Ver¬
bindung der menschlichen Gestalt mit der Pflanze ein in der antiken Kunst weitverbreitetes
und beliebtes Motiv war, daß also 4. die Deutung der Büste auf die sehr abgelegene Sage
bei Ovid eine durchaus willkürliche und haltlose ist, umsomehr, als die antike Sonnenblume,
das Heliotrop, nicht das geringste mit unsrer heutigen Sonnenrose, deren Blätter man in
dem Kelch der Klytia hat wiedererkennen wollen, zu thun hat. Wenn der historische Roman,
was er ja immer beansprucht, für Verbreitung geschichtlicher Kenntnis in dem anmutigen
Gewände der Poesie sorgen will, welchen Sinn kann es dann haben, das Publikum in Be¬
treff eines seiner Lieblinge, eines der wenigen wirklich populären Kunstwerke des Altertums
in solcher Weise irrezuführen, wie es in dem vorliegenden Romane geschieht? Man kann
hundert gegen eins wetten, daß von nnn an alle Welt ihre Weisheit über die sogenannte
Klytiabüste aus dem Taylorschen Roman schöpfen wird, daß der Roman also geradezu zu
einem Hindernis werden wird, die kunstgeschichtliche Wahrheit sich verbreiten zu lassen. Und
das ist, bei der kläglichen Langsamkeit, mit der ohnehin gesicherte neue Ergebnisse der wissen¬
schaftlichen Forschung in das größere Publikum zu dringen Pflegen, gewiß zu bedauern. --
Vor wenigen Tagen begegnete uns übrigens ein zweites Beispiel ganz ähnlicher Art. Von
Fr. Bodenstedt ist kürzlich in Berlin ein Schauspiel aufgeführt worden "Alexander in Ko-
rinth." Eine Hauptfigur dieses Stückes ist die Geliebte Alexanders, Pankaspe. In alten
Schustern wird die schöne Thcssalierin nach schlechten alten Pliniusausgabeu "Kampaspe"
genannt -- eine greuliche Namensform. In guten neuen Pliniuscmsgaben steht schon seit
dreißig Jahren richtig Pankaspe zu lesen, ebenso heißt sie bei Actien; Lucian nennt sie
falsch Paknte. Bodenstedt aber hat natürlich die alte abgethane Form wieder aufgewärmt,
und so läuft nun diese unglückselige "Kampaspe" wieder in der Welt herum wenn sie
--D. Red. läuft. Zum Glück wird sie nicht lange laufe".
Klytia.

dazu in der Situation, in der sie gegeben wird, einigermaßen unwahr¬
scheinlich ist.*)

Wenn also Anlage und Durchführung der Fabel einigen Widerspruch er¬
regen, so fordert doch die Charakteristik und die Schilderung Anerkennung und
Bewunderung. Freilich auch das nicht ohne Einschränkung. Das lehrhafte
Element tritt in der „Klytia" stärker hervor als im „Antinous." Dort waren es
nur einzelne Stellen, hier sind es ganze Partien des Buches, die als dichterisch
verwertete Kirchengeschichte erscheinen. Den meisten Zweifel erregt die Erziehungs¬
und Jugendgeschichte des Paolo Laurenzano. Diese erscheint vielfach als eine
Konstruktion auf Grund jesuitischer Lehrbücher der Moral, und den gleichen
Charakter tragen die Unterredungen, in denen Pigavctta seinem Schüler und
Untergebenen die moralische Unbedenklichkeit der ihm zugemuteten Handlungs¬
weise klar machen will. Man gewinnt hier nicht den Eindruck wirklichen Lebens,
wie man ihn etwa von der Gestalt des Jesuiten Wenzel Terschka in Gutzkows
„Zauberer vou Rom" hat. Gutzkow hat die Partien, die mit den Geheimnissen
des Ordens zusammenhängen, mehr im Dunkel gelassen und für die dichterische
Wirkung unstreitig dadurch mehr gewonnen. Es läßt sich indessen nicht leugnen,
daß Taylor in seiner Art Glänzendes geleistet hat. Der Versuch, die mystischen
Wirkungen der Meditationen und geistlichen Exerzitien, die der Priester mit
den jungen Mädchen vornimmt, dein Leser verständlich zu machen, ist sehr gut
gelungen, man wird von der halb sinnlichen, halb mystischen Atmosphäre dieser
Exerzitien selbst mit ergriffen. Die Unterredungen, in denen die Eigenartigkeit



*) Diese Verquickung der Lydia des Romans mit der allbekannten schönen Büste des
Britischen Museums ist — was unser Herr Referent nicht erwähnt, was wir aber doch noch
hervorheben möchten — umso anstößiger, als nun bereits seit zehn Jahren (von E. Hühner
im 33. Berliner Winckelmanuprogramm „Bildnis einer Römerin/' Berlin, 1873) aufs evi¬
denteste nachgewiesen ist, 1. daß an einen modernen Ursprung der sogenannten Klytiabüste
nicht entfernt zu denken ist, sondern daß dieselbe ein unzweifelhaft antikes Werk, und zwar
etwa aus dem ersten Viertel des zweiten Jahrhunderts n. Chr. ist, 2. daß dieselbe das
Porträt einer schönen Römerin war, 3. daß der Blumenkelch, aus dem die Büste heraus¬
wächst, keine symbolische, sondern eine rein ornamentale Bedeutung hat, und daß die Ver¬
bindung der menschlichen Gestalt mit der Pflanze ein in der antiken Kunst weitverbreitetes
und beliebtes Motiv war, daß also 4. die Deutung der Büste auf die sehr abgelegene Sage
bei Ovid eine durchaus willkürliche und haltlose ist, umsomehr, als die antike Sonnenblume,
das Heliotrop, nicht das geringste mit unsrer heutigen Sonnenrose, deren Blätter man in
dem Kelch der Klytia hat wiedererkennen wollen, zu thun hat. Wenn der historische Roman,
was er ja immer beansprucht, für Verbreitung geschichtlicher Kenntnis in dem anmutigen
Gewände der Poesie sorgen will, welchen Sinn kann es dann haben, das Publikum in Be¬
treff eines seiner Lieblinge, eines der wenigen wirklich populären Kunstwerke des Altertums
in solcher Weise irrezuführen, wie es in dem vorliegenden Romane geschieht? Man kann
hundert gegen eins wetten, daß von nnn an alle Welt ihre Weisheit über die sogenannte
Klytiabüste aus dem Taylorschen Roman schöpfen wird, daß der Roman also geradezu zu
einem Hindernis werden wird, die kunstgeschichtliche Wahrheit sich verbreiten zu lassen. Und
das ist, bei der kläglichen Langsamkeit, mit der ohnehin gesicherte neue Ergebnisse der wissen¬
schaftlichen Forschung in das größere Publikum zu dringen Pflegen, gewiß zu bedauern. —
Vor wenigen Tagen begegnete uns übrigens ein zweites Beispiel ganz ähnlicher Art. Von
Fr. Bodenstedt ist kürzlich in Berlin ein Schauspiel aufgeführt worden „Alexander in Ko-
rinth." Eine Hauptfigur dieses Stückes ist die Geliebte Alexanders, Pankaspe. In alten
Schustern wird die schöne Thcssalierin nach schlechten alten Pliniusausgabeu „Kampaspe"
genannt — eine greuliche Namensform. In guten neuen Pliniuscmsgaben steht schon seit
dreißig Jahren richtig Pankaspe zu lesen, ebenso heißt sie bei Actien; Lucian nennt sie
falsch Paknte. Bodenstedt aber hat natürlich die alte abgethane Form wieder aufgewärmt,
und so läuft nun diese unglückselige „Kampaspe" wieder in der Welt herum wenn sie
—D. Red. läuft. Zum Glück wird sie nicht lange laufe».
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[0474] Klytia. dazu in der Situation, in der sie gegeben wird, einigermaßen unwahr¬ scheinlich ist.*) Wenn also Anlage und Durchführung der Fabel einigen Widerspruch er¬ regen, so fordert doch die Charakteristik und die Schilderung Anerkennung und Bewunderung. Freilich auch das nicht ohne Einschränkung. Das lehrhafte Element tritt in der „Klytia" stärker hervor als im „Antinous." Dort waren es nur einzelne Stellen, hier sind es ganze Partien des Buches, die als dichterisch verwertete Kirchengeschichte erscheinen. Den meisten Zweifel erregt die Erziehungs¬ und Jugendgeschichte des Paolo Laurenzano. Diese erscheint vielfach als eine Konstruktion auf Grund jesuitischer Lehrbücher der Moral, und den gleichen Charakter tragen die Unterredungen, in denen Pigavctta seinem Schüler und Untergebenen die moralische Unbedenklichkeit der ihm zugemuteten Handlungs¬ weise klar machen will. Man gewinnt hier nicht den Eindruck wirklichen Lebens, wie man ihn etwa von der Gestalt des Jesuiten Wenzel Terschka in Gutzkows „Zauberer vou Rom" hat. Gutzkow hat die Partien, die mit den Geheimnissen des Ordens zusammenhängen, mehr im Dunkel gelassen und für die dichterische Wirkung unstreitig dadurch mehr gewonnen. Es läßt sich indessen nicht leugnen, daß Taylor in seiner Art Glänzendes geleistet hat. Der Versuch, die mystischen Wirkungen der Meditationen und geistlichen Exerzitien, die der Priester mit den jungen Mädchen vornimmt, dein Leser verständlich zu machen, ist sehr gut gelungen, man wird von der halb sinnlichen, halb mystischen Atmosphäre dieser Exerzitien selbst mit ergriffen. Die Unterredungen, in denen die Eigenartigkeit *) Diese Verquickung der Lydia des Romans mit der allbekannten schönen Büste des Britischen Museums ist — was unser Herr Referent nicht erwähnt, was wir aber doch noch hervorheben möchten — umso anstößiger, als nun bereits seit zehn Jahren (von E. Hühner im 33. Berliner Winckelmanuprogramm „Bildnis einer Römerin/' Berlin, 1873) aufs evi¬ denteste nachgewiesen ist, 1. daß an einen modernen Ursprung der sogenannten Klytiabüste nicht entfernt zu denken ist, sondern daß dieselbe ein unzweifelhaft antikes Werk, und zwar etwa aus dem ersten Viertel des zweiten Jahrhunderts n. Chr. ist, 2. daß dieselbe das Porträt einer schönen Römerin war, 3. daß der Blumenkelch, aus dem die Büste heraus¬ wächst, keine symbolische, sondern eine rein ornamentale Bedeutung hat, und daß die Ver¬ bindung der menschlichen Gestalt mit der Pflanze ein in der antiken Kunst weitverbreitetes und beliebtes Motiv war, daß also 4. die Deutung der Büste auf die sehr abgelegene Sage bei Ovid eine durchaus willkürliche und haltlose ist, umsomehr, als die antike Sonnenblume, das Heliotrop, nicht das geringste mit unsrer heutigen Sonnenrose, deren Blätter man in dem Kelch der Klytia hat wiedererkennen wollen, zu thun hat. Wenn der historische Roman, was er ja immer beansprucht, für Verbreitung geschichtlicher Kenntnis in dem anmutigen Gewände der Poesie sorgen will, welchen Sinn kann es dann haben, das Publikum in Be¬ treff eines seiner Lieblinge, eines der wenigen wirklich populären Kunstwerke des Altertums in solcher Weise irrezuführen, wie es in dem vorliegenden Romane geschieht? Man kann hundert gegen eins wetten, daß von nnn an alle Welt ihre Weisheit über die sogenannte Klytiabüste aus dem Taylorschen Roman schöpfen wird, daß der Roman also geradezu zu einem Hindernis werden wird, die kunstgeschichtliche Wahrheit sich verbreiten zu lassen. Und das ist, bei der kläglichen Langsamkeit, mit der ohnehin gesicherte neue Ergebnisse der wissen¬ schaftlichen Forschung in das größere Publikum zu dringen Pflegen, gewiß zu bedauern. — Vor wenigen Tagen begegnete uns übrigens ein zweites Beispiel ganz ähnlicher Art. Von Fr. Bodenstedt ist kürzlich in Berlin ein Schauspiel aufgeführt worden „Alexander in Ko- rinth." Eine Hauptfigur dieses Stückes ist die Geliebte Alexanders, Pankaspe. In alten Schustern wird die schöne Thcssalierin nach schlechten alten Pliniusausgabeu „Kampaspe" genannt — eine greuliche Namensform. In guten neuen Pliniuscmsgaben steht schon seit dreißig Jahren richtig Pankaspe zu lesen, ebenso heißt sie bei Actien; Lucian nennt sie falsch Paknte. Bodenstedt aber hat natürlich die alte abgethane Form wieder aufgewärmt, und so läuft nun diese unglückselige „Kampaspe" wieder in der Welt herum wenn sie —D. Red. läuft. Zum Glück wird sie nicht lange laufe».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/474>, abgerufen am 03.07.2024.