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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Pompejanische Spaziergänge.

zu verschmelzen. Keiner jener Poeten hat sich hiervon dispensirt. Auch die
frivolsten, die sich immer mit ihren Liebesabenteuern beschäftigt hatten, schlugen
einen ernsteren Ton an und mischten patriotische Klänge in ihre leichtsinnigen
Verse. Properz hatte umsichtig genug schon im voraus festgestellt, wie er sein
späteres Leben verwenden wollte. Er gedachte, "wenn das Alter den Freuden
der Liebe ein Ende gemacht und mit seinem Silbergrau das schwarze Locken¬
haupt besäet hätte, den Naturgesetzen nachzuforschen, zu erkunde", welches Gottes
Kunst dieses große Haus, das wir Welt nennen, regiere, zu studiren, nach
welchen Prinzipien der Lauf des Mondes sich vollziehe, woher die Verfinsterungen
der Gestirne und die Orkane kommen, warum der purpurne Regenbogen die
Wasser des Himmels trinkt, was die Ursache der unterirdischen Erschütterungen
sei, welche die höchsten Berge erbeben machen";*) mit andern Worten, er wollte
bis ans Ende seiner Tage ein echter Alexandriner bleiben, nur nahm er sich
vor, im Alter von den Elegien des Kallimachos zu der didaktischen Dichtung
des Aratos überzugehen. Und doch widerstand er nicht dem Drängen des
Maecenas; auch er feierte zuletzt Roms alte Überlieferungen und stellte "jeden
Atemzug seiner schwachen Brust in den Dienst des Vaterlandes." So nahm
schließlich die elegische Dichtung, d. h. die Gattung der Poesie, welche die Römer
am direktesten den Alexandrinern entlehnt hatten, neue Elemente in ihre Nach¬
ahmungen auf, verherrlichte die großen Erinnerungen der nationalen Geschichte
und wurde so ihrerseits römisch.

So ist es also vollkommen richtig, daß wir die lateinische Dichtung des
ersten Jahrhunderts besser würdigen, wenn wir sie mit der zeitgenössischen Malerei
vergleichen. Beide sind aus derselben Quelle geflossen, haben aber verschiedne
Wege eingeschlagen, und nun beleuchten sie einander gegenseitig ebensowohl durch
ihre Verschiedenheiten wie durch das, was ihnen gemeinsam ist. Wenn wir
sehen, mit welcher Beharrlichkeit die Malerei durchaus griechisch geblieben ist,
so würdigen wir gerechter die Anstrengungen, welche die Poesie gemacht hat,
um sich in dem Lande, wo sie sich niedergelassen, heimisch zu machen. Dies
Bestreben gab ihr ein Element der Kraft und des Lebens, das sich unmöglich
verkennen läßt. Indem sie römisch wurde, dem Nationalstolze schmeichelte und
dem, was das Volksgemüt bewegte, Ausdruck zu geben versuchte, machte sie ihre
Wirksamkeit auf die Menge mächtiger. Nach dieser Richtung war sie original
und hatte der Schule von Alexandria, der solche Regungen des patriotischen
Gefühls unbekannt waren, nichts zu verdanken. Was nun aber jene ganze
Mythologie betrifft, welche die Dichtung nur allzu leicht den Alexandrinern ent¬
lehnt hatte und welche uns heute etwas fade und dunkel vorkommt, so konnten
sich die Römer, allerdings nicht so lebhaft für sie interessiren wie die Griechen,



") Properz IV, S, 23 ff.
Pompejanische Spaziergänge.

zu verschmelzen. Keiner jener Poeten hat sich hiervon dispensirt. Auch die
frivolsten, die sich immer mit ihren Liebesabenteuern beschäftigt hatten, schlugen
einen ernsteren Ton an und mischten patriotische Klänge in ihre leichtsinnigen
Verse. Properz hatte umsichtig genug schon im voraus festgestellt, wie er sein
späteres Leben verwenden wollte. Er gedachte, „wenn das Alter den Freuden
der Liebe ein Ende gemacht und mit seinem Silbergrau das schwarze Locken¬
haupt besäet hätte, den Naturgesetzen nachzuforschen, zu erkunde«, welches Gottes
Kunst dieses große Haus, das wir Welt nennen, regiere, zu studiren, nach
welchen Prinzipien der Lauf des Mondes sich vollziehe, woher die Verfinsterungen
der Gestirne und die Orkane kommen, warum der purpurne Regenbogen die
Wasser des Himmels trinkt, was die Ursache der unterirdischen Erschütterungen
sei, welche die höchsten Berge erbeben machen";*) mit andern Worten, er wollte
bis ans Ende seiner Tage ein echter Alexandriner bleiben, nur nahm er sich
vor, im Alter von den Elegien des Kallimachos zu der didaktischen Dichtung
des Aratos überzugehen. Und doch widerstand er nicht dem Drängen des
Maecenas; auch er feierte zuletzt Roms alte Überlieferungen und stellte „jeden
Atemzug seiner schwachen Brust in den Dienst des Vaterlandes." So nahm
schließlich die elegische Dichtung, d. h. die Gattung der Poesie, welche die Römer
am direktesten den Alexandrinern entlehnt hatten, neue Elemente in ihre Nach¬
ahmungen auf, verherrlichte die großen Erinnerungen der nationalen Geschichte
und wurde so ihrerseits römisch.

So ist es also vollkommen richtig, daß wir die lateinische Dichtung des
ersten Jahrhunderts besser würdigen, wenn wir sie mit der zeitgenössischen Malerei
vergleichen. Beide sind aus derselben Quelle geflossen, haben aber verschiedne
Wege eingeschlagen, und nun beleuchten sie einander gegenseitig ebensowohl durch
ihre Verschiedenheiten wie durch das, was ihnen gemeinsam ist. Wenn wir
sehen, mit welcher Beharrlichkeit die Malerei durchaus griechisch geblieben ist,
so würdigen wir gerechter die Anstrengungen, welche die Poesie gemacht hat,
um sich in dem Lande, wo sie sich niedergelassen, heimisch zu machen. Dies
Bestreben gab ihr ein Element der Kraft und des Lebens, das sich unmöglich
verkennen läßt. Indem sie römisch wurde, dem Nationalstolze schmeichelte und
dem, was das Volksgemüt bewegte, Ausdruck zu geben versuchte, machte sie ihre
Wirksamkeit auf die Menge mächtiger. Nach dieser Richtung war sie original
und hatte der Schule von Alexandria, der solche Regungen des patriotischen
Gefühls unbekannt waren, nichts zu verdanken. Was nun aber jene ganze
Mythologie betrifft, welche die Dichtung nur allzu leicht den Alexandrinern ent¬
lehnt hatte und welche uns heute etwas fade und dunkel vorkommt, so konnten
sich die Römer, allerdings nicht so lebhaft für sie interessiren wie die Griechen,



») Properz IV, S, 23 ff.
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[0470] Pompejanische Spaziergänge. zu verschmelzen. Keiner jener Poeten hat sich hiervon dispensirt. Auch die frivolsten, die sich immer mit ihren Liebesabenteuern beschäftigt hatten, schlugen einen ernsteren Ton an und mischten patriotische Klänge in ihre leichtsinnigen Verse. Properz hatte umsichtig genug schon im voraus festgestellt, wie er sein späteres Leben verwenden wollte. Er gedachte, „wenn das Alter den Freuden der Liebe ein Ende gemacht und mit seinem Silbergrau das schwarze Locken¬ haupt besäet hätte, den Naturgesetzen nachzuforschen, zu erkunde«, welches Gottes Kunst dieses große Haus, das wir Welt nennen, regiere, zu studiren, nach welchen Prinzipien der Lauf des Mondes sich vollziehe, woher die Verfinsterungen der Gestirne und die Orkane kommen, warum der purpurne Regenbogen die Wasser des Himmels trinkt, was die Ursache der unterirdischen Erschütterungen sei, welche die höchsten Berge erbeben machen";*) mit andern Worten, er wollte bis ans Ende seiner Tage ein echter Alexandriner bleiben, nur nahm er sich vor, im Alter von den Elegien des Kallimachos zu der didaktischen Dichtung des Aratos überzugehen. Und doch widerstand er nicht dem Drängen des Maecenas; auch er feierte zuletzt Roms alte Überlieferungen und stellte „jeden Atemzug seiner schwachen Brust in den Dienst des Vaterlandes." So nahm schließlich die elegische Dichtung, d. h. die Gattung der Poesie, welche die Römer am direktesten den Alexandrinern entlehnt hatten, neue Elemente in ihre Nach¬ ahmungen auf, verherrlichte die großen Erinnerungen der nationalen Geschichte und wurde so ihrerseits römisch. So ist es also vollkommen richtig, daß wir die lateinische Dichtung des ersten Jahrhunderts besser würdigen, wenn wir sie mit der zeitgenössischen Malerei vergleichen. Beide sind aus derselben Quelle geflossen, haben aber verschiedne Wege eingeschlagen, und nun beleuchten sie einander gegenseitig ebensowohl durch ihre Verschiedenheiten wie durch das, was ihnen gemeinsam ist. Wenn wir sehen, mit welcher Beharrlichkeit die Malerei durchaus griechisch geblieben ist, so würdigen wir gerechter die Anstrengungen, welche die Poesie gemacht hat, um sich in dem Lande, wo sie sich niedergelassen, heimisch zu machen. Dies Bestreben gab ihr ein Element der Kraft und des Lebens, das sich unmöglich verkennen läßt. Indem sie römisch wurde, dem Nationalstolze schmeichelte und dem, was das Volksgemüt bewegte, Ausdruck zu geben versuchte, machte sie ihre Wirksamkeit auf die Menge mächtiger. Nach dieser Richtung war sie original und hatte der Schule von Alexandria, der solche Regungen des patriotischen Gefühls unbekannt waren, nichts zu verdanken. Was nun aber jene ganze Mythologie betrifft, welche die Dichtung nur allzu leicht den Alexandrinern ent¬ lehnt hatte und welche uns heute etwas fade und dunkel vorkommt, so konnten sich die Römer, allerdings nicht so lebhaft für sie interessiren wie die Griechen, ») Properz IV, S, 23 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/470>, abgerufen am 03.07.2024.