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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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j)ompejanische Spaziergänge.

bei denen sie geboren war; aber ein Irrtum wäre es, zu glauben, daß sie ihnen
völlig gleichgiltig und unbekannt gewesen sei. Seit langer Zeit hatte die Malerei
das Volk mit ihr bekannt gemacht. Wann die griechischen Künstler nach Rom
gekommen sind und dort ihre Kunst zu üben begonnen haben, läßt sich nicht
bestimmen; es muß aber frühzeitig geschehen sein. Schon Plautus erwähnt
Gemälde, welche zu seiner-Zeit Privathäuser schmückten; sie stellten Venus und
Adonis oder den Adler des Juppiter vor, wie er den Ganymedes entführt.*)
Bei Terenz erzählt ein Liebender, der zuerst zögert, eine recht böse That zu
begehen, er habe sich alle seine Skrupel aus dem Sinn geschlagen, als er an
einer Tempelwand ein Bild gesehen, das die Verführung der Danae durch
Juppiter darstellte.**) Diese Gegenstände finden wir aber gerade am häufigsten
in den campanischen Städten. Mit ihnen hatten also die Maler mehrere Jahr¬
hunderte hindurch die öffentlichen und die Privatbauten geschmückt; Auge und
Geist hatten sich an ihren Anblick gewöhnt; selbst Ungebildete, ja völlige Igno¬
ranten waren unvermerkt mit ihnen vertraut geworden, und als die Poesie ihrerseits
diese Stoffe wiederaufgriff, sah sie sich von vornherein einem wohlvorbereiteten
Publikum gegeuüber, das überdies viel größer war, als man wohl glaubt. Es
geschah damals etwas ähnliches wie in Frankreich im 17. Jahrhundert, als dort
die tragischen Dichter den Augustus oder den Agamemnon auf die Bühne
brachten. Diese griechischen und römischen Persönlichkeiten waren für die Zu¬
schauer keine Fremden. Die klassische Erziehung, die damals ganz Frankreich
beherrschte, machte diese Namen allen Theaterbesuchern vertraut. Der Kanzlei¬
schreiber, der für fünfzehn Sous das Recht kaufte, Corneille auszupfeifen, kannte
sie ebenso gut wie die hohen Magistratspersonen oder die vornehmen Herren
vom Adel. Man kannte ihre Geschichte besser als die der Helden des alten
Frankreichs und lebte mit ihnen auf vertrauterem Fuße. Man meint bisweilen,
die französischen Trauerspieldichter hätten sich durch ihre Behandlung antiker
Stoffe selbst zur Arbeit für die kleine Gemeinde der Hochgebildeten verurteilt.
Aber das ist ein Irrtum; sie schrieben für jedermann, die Schulen hatten ein
breites Publikum für sie geschaffen, das für ihr Verständnis wohl vorbereitet
und durchaus geneigt war, ihnen Beifall zu klatschen.






**) Terenz, Luu. 3, 5, 36.
*) Plautus, Nöuavvlimi 1, 2, 34; Nole. 2, 2, 42. --
j)ompejanische Spaziergänge.

bei denen sie geboren war; aber ein Irrtum wäre es, zu glauben, daß sie ihnen
völlig gleichgiltig und unbekannt gewesen sei. Seit langer Zeit hatte die Malerei
das Volk mit ihr bekannt gemacht. Wann die griechischen Künstler nach Rom
gekommen sind und dort ihre Kunst zu üben begonnen haben, läßt sich nicht
bestimmen; es muß aber frühzeitig geschehen sein. Schon Plautus erwähnt
Gemälde, welche zu seiner-Zeit Privathäuser schmückten; sie stellten Venus und
Adonis oder den Adler des Juppiter vor, wie er den Ganymedes entführt.*)
Bei Terenz erzählt ein Liebender, der zuerst zögert, eine recht böse That zu
begehen, er habe sich alle seine Skrupel aus dem Sinn geschlagen, als er an
einer Tempelwand ein Bild gesehen, das die Verführung der Danae durch
Juppiter darstellte.**) Diese Gegenstände finden wir aber gerade am häufigsten
in den campanischen Städten. Mit ihnen hatten also die Maler mehrere Jahr¬
hunderte hindurch die öffentlichen und die Privatbauten geschmückt; Auge und
Geist hatten sich an ihren Anblick gewöhnt; selbst Ungebildete, ja völlige Igno¬
ranten waren unvermerkt mit ihnen vertraut geworden, und als die Poesie ihrerseits
diese Stoffe wiederaufgriff, sah sie sich von vornherein einem wohlvorbereiteten
Publikum gegeuüber, das überdies viel größer war, als man wohl glaubt. Es
geschah damals etwas ähnliches wie in Frankreich im 17. Jahrhundert, als dort
die tragischen Dichter den Augustus oder den Agamemnon auf die Bühne
brachten. Diese griechischen und römischen Persönlichkeiten waren für die Zu¬
schauer keine Fremden. Die klassische Erziehung, die damals ganz Frankreich
beherrschte, machte diese Namen allen Theaterbesuchern vertraut. Der Kanzlei¬
schreiber, der für fünfzehn Sous das Recht kaufte, Corneille auszupfeifen, kannte
sie ebenso gut wie die hohen Magistratspersonen oder die vornehmen Herren
vom Adel. Man kannte ihre Geschichte besser als die der Helden des alten
Frankreichs und lebte mit ihnen auf vertrauterem Fuße. Man meint bisweilen,
die französischen Trauerspieldichter hätten sich durch ihre Behandlung antiker
Stoffe selbst zur Arbeit für die kleine Gemeinde der Hochgebildeten verurteilt.
Aber das ist ein Irrtum; sie schrieben für jedermann, die Schulen hatten ein
breites Publikum für sie geschaffen, das für ihr Verständnis wohl vorbereitet
und durchaus geneigt war, ihnen Beifall zu klatschen.






**) Terenz, Luu. 3, 5, 36.
*) Plautus, Nöuavvlimi 1, 2, 34; Nole. 2, 2, 42. —
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[0471] j)ompejanische Spaziergänge. bei denen sie geboren war; aber ein Irrtum wäre es, zu glauben, daß sie ihnen völlig gleichgiltig und unbekannt gewesen sei. Seit langer Zeit hatte die Malerei das Volk mit ihr bekannt gemacht. Wann die griechischen Künstler nach Rom gekommen sind und dort ihre Kunst zu üben begonnen haben, läßt sich nicht bestimmen; es muß aber frühzeitig geschehen sein. Schon Plautus erwähnt Gemälde, welche zu seiner-Zeit Privathäuser schmückten; sie stellten Venus und Adonis oder den Adler des Juppiter vor, wie er den Ganymedes entführt.*) Bei Terenz erzählt ein Liebender, der zuerst zögert, eine recht böse That zu begehen, er habe sich alle seine Skrupel aus dem Sinn geschlagen, als er an einer Tempelwand ein Bild gesehen, das die Verführung der Danae durch Juppiter darstellte.**) Diese Gegenstände finden wir aber gerade am häufigsten in den campanischen Städten. Mit ihnen hatten also die Maler mehrere Jahr¬ hunderte hindurch die öffentlichen und die Privatbauten geschmückt; Auge und Geist hatten sich an ihren Anblick gewöhnt; selbst Ungebildete, ja völlige Igno¬ ranten waren unvermerkt mit ihnen vertraut geworden, und als die Poesie ihrerseits diese Stoffe wiederaufgriff, sah sie sich von vornherein einem wohlvorbereiteten Publikum gegeuüber, das überdies viel größer war, als man wohl glaubt. Es geschah damals etwas ähnliches wie in Frankreich im 17. Jahrhundert, als dort die tragischen Dichter den Augustus oder den Agamemnon auf die Bühne brachten. Diese griechischen und römischen Persönlichkeiten waren für die Zu¬ schauer keine Fremden. Die klassische Erziehung, die damals ganz Frankreich beherrschte, machte diese Namen allen Theaterbesuchern vertraut. Der Kanzlei¬ schreiber, der für fünfzehn Sous das Recht kaufte, Corneille auszupfeifen, kannte sie ebenso gut wie die hohen Magistratspersonen oder die vornehmen Herren vom Adel. Man kannte ihre Geschichte besser als die der Helden des alten Frankreichs und lebte mit ihnen auf vertrauterem Fuße. Man meint bisweilen, die französischen Trauerspieldichter hätten sich durch ihre Behandlung antiker Stoffe selbst zur Arbeit für die kleine Gemeinde der Hochgebildeten verurteilt. Aber das ist ein Irrtum; sie schrieben für jedermann, die Schulen hatten ein breites Publikum für sie geschaffen, das für ihr Verständnis wohl vorbereitet und durchaus geneigt war, ihnen Beifall zu klatschen. **) Terenz, Luu. 3, 5, 36. *) Plautus, Nöuavvlimi 1, 2, 34; Nole. 2, 2, 42. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/471>, abgerufen am 01.07.2024.