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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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pompejanische Spaziergänge.

Gegenstande nicht vertraut und hat ihn ohne rechte Liebe behandelt. Die Ge¬
schichte der Dido, die wie geschaffen scheint, einen Maler von Talent anzuziehen,
ist in Pompeji nur zweimal dargestellt. Das ist wenig, besonders wenn man
bedenkt, daß ein ganz ähnlicher Stoff, das Abenteuer der Ariadne, mehr als
dreißig Gemälde veranlaßt hat, darunter mehrere von bedeutender Größe und
bemerkenswerter Ausführung.

Freilich ist manchmal gesagt worden, Pompeji sei mehr eine griechische
als eine römische Stadt gewesen, und wenn die Künstler für sie Werke aus¬
führten, zu denen Griechenlands Sagen und Überlieferungen die Anregung gaben,
so hätten sie sich damit eben nur nach dem Geschmack dieser Stadt gerichtet.
Diese Ansicht, obschon recht verbreitet, ist dennoch sehr unbegründet. Die Be¬
wohner von Pompeji betrachteten sich, seit sie das Bürgerrecht erhalten hatten,
als Römer. Das Lateinische ist für sie nicht bloß die offizielle Sprache, deren
sich die Behörden in ihren Verfügungen bedienen, es ist auch die Umgangs¬
sprache, der Armen wie der Reichen, der Bauern wie der Städter, im Privat¬
leben wie in der Öffentlichkeit. Die Kinder, die ihre Späße auf die Mauern
kritzeln, die Jünglinge, die ihrer Geliebten einen Gruß senden, die Müßigen,
die, wenn sie von den öffentlichen Spielen kommen, ihren Lieblingsgladiator
preisen, die Stammgäste der Kneipen oder schlechten Häuser, die das Bedürfnis
haben, ihre Eindrücke kundzugeben, thun das fast immer in lateinischer Sprache;
Oskisch und Griechisch sind stets nur Ausnahmen. Die Pompejaner sprechen
nicht nur die Sprache ihrer Herren, sie teilen auch alle Gefühle derselben. Der
Kaiser hat keine treuem Unterthanen; sie waren die ersten, die den Kultus des
Augustus bei sich einsetzten. Daß die offiziellen Inschriften von Ausdrücken
der Verehrung und Liebe zum Herrscher überströmen, kann natürlich nicht über¬
raschen; viel merkwürdiger ist die Beobachtung, daß auch die von Leuten aus
dem Volke, gegen die wir den Verdacht der Schmeichelei und Lüge kaum hegen
können, mit Kohle auf die Wände geschriebenen Kundgebungen dieser Art oft
ähnliche Versicherungen enthalten. Wir finden mehrfach den Ausruf: "Es lebe
der Kaiser!" lÄioiwr!), und einer von denen, die ihn auf die Mauer
schreiben, fügt die Betrachtung hinzu: "Wenn es den Fürsten wohl ergeht, sind
auch die Völker glücklich" (Vobis sÄvis kslioss sumus xsi-xstuo).*) Ein andrer
hat das Bedürfnis, Rom, der ehemaligen Feindin, einen Gruß aus der Ferne
zu senden: RoniÄ vslö!**) Sind in Pompeji die Meisterwerke der griechischen
Schriftsteller nicht unbekannt, so kennt man die römische Literatur noch viel
besser. Im Cicero weiß man sogut Bescheid, daß man ihn einmal sogar pa-
rodirt;***) Properz, Ovid, ja sogar Lucrez werden beständig zitirt, besonders
aber scheint alle Welt die Aeneide zu studiren und an ihr Gefallen zu finden.





v. I. Il. Ur. 1261 ist offenbar Parodie einer berühmten Stelle der Verrinen.
Die Inschrift
**) Edda. Ur. 1746. --
*) Lorxus Insoript. I.sÄi>. IV Ur. 1074. --
pompejanische Spaziergänge.

Gegenstande nicht vertraut und hat ihn ohne rechte Liebe behandelt. Die Ge¬
schichte der Dido, die wie geschaffen scheint, einen Maler von Talent anzuziehen,
ist in Pompeji nur zweimal dargestellt. Das ist wenig, besonders wenn man
bedenkt, daß ein ganz ähnlicher Stoff, das Abenteuer der Ariadne, mehr als
dreißig Gemälde veranlaßt hat, darunter mehrere von bedeutender Größe und
bemerkenswerter Ausführung.

Freilich ist manchmal gesagt worden, Pompeji sei mehr eine griechische
als eine römische Stadt gewesen, und wenn die Künstler für sie Werke aus¬
führten, zu denen Griechenlands Sagen und Überlieferungen die Anregung gaben,
so hätten sie sich damit eben nur nach dem Geschmack dieser Stadt gerichtet.
Diese Ansicht, obschon recht verbreitet, ist dennoch sehr unbegründet. Die Be¬
wohner von Pompeji betrachteten sich, seit sie das Bürgerrecht erhalten hatten,
als Römer. Das Lateinische ist für sie nicht bloß die offizielle Sprache, deren
sich die Behörden in ihren Verfügungen bedienen, es ist auch die Umgangs¬
sprache, der Armen wie der Reichen, der Bauern wie der Städter, im Privat¬
leben wie in der Öffentlichkeit. Die Kinder, die ihre Späße auf die Mauern
kritzeln, die Jünglinge, die ihrer Geliebten einen Gruß senden, die Müßigen,
die, wenn sie von den öffentlichen Spielen kommen, ihren Lieblingsgladiator
preisen, die Stammgäste der Kneipen oder schlechten Häuser, die das Bedürfnis
haben, ihre Eindrücke kundzugeben, thun das fast immer in lateinischer Sprache;
Oskisch und Griechisch sind stets nur Ausnahmen. Die Pompejaner sprechen
nicht nur die Sprache ihrer Herren, sie teilen auch alle Gefühle derselben. Der
Kaiser hat keine treuem Unterthanen; sie waren die ersten, die den Kultus des
Augustus bei sich einsetzten. Daß die offiziellen Inschriften von Ausdrücken
der Verehrung und Liebe zum Herrscher überströmen, kann natürlich nicht über¬
raschen; viel merkwürdiger ist die Beobachtung, daß auch die von Leuten aus
dem Volke, gegen die wir den Verdacht der Schmeichelei und Lüge kaum hegen
können, mit Kohle auf die Wände geschriebenen Kundgebungen dieser Art oft
ähnliche Versicherungen enthalten. Wir finden mehrfach den Ausruf: „Es lebe
der Kaiser!" lÄioiwr!), und einer von denen, die ihn auf die Mauer
schreiben, fügt die Betrachtung hinzu: „Wenn es den Fürsten wohl ergeht, sind
auch die Völker glücklich" (Vobis sÄvis kslioss sumus xsi-xstuo).*) Ein andrer
hat das Bedürfnis, Rom, der ehemaligen Feindin, einen Gruß aus der Ferne
zu senden: RoniÄ vslö!**) Sind in Pompeji die Meisterwerke der griechischen
Schriftsteller nicht unbekannt, so kennt man die römische Literatur noch viel
besser. Im Cicero weiß man sogut Bescheid, daß man ihn einmal sogar pa-
rodirt;***) Properz, Ovid, ja sogar Lucrez werden beständig zitirt, besonders
aber scheint alle Welt die Aeneide zu studiren und an ihr Gefallen zu finden.





v. I. Il. Ur. 1261 ist offenbar Parodie einer berühmten Stelle der Verrinen.
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**) Edda. Ur. 1746. —
*) Lorxus Insoript. I.sÄi>. IV Ur. 1074. —
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[0468] pompejanische Spaziergänge. Gegenstande nicht vertraut und hat ihn ohne rechte Liebe behandelt. Die Ge¬ schichte der Dido, die wie geschaffen scheint, einen Maler von Talent anzuziehen, ist in Pompeji nur zweimal dargestellt. Das ist wenig, besonders wenn man bedenkt, daß ein ganz ähnlicher Stoff, das Abenteuer der Ariadne, mehr als dreißig Gemälde veranlaßt hat, darunter mehrere von bedeutender Größe und bemerkenswerter Ausführung. Freilich ist manchmal gesagt worden, Pompeji sei mehr eine griechische als eine römische Stadt gewesen, und wenn die Künstler für sie Werke aus¬ führten, zu denen Griechenlands Sagen und Überlieferungen die Anregung gaben, so hätten sie sich damit eben nur nach dem Geschmack dieser Stadt gerichtet. Diese Ansicht, obschon recht verbreitet, ist dennoch sehr unbegründet. Die Be¬ wohner von Pompeji betrachteten sich, seit sie das Bürgerrecht erhalten hatten, als Römer. Das Lateinische ist für sie nicht bloß die offizielle Sprache, deren sich die Behörden in ihren Verfügungen bedienen, es ist auch die Umgangs¬ sprache, der Armen wie der Reichen, der Bauern wie der Städter, im Privat¬ leben wie in der Öffentlichkeit. Die Kinder, die ihre Späße auf die Mauern kritzeln, die Jünglinge, die ihrer Geliebten einen Gruß senden, die Müßigen, die, wenn sie von den öffentlichen Spielen kommen, ihren Lieblingsgladiator preisen, die Stammgäste der Kneipen oder schlechten Häuser, die das Bedürfnis haben, ihre Eindrücke kundzugeben, thun das fast immer in lateinischer Sprache; Oskisch und Griechisch sind stets nur Ausnahmen. Die Pompejaner sprechen nicht nur die Sprache ihrer Herren, sie teilen auch alle Gefühle derselben. Der Kaiser hat keine treuem Unterthanen; sie waren die ersten, die den Kultus des Augustus bei sich einsetzten. Daß die offiziellen Inschriften von Ausdrücken der Verehrung und Liebe zum Herrscher überströmen, kann natürlich nicht über¬ raschen; viel merkwürdiger ist die Beobachtung, daß auch die von Leuten aus dem Volke, gegen die wir den Verdacht der Schmeichelei und Lüge kaum hegen können, mit Kohle auf die Wände geschriebenen Kundgebungen dieser Art oft ähnliche Versicherungen enthalten. Wir finden mehrfach den Ausruf: „Es lebe der Kaiser!" lÄioiwr!), und einer von denen, die ihn auf die Mauer schreiben, fügt die Betrachtung hinzu: „Wenn es den Fürsten wohl ergeht, sind auch die Völker glücklich" (Vobis sÄvis kslioss sumus xsi-xstuo).*) Ein andrer hat das Bedürfnis, Rom, der ehemaligen Feindin, einen Gruß aus der Ferne zu senden: RoniÄ vslö!**) Sind in Pompeji die Meisterwerke der griechischen Schriftsteller nicht unbekannt, so kennt man die römische Literatur noch viel besser. Im Cicero weiß man sogut Bescheid, daß man ihn einmal sogar pa- rodirt;***) Properz, Ovid, ja sogar Lucrez werden beständig zitirt, besonders aber scheint alle Welt die Aeneide zu studiren und an ihr Gefallen zu finden. Die Inschrift **) Edda. Ur. 1746. — *) Lorxus Insoript. I.sÄi>. IV Ur. 1074. — v. I. Il. Ur. 1261 ist offenbar Parodie einer berühmten Stelle der Verrinen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/468>, abgerufen am 22.07.2024.