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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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pompejamsche Spaziergänge.

auf sein Vaterland, daß er die Toga niemals ablegte, auch dann nicht, wenn
er das Malergerüst zu besteigen hatte.*) Ob er aber die Toga oder das Pallium
trug, der Künstler blieb ein Grieche. Die griechische Malerei blieb, als sie
sich in Italien niederließ, ihrer alten Weise treu; sie änderte in nichts ihre Ge¬
wohnheiten und ließ sich nach wie vor nur von den Erinnerungen der alten
Heimat inspiriren. "Sie war, sagt Letronne mit Recht, eine Pflanze, die
sich überall wie auf dem vaterländischen Boden entwickelte, fast ohne den Ein¬
fluß des Terrain- und Klimawechsels zu empfinden."

Ganz so tritt sie uns in Pompeji entgegen. Wir sind überrascht, zu sehen,
in welchem Maße sich Maler, die in einer italienischen Stadt für Leute arbeiteten,
welche auf nichts in der Welt stolzer waren als darauf, daß sie "römische
Bürger" hießen, zu einer Zeit, wo man für den nationale" Ruhm so empfänglich
war wie je, sich vom römischen Einfluß frei erhalten haben. Während dicht
neben ihnen die ursprünglich gleichfalls griechische Skulptur mit Freuden die
öffentlichen Plätze mit den Bildern der kaiserlichen Familie ausstattete, haben
jene nie daran gedacht, in den Tempeln, die sie dekorirten, die Thaten des
Augustus oder seiner Nachfolger zu malen. Die glorreiche Geschichte Roms,
das Staunen des Erdkreises, hat ihr Schaffen niemals inspirirt. Für ihre
mythologischen Gemälde entlehnen sie die Stoffe stets den griechischen Über¬
lieferungen und Mythen. Und doch gab es damals eine große, von der Be¬
wunderung des Volkes getragene und geweihte römische Dichtung, die man in
der ganzen Welt auswendig konnte, und in Pompeji sowohl als anderwärts
haben wir den Beweis dafür: es war Virgils Aeneide. Dieses Werk, dem
homerischen Epos so vielfach verwandt, brauchte griechischen Künstlern nicht zu
mißfallen. In einem Gedicht, worin Griechenland überall gegenwärtig, dessen
Held der Ilias entlehnt ist, konnten sie sich nicht fremd fühlen. Gleichwohl
fanden sich unter allen Wandgemälden in Pompeji nur fünf bis sechs Bilder,
deren Stoff der Aeneis entnommen ist; eins derselben ist sogar eine Karikatur.
Sie zeigt einen langgeschwänzten jungen Affen in römischem Panzer und
Soldatenstiefeln, der auf der Schulter einen älteren Affen trägt und ein Äffchen
an der Hand führt; es ist Aeneas, der mit Vater und Sohn Troja verläßt.
Von den übrigen Darstellungen ist nur noch eine bemerkenswert: eine sehr
treue Nachahmung einer Szene des zwölften Buches der Aeneide. Von einem
Pfeile im Kampfe getroffen, die Rechte auf einen Speer stützend, die Linke auf
die Schulter des weinenden Ascanius legend, steht Aeneas da und hält sein
Bein dem Arzte hin, dem alten Japyx, der sich bemüht, das Geschoß aus der
Wunde zu ziehen. Links schwebt die Mutter Venus heran, in der Hand das
Heiltrank. Es ist keine gute Malerei; die Personen zeigen eine ungeschickte
Haltung, die Anordnung ist schwerfällig, man merkt, der Künstler war mit dem



*) Plin. xxxv, 37.
pompejamsche Spaziergänge.

auf sein Vaterland, daß er die Toga niemals ablegte, auch dann nicht, wenn
er das Malergerüst zu besteigen hatte.*) Ob er aber die Toga oder das Pallium
trug, der Künstler blieb ein Grieche. Die griechische Malerei blieb, als sie
sich in Italien niederließ, ihrer alten Weise treu; sie änderte in nichts ihre Ge¬
wohnheiten und ließ sich nach wie vor nur von den Erinnerungen der alten
Heimat inspiriren. „Sie war, sagt Letronne mit Recht, eine Pflanze, die
sich überall wie auf dem vaterländischen Boden entwickelte, fast ohne den Ein¬
fluß des Terrain- und Klimawechsels zu empfinden."

Ganz so tritt sie uns in Pompeji entgegen. Wir sind überrascht, zu sehen,
in welchem Maße sich Maler, die in einer italienischen Stadt für Leute arbeiteten,
welche auf nichts in der Welt stolzer waren als darauf, daß sie „römische
Bürger" hießen, zu einer Zeit, wo man für den nationale» Ruhm so empfänglich
war wie je, sich vom römischen Einfluß frei erhalten haben. Während dicht
neben ihnen die ursprünglich gleichfalls griechische Skulptur mit Freuden die
öffentlichen Plätze mit den Bildern der kaiserlichen Familie ausstattete, haben
jene nie daran gedacht, in den Tempeln, die sie dekorirten, die Thaten des
Augustus oder seiner Nachfolger zu malen. Die glorreiche Geschichte Roms,
das Staunen des Erdkreises, hat ihr Schaffen niemals inspirirt. Für ihre
mythologischen Gemälde entlehnen sie die Stoffe stets den griechischen Über¬
lieferungen und Mythen. Und doch gab es damals eine große, von der Be¬
wunderung des Volkes getragene und geweihte römische Dichtung, die man in
der ganzen Welt auswendig konnte, und in Pompeji sowohl als anderwärts
haben wir den Beweis dafür: es war Virgils Aeneide. Dieses Werk, dem
homerischen Epos so vielfach verwandt, brauchte griechischen Künstlern nicht zu
mißfallen. In einem Gedicht, worin Griechenland überall gegenwärtig, dessen
Held der Ilias entlehnt ist, konnten sie sich nicht fremd fühlen. Gleichwohl
fanden sich unter allen Wandgemälden in Pompeji nur fünf bis sechs Bilder,
deren Stoff der Aeneis entnommen ist; eins derselben ist sogar eine Karikatur.
Sie zeigt einen langgeschwänzten jungen Affen in römischem Panzer und
Soldatenstiefeln, der auf der Schulter einen älteren Affen trägt und ein Äffchen
an der Hand führt; es ist Aeneas, der mit Vater und Sohn Troja verläßt.
Von den übrigen Darstellungen ist nur noch eine bemerkenswert: eine sehr
treue Nachahmung einer Szene des zwölften Buches der Aeneide. Von einem
Pfeile im Kampfe getroffen, die Rechte auf einen Speer stützend, die Linke auf
die Schulter des weinenden Ascanius legend, steht Aeneas da und hält sein
Bein dem Arzte hin, dem alten Japyx, der sich bemüht, das Geschoß aus der
Wunde zu ziehen. Links schwebt die Mutter Venus heran, in der Hand das
Heiltrank. Es ist keine gute Malerei; die Personen zeigen eine ungeschickte
Haltung, die Anordnung ist schwerfällig, man merkt, der Künstler war mit dem



*) Plin. xxxv, 37.
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[0467] pompejamsche Spaziergänge. auf sein Vaterland, daß er die Toga niemals ablegte, auch dann nicht, wenn er das Malergerüst zu besteigen hatte.*) Ob er aber die Toga oder das Pallium trug, der Künstler blieb ein Grieche. Die griechische Malerei blieb, als sie sich in Italien niederließ, ihrer alten Weise treu; sie änderte in nichts ihre Ge¬ wohnheiten und ließ sich nach wie vor nur von den Erinnerungen der alten Heimat inspiriren. „Sie war, sagt Letronne mit Recht, eine Pflanze, die sich überall wie auf dem vaterländischen Boden entwickelte, fast ohne den Ein¬ fluß des Terrain- und Klimawechsels zu empfinden." Ganz so tritt sie uns in Pompeji entgegen. Wir sind überrascht, zu sehen, in welchem Maße sich Maler, die in einer italienischen Stadt für Leute arbeiteten, welche auf nichts in der Welt stolzer waren als darauf, daß sie „römische Bürger" hießen, zu einer Zeit, wo man für den nationale» Ruhm so empfänglich war wie je, sich vom römischen Einfluß frei erhalten haben. Während dicht neben ihnen die ursprünglich gleichfalls griechische Skulptur mit Freuden die öffentlichen Plätze mit den Bildern der kaiserlichen Familie ausstattete, haben jene nie daran gedacht, in den Tempeln, die sie dekorirten, die Thaten des Augustus oder seiner Nachfolger zu malen. Die glorreiche Geschichte Roms, das Staunen des Erdkreises, hat ihr Schaffen niemals inspirirt. Für ihre mythologischen Gemälde entlehnen sie die Stoffe stets den griechischen Über¬ lieferungen und Mythen. Und doch gab es damals eine große, von der Be¬ wunderung des Volkes getragene und geweihte römische Dichtung, die man in der ganzen Welt auswendig konnte, und in Pompeji sowohl als anderwärts haben wir den Beweis dafür: es war Virgils Aeneide. Dieses Werk, dem homerischen Epos so vielfach verwandt, brauchte griechischen Künstlern nicht zu mißfallen. In einem Gedicht, worin Griechenland überall gegenwärtig, dessen Held der Ilias entlehnt ist, konnten sie sich nicht fremd fühlen. Gleichwohl fanden sich unter allen Wandgemälden in Pompeji nur fünf bis sechs Bilder, deren Stoff der Aeneis entnommen ist; eins derselben ist sogar eine Karikatur. Sie zeigt einen langgeschwänzten jungen Affen in römischem Panzer und Soldatenstiefeln, der auf der Schulter einen älteren Affen trägt und ein Äffchen an der Hand führt; es ist Aeneas, der mit Vater und Sohn Troja verläßt. Von den übrigen Darstellungen ist nur noch eine bemerkenswert: eine sehr treue Nachahmung einer Szene des zwölften Buches der Aeneide. Von einem Pfeile im Kampfe getroffen, die Rechte auf einen Speer stützend, die Linke auf die Schulter des weinenden Ascanius legend, steht Aeneas da und hält sein Bein dem Arzte hin, dem alten Japyx, der sich bemüht, das Geschoß aus der Wunde zu ziehen. Links schwebt die Mutter Venus heran, in der Hand das Heiltrank. Es ist keine gute Malerei; die Personen zeigen eine ungeschickte Haltung, die Anordnung ist schwerfällig, man merkt, der Künstler war mit dem *) Plin. xxxv, 37.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/467>, abgerufen am 22.07.2024.