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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Pomxejanische Spaziergänge.

nur noch ein gewöhnlicher Athlet, der mit Acheloos ganz so kämpft wie die,
welche sich in den öffentlichen Spielen dem Volke zeigen.*) Wenn Minerva
die Arachne herausfordert, macht sie sich ans Werk wie eine tüchtige Arbeiterin,
Schürze, um weniger genirt zu sein, ihr Kleid auf und läßt "mit einem Eifer,
daß sie die Mühe dabei vergißt" das Schifflein zwischen den Fäden spielen.**)
Juppiters Häuslichkeit ermangelt gänzlich der Würde; Juno ist unaufhörlich be¬
schäftigt, ihren Gatten, der ihr zur Eifersucht den begründetsten Anlaß giebt,
zu überwachen. Diese Tendenz, die Götter ganz wie die Menschen darzustellen
und der antiken Mythologie, um sie recht lebendig zu machen, ein modernes
Angesicht zu verleihen, beobachteten wir auch an den Wandgemälden von Pom¬
peji. Dies belveist, daß sie bereits bei den alexandrinischen Dichtern bestand.
Aber Ovid ist viel weiter gegangen als seine Lehrer. Er mischt in alles eine
Dosis Humor, einen Zusatz schwungvoller Komik, die der Genius der Alexan¬
driner nicht kennt. Ovid ahmt sie nach, aber gleichzeitig modifizirt er sie
wesentlich. Rohde bemerkt in seinem Buche über die Anfänge des griechischen
Romans, Ovid verdanke ihnen zwar den Stoff seiner Werke, unterscheide sich
aber von ihnen in der Ausführung.***) Die Alexandriner waren meist ängst¬
liche und übertrieben genaue Leute, mindestens ebensosehr Kritiker als Poeten,
sehr streng gegen andre und gegen sich selbst, Schriftsteller, die, um der vor¬
nehmen Gesellschaft zu gefallen, ihre Verse ungemein sorgfältig pflegten, ihre
Phrasen glätteten und seitdem, überall den Reichtum ihres Geistes und ihrer
Bildung in das gehörige Licht setzen wollten und infolge dessen nichts rechtes
produzirten. Einer ihrer echtesten Schüler war denn auch jener Helvius Cinna,
des Catullus Freund, der neun Jahre zur Vollendung einer Dichtung brauchte
und sie durch Brüten und Feilen glücklich so dunkel machte, daß sie sofort ge¬
lehrte Erklärer hatte und es ein Ruhm war, sie zu verstehen. Ovid war keiner
jener Silbenputzer, jener ewig Bedenklichen, die sich nie Genüge thun. Er besaß
lebhafte Phantasie und eine schnelle Hand; er hatte Freude am Jmprovisiren
und ein starkes Talent dafür. Er gewann den Beifall der feinen Welt, indem
er sich nicht bloß ihrem Geschmack fügte und ihren Neigungen schmeichelte, son¬
dern sie auch mit immer neuen Werken blendete. Von ihm läßt sich auch
sagen, daß er an die Stelle der gepflegten und geleckten "Kabinetsbilder" der
nlexandrinischen Schule kühne Fresken setzt -- Darstellungen, nicht frei von
Nachlässigkeiten, ja von anstößigen Mängel", dafür aber so fruchtbar an dich¬
terischem Vermögen, so reich im einzelnen, so leicht und schwungvoll in der
Ausführung, daß sie auch den Anspruchsvollsten bezaubern. Und dies ist aber¬
mals eine Ähnlichkeit mit den Malern von Pompeji.





Roman, Leipzig 1876, S. 12S.
***) x Rohde, Der griechische
"") Ovid, Usk. VI, 60. -
") Ovid, Not. IX, 36. --
Pomxejanische Spaziergänge.

nur noch ein gewöhnlicher Athlet, der mit Acheloos ganz so kämpft wie die,
welche sich in den öffentlichen Spielen dem Volke zeigen.*) Wenn Minerva
die Arachne herausfordert, macht sie sich ans Werk wie eine tüchtige Arbeiterin,
Schürze, um weniger genirt zu sein, ihr Kleid auf und läßt „mit einem Eifer,
daß sie die Mühe dabei vergißt" das Schifflein zwischen den Fäden spielen.**)
Juppiters Häuslichkeit ermangelt gänzlich der Würde; Juno ist unaufhörlich be¬
schäftigt, ihren Gatten, der ihr zur Eifersucht den begründetsten Anlaß giebt,
zu überwachen. Diese Tendenz, die Götter ganz wie die Menschen darzustellen
und der antiken Mythologie, um sie recht lebendig zu machen, ein modernes
Angesicht zu verleihen, beobachteten wir auch an den Wandgemälden von Pom¬
peji. Dies belveist, daß sie bereits bei den alexandrinischen Dichtern bestand.
Aber Ovid ist viel weiter gegangen als seine Lehrer. Er mischt in alles eine
Dosis Humor, einen Zusatz schwungvoller Komik, die der Genius der Alexan¬
driner nicht kennt. Ovid ahmt sie nach, aber gleichzeitig modifizirt er sie
wesentlich. Rohde bemerkt in seinem Buche über die Anfänge des griechischen
Romans, Ovid verdanke ihnen zwar den Stoff seiner Werke, unterscheide sich
aber von ihnen in der Ausführung.***) Die Alexandriner waren meist ängst¬
liche und übertrieben genaue Leute, mindestens ebensosehr Kritiker als Poeten,
sehr streng gegen andre und gegen sich selbst, Schriftsteller, die, um der vor¬
nehmen Gesellschaft zu gefallen, ihre Verse ungemein sorgfältig pflegten, ihre
Phrasen glätteten und seitdem, überall den Reichtum ihres Geistes und ihrer
Bildung in das gehörige Licht setzen wollten und infolge dessen nichts rechtes
produzirten. Einer ihrer echtesten Schüler war denn auch jener Helvius Cinna,
des Catullus Freund, der neun Jahre zur Vollendung einer Dichtung brauchte
und sie durch Brüten und Feilen glücklich so dunkel machte, daß sie sofort ge¬
lehrte Erklärer hatte und es ein Ruhm war, sie zu verstehen. Ovid war keiner
jener Silbenputzer, jener ewig Bedenklichen, die sich nie Genüge thun. Er besaß
lebhafte Phantasie und eine schnelle Hand; er hatte Freude am Jmprovisiren
und ein starkes Talent dafür. Er gewann den Beifall der feinen Welt, indem
er sich nicht bloß ihrem Geschmack fügte und ihren Neigungen schmeichelte, son¬
dern sie auch mit immer neuen Werken blendete. Von ihm läßt sich auch
sagen, daß er an die Stelle der gepflegten und geleckten „Kabinetsbilder" der
nlexandrinischen Schule kühne Fresken setzt — Darstellungen, nicht frei von
Nachlässigkeiten, ja von anstößigen Mängel», dafür aber so fruchtbar an dich¬
terischem Vermögen, so reich im einzelnen, so leicht und schwungvoll in der
Ausführung, daß sie auch den Anspruchsvollsten bezaubern. Und dies ist aber¬
mals eine Ähnlichkeit mit den Malern von Pompeji.





Roman, Leipzig 1876, S. 12S.
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[0464] Pomxejanische Spaziergänge. nur noch ein gewöhnlicher Athlet, der mit Acheloos ganz so kämpft wie die, welche sich in den öffentlichen Spielen dem Volke zeigen.*) Wenn Minerva die Arachne herausfordert, macht sie sich ans Werk wie eine tüchtige Arbeiterin, Schürze, um weniger genirt zu sein, ihr Kleid auf und läßt „mit einem Eifer, daß sie die Mühe dabei vergißt" das Schifflein zwischen den Fäden spielen.**) Juppiters Häuslichkeit ermangelt gänzlich der Würde; Juno ist unaufhörlich be¬ schäftigt, ihren Gatten, der ihr zur Eifersucht den begründetsten Anlaß giebt, zu überwachen. Diese Tendenz, die Götter ganz wie die Menschen darzustellen und der antiken Mythologie, um sie recht lebendig zu machen, ein modernes Angesicht zu verleihen, beobachteten wir auch an den Wandgemälden von Pom¬ peji. Dies belveist, daß sie bereits bei den alexandrinischen Dichtern bestand. Aber Ovid ist viel weiter gegangen als seine Lehrer. Er mischt in alles eine Dosis Humor, einen Zusatz schwungvoller Komik, die der Genius der Alexan¬ driner nicht kennt. Ovid ahmt sie nach, aber gleichzeitig modifizirt er sie wesentlich. Rohde bemerkt in seinem Buche über die Anfänge des griechischen Romans, Ovid verdanke ihnen zwar den Stoff seiner Werke, unterscheide sich aber von ihnen in der Ausführung.***) Die Alexandriner waren meist ängst¬ liche und übertrieben genaue Leute, mindestens ebensosehr Kritiker als Poeten, sehr streng gegen andre und gegen sich selbst, Schriftsteller, die, um der vor¬ nehmen Gesellschaft zu gefallen, ihre Verse ungemein sorgfältig pflegten, ihre Phrasen glätteten und seitdem, überall den Reichtum ihres Geistes und ihrer Bildung in das gehörige Licht setzen wollten und infolge dessen nichts rechtes produzirten. Einer ihrer echtesten Schüler war denn auch jener Helvius Cinna, des Catullus Freund, der neun Jahre zur Vollendung einer Dichtung brauchte und sie durch Brüten und Feilen glücklich so dunkel machte, daß sie sofort ge¬ lehrte Erklärer hatte und es ein Ruhm war, sie zu verstehen. Ovid war keiner jener Silbenputzer, jener ewig Bedenklichen, die sich nie Genüge thun. Er besaß lebhafte Phantasie und eine schnelle Hand; er hatte Freude am Jmprovisiren und ein starkes Talent dafür. Er gewann den Beifall der feinen Welt, indem er sich nicht bloß ihrem Geschmack fügte und ihren Neigungen schmeichelte, son¬ dern sie auch mit immer neuen Werken blendete. Von ihm läßt sich auch sagen, daß er an die Stelle der gepflegten und geleckten „Kabinetsbilder" der nlexandrinischen Schule kühne Fresken setzt — Darstellungen, nicht frei von Nachlässigkeiten, ja von anstößigen Mängel», dafür aber so fruchtbar an dich¬ terischem Vermögen, so reich im einzelnen, so leicht und schwungvoll in der Ausführung, daß sie auch den Anspruchsvollsten bezaubern. Und dies ist aber¬ mals eine Ähnlichkeit mit den Malern von Pompeji. ***) x Rohde, Der griechische »«) Ovid, Usk. VI, 60. - «) Ovid, Not. IX, 36. — Roman, Leipzig 1876, S. 12S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/464>, abgerufen am 22.07.2024.