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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Pompejanische Spaziergänge,

bringen, dies alles erinnert an die seltsamen Phantasien gewisser pompejanischen
Landschaften, wo Stadt und Land in bizarrer Mischling neben einander auf¬
treten, wo wir in der Einöde, in welcher Polyphem seine Herde auf die
Weide führt, zierliche Säulenhalle" und auf den Höhen des Kaukasus, bei dem
Geier, der den Prometheus zerfleischt, einen mit Blumengewinden bekränzten
ionischen Tempel erblicken.

Noch sichtbarer ist der Einfluß der Alexandriner bei Properz; daher bieten
denn auch seine Elegien noch mehr Beziehungen zu den pompejanischen Wand¬
gemälden als Virgils Eklogen. Die Mythologie ist bei ihm überschwenglich;
alle seine Empfindungen, die traurigen wie die fröhlichen, kommen in Anspielungen
auf alte Legenden zum Ausdruck. Kein höheres und zarteres Lob hat er zum
Preise seiner Geliebten als den Vergleich mit den Heroinen der Vorzeit. Hat
er sie einmal mit auf den Arm gestütztem Haupt schlummernd überrascht, so
erinnert sie ihn sofort an die am Gestade von Naxos ruhende Ariadne, an
Andromeda nach ihrer wunderbaren Befreiung, oder an die erschöpfte Bacchantin,
die in den Ebenen Thessaliens, von unbesteglichem Schlummer erfaßt, zu Boden
sinkt -- lauter den Besuchern der campanischen Städte wohlbekannte Gestalten.
Wenn Cynthia nach langem Widerstände, der den Dichter fast zur Verzweiflung
gebracht hat, endlich seiner Liebeswerbung nachgiebt, so feiert er seinen Sieg
mit einer förmlichen mythologischen Eruption. "Nein, der Sohn des Atreus
war uicht fröhlicher, als er die Burg von Troja in den Staub sinken sah; Odysseus,
nach allen seinen Irrfahrten, landete nicht mit größerem Entzücken an den
Gestaden seiner geliebten Insel; Elektra, als sie ihren Bruder erblickte, dessen
Asche sie in ihren Händen zu halten gewähnt hatte, die Tochter des Minos,
als sie den Theseus, den sie aus dem Labyrinth errettet, wiedersah, empfanden
nicht so große Seligkeit, als mir in der vergangenen Nacht zu Teil wurde.
Noch einmal möge sie mich mit ihrer Gunst beglücken, und ich halte mich für
einen unsterblichen Gott!"*) Auch die kleinen Liebesgötter, die wir in den
pompejanischen Wandgemälden so häufig antrafen, fehlen nicht in den Dichtungen
des Properz. Wenn er sich selbst eine Art Triumph zuerkennt dafür, daß er
die Römer mit der ganzen Schönheit der alexandrinischen Elegie bekannt gemacht
hat, dann ruft er auch die Eroten herbei und will, daß sie mit ihm in dem¬
selben Wagen Platz nehmen.**) In einem seiner anmutigsten Gedichte erzählt
er, wie er einmal in nächtlicher Stunde, allein und berauscht, mit unsicherm
Schritte in der schlafenden Stadt umherschweift und nach einem verliebten Aben¬
teuer ausspäht. Plötzlich gerät er mitten zwischen eine Schaar kleiner Knaben,
die zu zählen die Furcht ihn verhindert. "Die einen trugen kleine Fackeln,
die andern führten Pfeile, noch andre schienen Fesseln für mich bereit zu machen,




H,morss,
**) Properz III, 1, 11, M msoum in ourru xs,roi vovwnwr
-) Properz II, 14, --
Pompejanische Spaziergänge,

bringen, dies alles erinnert an die seltsamen Phantasien gewisser pompejanischen
Landschaften, wo Stadt und Land in bizarrer Mischling neben einander auf¬
treten, wo wir in der Einöde, in welcher Polyphem seine Herde auf die
Weide führt, zierliche Säulenhalle» und auf den Höhen des Kaukasus, bei dem
Geier, der den Prometheus zerfleischt, einen mit Blumengewinden bekränzten
ionischen Tempel erblicken.

Noch sichtbarer ist der Einfluß der Alexandriner bei Properz; daher bieten
denn auch seine Elegien noch mehr Beziehungen zu den pompejanischen Wand¬
gemälden als Virgils Eklogen. Die Mythologie ist bei ihm überschwenglich;
alle seine Empfindungen, die traurigen wie die fröhlichen, kommen in Anspielungen
auf alte Legenden zum Ausdruck. Kein höheres und zarteres Lob hat er zum
Preise seiner Geliebten als den Vergleich mit den Heroinen der Vorzeit. Hat
er sie einmal mit auf den Arm gestütztem Haupt schlummernd überrascht, so
erinnert sie ihn sofort an die am Gestade von Naxos ruhende Ariadne, an
Andromeda nach ihrer wunderbaren Befreiung, oder an die erschöpfte Bacchantin,
die in den Ebenen Thessaliens, von unbesteglichem Schlummer erfaßt, zu Boden
sinkt — lauter den Besuchern der campanischen Städte wohlbekannte Gestalten.
Wenn Cynthia nach langem Widerstände, der den Dichter fast zur Verzweiflung
gebracht hat, endlich seiner Liebeswerbung nachgiebt, so feiert er seinen Sieg
mit einer förmlichen mythologischen Eruption. „Nein, der Sohn des Atreus
war uicht fröhlicher, als er die Burg von Troja in den Staub sinken sah; Odysseus,
nach allen seinen Irrfahrten, landete nicht mit größerem Entzücken an den
Gestaden seiner geliebten Insel; Elektra, als sie ihren Bruder erblickte, dessen
Asche sie in ihren Händen zu halten gewähnt hatte, die Tochter des Minos,
als sie den Theseus, den sie aus dem Labyrinth errettet, wiedersah, empfanden
nicht so große Seligkeit, als mir in der vergangenen Nacht zu Teil wurde.
Noch einmal möge sie mich mit ihrer Gunst beglücken, und ich halte mich für
einen unsterblichen Gott!"*) Auch die kleinen Liebesgötter, die wir in den
pompejanischen Wandgemälden so häufig antrafen, fehlen nicht in den Dichtungen
des Properz. Wenn er sich selbst eine Art Triumph zuerkennt dafür, daß er
die Römer mit der ganzen Schönheit der alexandrinischen Elegie bekannt gemacht
hat, dann ruft er auch die Eroten herbei und will, daß sie mit ihm in dem¬
selben Wagen Platz nehmen.**) In einem seiner anmutigsten Gedichte erzählt
er, wie er einmal in nächtlicher Stunde, allein und berauscht, mit unsicherm
Schritte in der schlafenden Stadt umherschweift und nach einem verliebten Aben¬
teuer ausspäht. Plötzlich gerät er mitten zwischen eine Schaar kleiner Knaben,
die zu zählen die Furcht ihn verhindert. „Die einen trugen kleine Fackeln,
die andern führten Pfeile, noch andre schienen Fesseln für mich bereit zu machen,




H,morss,
**) Properz III, 1, 11, M msoum in ourru xs,roi vovwnwr
-) Properz II, 14, —
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[0462] Pompejanische Spaziergänge, bringen, dies alles erinnert an die seltsamen Phantasien gewisser pompejanischen Landschaften, wo Stadt und Land in bizarrer Mischling neben einander auf¬ treten, wo wir in der Einöde, in welcher Polyphem seine Herde auf die Weide führt, zierliche Säulenhalle» und auf den Höhen des Kaukasus, bei dem Geier, der den Prometheus zerfleischt, einen mit Blumengewinden bekränzten ionischen Tempel erblicken. Noch sichtbarer ist der Einfluß der Alexandriner bei Properz; daher bieten denn auch seine Elegien noch mehr Beziehungen zu den pompejanischen Wand¬ gemälden als Virgils Eklogen. Die Mythologie ist bei ihm überschwenglich; alle seine Empfindungen, die traurigen wie die fröhlichen, kommen in Anspielungen auf alte Legenden zum Ausdruck. Kein höheres und zarteres Lob hat er zum Preise seiner Geliebten als den Vergleich mit den Heroinen der Vorzeit. Hat er sie einmal mit auf den Arm gestütztem Haupt schlummernd überrascht, so erinnert sie ihn sofort an die am Gestade von Naxos ruhende Ariadne, an Andromeda nach ihrer wunderbaren Befreiung, oder an die erschöpfte Bacchantin, die in den Ebenen Thessaliens, von unbesteglichem Schlummer erfaßt, zu Boden sinkt — lauter den Besuchern der campanischen Städte wohlbekannte Gestalten. Wenn Cynthia nach langem Widerstände, der den Dichter fast zur Verzweiflung gebracht hat, endlich seiner Liebeswerbung nachgiebt, so feiert er seinen Sieg mit einer förmlichen mythologischen Eruption. „Nein, der Sohn des Atreus war uicht fröhlicher, als er die Burg von Troja in den Staub sinken sah; Odysseus, nach allen seinen Irrfahrten, landete nicht mit größerem Entzücken an den Gestaden seiner geliebten Insel; Elektra, als sie ihren Bruder erblickte, dessen Asche sie in ihren Händen zu halten gewähnt hatte, die Tochter des Minos, als sie den Theseus, den sie aus dem Labyrinth errettet, wiedersah, empfanden nicht so große Seligkeit, als mir in der vergangenen Nacht zu Teil wurde. Noch einmal möge sie mich mit ihrer Gunst beglücken, und ich halte mich für einen unsterblichen Gott!"*) Auch die kleinen Liebesgötter, die wir in den pompejanischen Wandgemälden so häufig antrafen, fehlen nicht in den Dichtungen des Properz. Wenn er sich selbst eine Art Triumph zuerkennt dafür, daß er die Römer mit der ganzen Schönheit der alexandrinischen Elegie bekannt gemacht hat, dann ruft er auch die Eroten herbei und will, daß sie mit ihm in dem¬ selben Wagen Platz nehmen.**) In einem seiner anmutigsten Gedichte erzählt er, wie er einmal in nächtlicher Stunde, allein und berauscht, mit unsicherm Schritte in der schlafenden Stadt umherschweift und nach einem verliebten Aben¬ teuer ausspäht. Plötzlich gerät er mitten zwischen eine Schaar kleiner Knaben, die zu zählen die Furcht ihn verhindert. „Die einen trugen kleine Fackeln, die andern führten Pfeile, noch andre schienen Fesseln für mich bereit zu machen, **) Properz III, 1, 11, M msoum in ourru xs,roi vovwnwr -) Properz II, 14, — H,morss,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/462>, abgerufen am 22.07.2024.