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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Pompejanische Spaziergänge.

rinnen der Staatsmänner, sangen mit Entzücken die Verse des Calvus und des
Catullus. Von nun an schleicht sich die Nachahmung der Alexandriner fast bei
allen Dichtern ein; insbesondre herrscht sie bei Ovid und bei Properz vor,
der sich ohne Umschweife als Schüler des Kallimachos und des Philetas
bekennt.

So kommt es, daß die römischen Elegiker und die Maler von Pompeji ein¬
ander so häusig begegnen. Diese Ähnlichkeiten sind keine bloßen Kuriositäten,
von denen man beiläufig einmal mit Vergnügen Notiz nimmt. Der Hinweis
auf sie gewährt vielmehr ein ernstes Interesse, denn sie können uns zu einem
bessern Verständnis ^der Literatur des augusteischen Zeitalters verhelfen. Da
die Dichter vou Alexandria verloren sind, so ist es schwer, festzustellen, wie
weit die Dichter von Rom sie treu nachgeahmt haben, und das, was sie von
jenen entlehnten, von dem zu unterscheiden, was ihnen selbst gehört. Um dies
zu erforschen, müssen wir sie mit den Gemälden von Pompeji vergleichen; er¬
innern uns ihre Beschreibungen an ein pompejanisches Bild, so liegt der Schluß
nahe, daß Maler und Dichter ein gemeinsames Vorbild vor Augen hatten und
daß sie beide Nachahmer sind.

Wir wissen nicht, wem Catnll sein schönstes Gedicht verdankt, worin er
die von Theseus verlassenen und von Dionysos getröstete Ariadne schildert. Riese*)
glaubt, er habe es aus Kallimachos übersetzt, giebt dafür aber keinen entscheidenden
Beweis. Sicher ist, daß sich dieser Gegenstand auf den Wänden von Pompeji oder
Herculaneum sehr häufig dargestellt findet und daß er folglich bei den Poeten von
Alexandria ein beliebtes Thema war. Auch erinnert die Behandlung bei Catull an die
Art der Alexandriner: mit Zügen tiefer Leidenschaft vermischt er viele zierliche
Diminutive; die tragische Situation hindert ihn nicht, die Toilette seiner Heldin
zu beschreiben, uns gelegentlich ein Wort von ihren blonden Haaren, ihren
reizenden kleinen Augen zu sagen, ja sogar zu erzählen, daß sie beim Hinein¬
schreiten in die Fluten, um ihrem entfliehenden Geliebten zu folgen, Sorge
trägt, ihr Gewand bis zum Knie aufzuschürzen.

Auch Virgil fing damit an, daß er der Tagesmode wich und die Alexan¬
driner nachahmte. Dieser Umstand erklärt die Fehler, welche man seinen ersten
Werken vorwirft. In seinen "Bukolika" fällt uns hin und wieder ein gewisser
Mangel an Zusammenhang auf, der bei einem so klugen und seinen Geiste über¬
rascht. Diese arkadischen Schäfer, die an den Ufern des Mincio wohnen, diese
Staatsmänner, die zu Hirten geworden sind und in einsamen Grotten Körbe
aus Rohr flechten oder die Schalmei blasen, um in solchen ländlichen Freuden
Trost zu finden für die Untreue einer mit einem Offizier durchgegangenen
Schauspielerin, diese ganze Art, die städtischen Ereignisse aufs Land zu versetzen
und mitten in den Unterhaltungen von Schäfern politische Anspielungen anzu-




**) Nollia nnäaws tolloutsm tsAwins huius.
Rhein. Mus. XXI, 498. --
Pompejanische Spaziergänge.

rinnen der Staatsmänner, sangen mit Entzücken die Verse des Calvus und des
Catullus. Von nun an schleicht sich die Nachahmung der Alexandriner fast bei
allen Dichtern ein; insbesondre herrscht sie bei Ovid und bei Properz vor,
der sich ohne Umschweife als Schüler des Kallimachos und des Philetas
bekennt.

So kommt es, daß die römischen Elegiker und die Maler von Pompeji ein¬
ander so häusig begegnen. Diese Ähnlichkeiten sind keine bloßen Kuriositäten,
von denen man beiläufig einmal mit Vergnügen Notiz nimmt. Der Hinweis
auf sie gewährt vielmehr ein ernstes Interesse, denn sie können uns zu einem
bessern Verständnis ^der Literatur des augusteischen Zeitalters verhelfen. Da
die Dichter vou Alexandria verloren sind, so ist es schwer, festzustellen, wie
weit die Dichter von Rom sie treu nachgeahmt haben, und das, was sie von
jenen entlehnten, von dem zu unterscheiden, was ihnen selbst gehört. Um dies
zu erforschen, müssen wir sie mit den Gemälden von Pompeji vergleichen; er¬
innern uns ihre Beschreibungen an ein pompejanisches Bild, so liegt der Schluß
nahe, daß Maler und Dichter ein gemeinsames Vorbild vor Augen hatten und
daß sie beide Nachahmer sind.

Wir wissen nicht, wem Catnll sein schönstes Gedicht verdankt, worin er
die von Theseus verlassenen und von Dionysos getröstete Ariadne schildert. Riese*)
glaubt, er habe es aus Kallimachos übersetzt, giebt dafür aber keinen entscheidenden
Beweis. Sicher ist, daß sich dieser Gegenstand auf den Wänden von Pompeji oder
Herculaneum sehr häufig dargestellt findet und daß er folglich bei den Poeten von
Alexandria ein beliebtes Thema war. Auch erinnert die Behandlung bei Catull an die
Art der Alexandriner: mit Zügen tiefer Leidenschaft vermischt er viele zierliche
Diminutive; die tragische Situation hindert ihn nicht, die Toilette seiner Heldin
zu beschreiben, uns gelegentlich ein Wort von ihren blonden Haaren, ihren
reizenden kleinen Augen zu sagen, ja sogar zu erzählen, daß sie beim Hinein¬
schreiten in die Fluten, um ihrem entfliehenden Geliebten zu folgen, Sorge
trägt, ihr Gewand bis zum Knie aufzuschürzen.

Auch Virgil fing damit an, daß er der Tagesmode wich und die Alexan¬
driner nachahmte. Dieser Umstand erklärt die Fehler, welche man seinen ersten
Werken vorwirft. In seinen „Bukolika" fällt uns hin und wieder ein gewisser
Mangel an Zusammenhang auf, der bei einem so klugen und seinen Geiste über¬
rascht. Diese arkadischen Schäfer, die an den Ufern des Mincio wohnen, diese
Staatsmänner, die zu Hirten geworden sind und in einsamen Grotten Körbe
aus Rohr flechten oder die Schalmei blasen, um in solchen ländlichen Freuden
Trost zu finden für die Untreue einer mit einem Offizier durchgegangenen
Schauspielerin, diese ganze Art, die städtischen Ereignisse aufs Land zu versetzen
und mitten in den Unterhaltungen von Schäfern politische Anspielungen anzu-




**) Nollia nnäaws tolloutsm tsAwins huius.
Rhein. Mus. XXI, 498. —
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/461>, abgerufen am 03.07.2024.