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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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jZompejaiusche Spaziergänge.

arbeiteten nach denselben Vorbildern, sie waren die Schüler der Meister von
Alexandria. So konnten sie einander vielfach begegnen, auch ohne sich zu
kennen.

Bekanntlich besitzen die Römer keine wahrhaft originale Literatur; sie haben
stets von Anleihen gelebt. Zuerst ahmten sie die klassische Dichtung der Griechen
nach, d. h. diejenige, welche von Homer bis zur Zeit Alexanders geblüht hat.
Mau muß gestehen, sie haben damit ihre Muster gut gewählt. Ich glaube
indessen nicht, daß man ihnen dieses Verdienst gar so hoch anrechnen darf; sie
waren in jenen fernen Zeiten wohl kaum imstande, die alte griechische Literatur
von der neuen und die Schriftsteller des perikleischen Jahrhunderts von denen,
die am Hofe der Ptolemäer lebten, zu unterscheiden. Die Wahl, die sie damals
trafen, erklärt sich weniger aus der Feinheit ihres Geschmacks als aus den
Umstünden. Die alten griechischen Dichter, obschon in den Augen der vor¬
nehmen Welt durch deu Ruhm neuer Schriftsteller einigermaßen in Schatten
gestellt, herrschten doch noch immer unbestritten in den Schulen. Die Gramma¬
tiker erklärten sie ihren Schülern, und sie bildeten die Grundlage der öffent¬
lichen Erziehung. Da die Römer Griechenland zuerst durch die Vermittlung
der Lehrer kennen lernten, welche zum Unterricht ihrer Kinder nach Rom kamen,
so war die natürliche Folge, daß sie diejenigen Schriftsteller bewunderten und
nachahmten, welche in den Schulen nachgeahmt und bewundert wurden, d. h. die
des klassischen Zeitalters. Auch leuchtet ein, daß diese alten Dichter durch ihre
Größe und Einfachheit einem energischen und jungen Volke, welches sich zur
Eroberung der Welt anschickte, zusagten. Leider widerstanden die männlichen
Tugenden der ersten Römer nicht ihrem Glücke, und gerade als die Verweich¬
lichung begann, brachte eben der Fortschritt der Eroberungen die Römer in
direkteren Verkehr mit den Griechen. Nachdem sie griechisches Wesen in den
Schulen und aus den Büchern kennen gelernt hatten, fingen sie an, sich die
Griechen in ihrem eignen Hause anzusehen und das Land selbst zu bereisen.
In Athen, in Pergamon, in Alexandria, in jenen großen Städten, die sie so
gern besuchten und von denen mehrere die Hauptstädte mächtiger Reiche ge¬
wesen waren, fanden sie eine hochgebildete, höfliche, geistreiche Gesellschaft, in
deren Mitte zu leben ihnen als hohes Glück erschien, eine Literatur, die, ganz
verschieden von derjenigen, in welcher ihre Lehrer sie unterwiesen hatten, sie
sofort bezauberte. Die wenigen Freunde der Vergangenheit leisteten vergeblich
Widerstand. Cicero beklagte sich bitter über die "Lobhudler des Euphorion,"
die sich frech über Ennius lustig machten und ihm einen Schöngeist aus Alexan¬
dria vorzogen. Auch Lucrez blieb dem Ennius und den alten Dichtern treu,
erkannte sie als seine Meister an und gefiel sich in der Nachahmung ihrer
kraftvollen und verständigen Verse. Aber auf Seiten der neuen Schule standen
die eigentlichen Bürgen des Erfolgs: die Jugend und die Frauen. Die schönen
Freigelassenen, die in der feinen Gesellschaft den Ton angaben, die Beherrsche-


jZompejaiusche Spaziergänge.

arbeiteten nach denselben Vorbildern, sie waren die Schüler der Meister von
Alexandria. So konnten sie einander vielfach begegnen, auch ohne sich zu
kennen.

Bekanntlich besitzen die Römer keine wahrhaft originale Literatur; sie haben
stets von Anleihen gelebt. Zuerst ahmten sie die klassische Dichtung der Griechen
nach, d. h. diejenige, welche von Homer bis zur Zeit Alexanders geblüht hat.
Mau muß gestehen, sie haben damit ihre Muster gut gewählt. Ich glaube
indessen nicht, daß man ihnen dieses Verdienst gar so hoch anrechnen darf; sie
waren in jenen fernen Zeiten wohl kaum imstande, die alte griechische Literatur
von der neuen und die Schriftsteller des perikleischen Jahrhunderts von denen,
die am Hofe der Ptolemäer lebten, zu unterscheiden. Die Wahl, die sie damals
trafen, erklärt sich weniger aus der Feinheit ihres Geschmacks als aus den
Umstünden. Die alten griechischen Dichter, obschon in den Augen der vor¬
nehmen Welt durch deu Ruhm neuer Schriftsteller einigermaßen in Schatten
gestellt, herrschten doch noch immer unbestritten in den Schulen. Die Gramma¬
tiker erklärten sie ihren Schülern, und sie bildeten die Grundlage der öffent¬
lichen Erziehung. Da die Römer Griechenland zuerst durch die Vermittlung
der Lehrer kennen lernten, welche zum Unterricht ihrer Kinder nach Rom kamen,
so war die natürliche Folge, daß sie diejenigen Schriftsteller bewunderten und
nachahmten, welche in den Schulen nachgeahmt und bewundert wurden, d. h. die
des klassischen Zeitalters. Auch leuchtet ein, daß diese alten Dichter durch ihre
Größe und Einfachheit einem energischen und jungen Volke, welches sich zur
Eroberung der Welt anschickte, zusagten. Leider widerstanden die männlichen
Tugenden der ersten Römer nicht ihrem Glücke, und gerade als die Verweich¬
lichung begann, brachte eben der Fortschritt der Eroberungen die Römer in
direkteren Verkehr mit den Griechen. Nachdem sie griechisches Wesen in den
Schulen und aus den Büchern kennen gelernt hatten, fingen sie an, sich die
Griechen in ihrem eignen Hause anzusehen und das Land selbst zu bereisen.
In Athen, in Pergamon, in Alexandria, in jenen großen Städten, die sie so
gern besuchten und von denen mehrere die Hauptstädte mächtiger Reiche ge¬
wesen waren, fanden sie eine hochgebildete, höfliche, geistreiche Gesellschaft, in
deren Mitte zu leben ihnen als hohes Glück erschien, eine Literatur, die, ganz
verschieden von derjenigen, in welcher ihre Lehrer sie unterwiesen hatten, sie
sofort bezauberte. Die wenigen Freunde der Vergangenheit leisteten vergeblich
Widerstand. Cicero beklagte sich bitter über die „Lobhudler des Euphorion,"
die sich frech über Ennius lustig machten und ihm einen Schöngeist aus Alexan¬
dria vorzogen. Auch Lucrez blieb dem Ennius und den alten Dichtern treu,
erkannte sie als seine Meister an und gefiel sich in der Nachahmung ihrer
kraftvollen und verständigen Verse. Aber auf Seiten der neuen Schule standen
die eigentlichen Bürgen des Erfolgs: die Jugend und die Frauen. Die schönen
Freigelassenen, die in der feinen Gesellschaft den Ton angaben, die Beherrsche-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/460>, abgerufen am 01.07.2024.