Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Katharina die Zweite als Journalistin.

den Gesetzen der menschlichen Natur zu lenken. Durch die Plaudereien im
"Gesprächsgenossen" verfolgte sie den Zweck, die Sitten der russischen Gesell¬
schaft zu bessern, die Mängel, Thorheiten und Fehler der "Gebildeten" durch
einfache Beschreibung derselben, durch Spott und satirische Darstellung ihnen
zum Bewußtsein zu bringen und sie zu bekämpfen. Freilich nur als erstes
Stadium auf dem Wege der Staatsräson. Sie wählte dazu den leichten,
tändelnden Plauderton, der selbst oberflächlichen Personen nicht beschwerlich sein
konnte und ihnen die Pillen verzuckert beibrachte.

Sie begann damit, die Schwächen bekannter Persönlichkeiten aus ihrer Um¬
gebung zu schildern, ohne deren Namen zu neunen. Mit schadenfrohem Interesse
zogen diese Silhouetten die Leser an und herbei. Obwohl die Kaiserin erklärte,
sie habe dabei keineswegs bestimmte Menschen im Auge, sondern schöpfe lediglich
aus dem allgemeinen "Meere der Natur" und beschreibe nur, "wie es im Leben
hergehe," und wenn sich jemand dadurch getroffen fühle, so beweise das nur,
daß sie die Natur richtig wiedergegeben habe, so glaubte ihr das doch niemand,
und man fiel mit Neugier über jedes neue Heft des "Gesprächsgenossen" her,
um an dem Inhalte der kaiserlichen Skizzen herumzudeuteln. Daß Katharina
in der That Porträts zeichnete, können wir noch heute kontroliren. In ihren
von Alex. Herzen übersetzten Memoiren kommt ein Oberhofmeistcr Tschoglokow.
vor, der sie, als sie noch Großfürstin war, zu beaufsichtigen hatte, sie anfangs
quälte, aber von ihr bald mit großer Menschenkenntnis gegängelt wurde. Der¬
selbe wird unter der Überschrift "Essay über Eigenliebe" fast mit denselben
Worten im "Gesprächsgenossen" dargestellt wie in den Memoiren. In dieser
Weise lieferte sie noch mehr Personalschilderungen, deren Originale teils noch
jetzt bekannt sind. Nachdem sie so die Aufmerksamkeit an sich gefesselt, überließ
sie sich zwanglos ihren Einfällen, schrieb, wie man zu sagen pflegt "durch Korn
und Flachs", mischte, um die Spannung zu erhalten, hie und da dunkle An¬
spielungen ein, immer aber ließ sich in den kaleidoskopartigen Bilderchen, mit
denen sie ihre Leser unterhielt, eine pädagogische Absicht erkennen. Dabei
hütete sie sich, Laster und Sünden oder, wie sie es nannte, "Garstiges und
Widerwillen Erregendes" zu berühren, überhaupt zu verletzen und zu strafen;
sie erklärte alles als ungeeignet für "Wahrheit und Dichtung," was nicht im
"Geiste des Lächelns" geschrieben sei.

Fand Katharina aber in dieser Beschäftigung und in der Anerkennung,
die ihr dafür zu Teil ward, eine gewisse Befriedigung, so sollten ihr doch auch
die Verdrießlichkeiten nicht erspart bleiben, welche mit literarischer Thätigkeit
verbunden sind. Sie und die unternehmende Fürstin Daschkow hatten die Keck¬
heit, die Kritik herauszufordern. Sie baten nicht nur offen darum, der Redaktion
Bemerkungen und Urteile über den Inhalt des "Gcsprächsgenossen" einzusenden,
sondern die Kaiserin spottete auch: "Was wird nicht iritisirt! Sogar mein
bunter Hahn und sein Kikeriki wird den Kritikern nicht entgehen." Der geweckte


Katharina die Zweite als Journalistin.

den Gesetzen der menschlichen Natur zu lenken. Durch die Plaudereien im
„Gesprächsgenossen" verfolgte sie den Zweck, die Sitten der russischen Gesell¬
schaft zu bessern, die Mängel, Thorheiten und Fehler der „Gebildeten" durch
einfache Beschreibung derselben, durch Spott und satirische Darstellung ihnen
zum Bewußtsein zu bringen und sie zu bekämpfen. Freilich nur als erstes
Stadium auf dem Wege der Staatsräson. Sie wählte dazu den leichten,
tändelnden Plauderton, der selbst oberflächlichen Personen nicht beschwerlich sein
konnte und ihnen die Pillen verzuckert beibrachte.

Sie begann damit, die Schwächen bekannter Persönlichkeiten aus ihrer Um¬
gebung zu schildern, ohne deren Namen zu neunen. Mit schadenfrohem Interesse
zogen diese Silhouetten die Leser an und herbei. Obwohl die Kaiserin erklärte,
sie habe dabei keineswegs bestimmte Menschen im Auge, sondern schöpfe lediglich
aus dem allgemeinen „Meere der Natur" und beschreibe nur, „wie es im Leben
hergehe," und wenn sich jemand dadurch getroffen fühle, so beweise das nur,
daß sie die Natur richtig wiedergegeben habe, so glaubte ihr das doch niemand,
und man fiel mit Neugier über jedes neue Heft des „Gesprächsgenossen" her,
um an dem Inhalte der kaiserlichen Skizzen herumzudeuteln. Daß Katharina
in der That Porträts zeichnete, können wir noch heute kontroliren. In ihren
von Alex. Herzen übersetzten Memoiren kommt ein Oberhofmeistcr Tschoglokow.
vor, der sie, als sie noch Großfürstin war, zu beaufsichtigen hatte, sie anfangs
quälte, aber von ihr bald mit großer Menschenkenntnis gegängelt wurde. Der¬
selbe wird unter der Überschrift „Essay über Eigenliebe" fast mit denselben
Worten im „Gesprächsgenossen" dargestellt wie in den Memoiren. In dieser
Weise lieferte sie noch mehr Personalschilderungen, deren Originale teils noch
jetzt bekannt sind. Nachdem sie so die Aufmerksamkeit an sich gefesselt, überließ
sie sich zwanglos ihren Einfällen, schrieb, wie man zu sagen pflegt „durch Korn
und Flachs", mischte, um die Spannung zu erhalten, hie und da dunkle An¬
spielungen ein, immer aber ließ sich in den kaleidoskopartigen Bilderchen, mit
denen sie ihre Leser unterhielt, eine pädagogische Absicht erkennen. Dabei
hütete sie sich, Laster und Sünden oder, wie sie es nannte, „Garstiges und
Widerwillen Erregendes" zu berühren, überhaupt zu verletzen und zu strafen;
sie erklärte alles als ungeeignet für „Wahrheit und Dichtung," was nicht im
„Geiste des Lächelns" geschrieben sei.

Fand Katharina aber in dieser Beschäftigung und in der Anerkennung,
die ihr dafür zu Teil ward, eine gewisse Befriedigung, so sollten ihr doch auch
die Verdrießlichkeiten nicht erspart bleiben, welche mit literarischer Thätigkeit
verbunden sind. Sie und die unternehmende Fürstin Daschkow hatten die Keck¬
heit, die Kritik herauszufordern. Sie baten nicht nur offen darum, der Redaktion
Bemerkungen und Urteile über den Inhalt des „Gcsprächsgenossen" einzusenden,
sondern die Kaiserin spottete auch: „Was wird nicht iritisirt! Sogar mein
bunter Hahn und sein Kikeriki wird den Kritikern nicht entgehen." Der geweckte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153200"/>
          <fw type="header" place="top"> Katharina die Zweite als Journalistin.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1769" prev="#ID_1768"> den Gesetzen der menschlichen Natur zu lenken. Durch die Plaudereien im<lb/>
&#x201E;Gesprächsgenossen" verfolgte sie den Zweck, die Sitten der russischen Gesell¬<lb/>
schaft zu bessern, die Mängel, Thorheiten und Fehler der &#x201E;Gebildeten" durch<lb/>
einfache Beschreibung derselben, durch Spott und satirische Darstellung ihnen<lb/>
zum Bewußtsein zu bringen und sie zu bekämpfen. Freilich nur als erstes<lb/>
Stadium auf dem Wege der Staatsräson. Sie wählte dazu den leichten,<lb/>
tändelnden Plauderton, der selbst oberflächlichen Personen nicht beschwerlich sein<lb/>
konnte und ihnen die Pillen verzuckert beibrachte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1770"> Sie begann damit, die Schwächen bekannter Persönlichkeiten aus ihrer Um¬<lb/>
gebung zu schildern, ohne deren Namen zu neunen. Mit schadenfrohem Interesse<lb/>
zogen diese Silhouetten die Leser an und herbei. Obwohl die Kaiserin erklärte,<lb/>
sie habe dabei keineswegs bestimmte Menschen im Auge, sondern schöpfe lediglich<lb/>
aus dem allgemeinen &#x201E;Meere der Natur" und beschreibe nur, &#x201E;wie es im Leben<lb/>
hergehe," und wenn sich jemand dadurch getroffen fühle, so beweise das nur,<lb/>
daß sie die Natur richtig wiedergegeben habe, so glaubte ihr das doch niemand,<lb/>
und man fiel mit Neugier über jedes neue Heft des &#x201E;Gesprächsgenossen" her,<lb/>
um an dem Inhalte der kaiserlichen Skizzen herumzudeuteln. Daß Katharina<lb/>
in der That Porträts zeichnete, können wir noch heute kontroliren. In ihren<lb/>
von Alex. Herzen übersetzten Memoiren kommt ein Oberhofmeistcr Tschoglokow.<lb/>
vor, der sie, als sie noch Großfürstin war, zu beaufsichtigen hatte, sie anfangs<lb/>
quälte, aber von ihr bald mit großer Menschenkenntnis gegängelt wurde. Der¬<lb/>
selbe wird unter der Überschrift &#x201E;Essay über Eigenliebe" fast mit denselben<lb/>
Worten im &#x201E;Gesprächsgenossen" dargestellt wie in den Memoiren. In dieser<lb/>
Weise lieferte sie noch mehr Personalschilderungen, deren Originale teils noch<lb/>
jetzt bekannt sind. Nachdem sie so die Aufmerksamkeit an sich gefesselt, überließ<lb/>
sie sich zwanglos ihren Einfällen, schrieb, wie man zu sagen pflegt &#x201E;durch Korn<lb/>
und Flachs", mischte, um die Spannung zu erhalten, hie und da dunkle An¬<lb/>
spielungen ein, immer aber ließ sich in den kaleidoskopartigen Bilderchen, mit<lb/>
denen sie ihre Leser unterhielt, eine pädagogische Absicht erkennen. Dabei<lb/>
hütete sie sich, Laster und Sünden oder, wie sie es nannte, &#x201E;Garstiges und<lb/>
Widerwillen Erregendes" zu berühren, überhaupt zu verletzen und zu strafen;<lb/>
sie erklärte alles als ungeeignet für &#x201E;Wahrheit und Dichtung," was nicht im<lb/>
&#x201E;Geiste des Lächelns" geschrieben sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1771" next="#ID_1772"> Fand Katharina aber in dieser Beschäftigung und in der Anerkennung,<lb/>
die ihr dafür zu Teil ward, eine gewisse Befriedigung, so sollten ihr doch auch<lb/>
die Verdrießlichkeiten nicht erspart bleiben, welche mit literarischer Thätigkeit<lb/>
verbunden sind. Sie und die unternehmende Fürstin Daschkow hatten die Keck¬<lb/>
heit, die Kritik herauszufordern. Sie baten nicht nur offen darum, der Redaktion<lb/>
Bemerkungen und Urteile über den Inhalt des &#x201E;Gcsprächsgenossen" einzusenden,<lb/>
sondern die Kaiserin spottete auch: &#x201E;Was wird nicht iritisirt! Sogar mein<lb/>
bunter Hahn und sein Kikeriki wird den Kritikern nicht entgehen." Der geweckte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0451] Katharina die Zweite als Journalistin. den Gesetzen der menschlichen Natur zu lenken. Durch die Plaudereien im „Gesprächsgenossen" verfolgte sie den Zweck, die Sitten der russischen Gesell¬ schaft zu bessern, die Mängel, Thorheiten und Fehler der „Gebildeten" durch einfache Beschreibung derselben, durch Spott und satirische Darstellung ihnen zum Bewußtsein zu bringen und sie zu bekämpfen. Freilich nur als erstes Stadium auf dem Wege der Staatsräson. Sie wählte dazu den leichten, tändelnden Plauderton, der selbst oberflächlichen Personen nicht beschwerlich sein konnte und ihnen die Pillen verzuckert beibrachte. Sie begann damit, die Schwächen bekannter Persönlichkeiten aus ihrer Um¬ gebung zu schildern, ohne deren Namen zu neunen. Mit schadenfrohem Interesse zogen diese Silhouetten die Leser an und herbei. Obwohl die Kaiserin erklärte, sie habe dabei keineswegs bestimmte Menschen im Auge, sondern schöpfe lediglich aus dem allgemeinen „Meere der Natur" und beschreibe nur, „wie es im Leben hergehe," und wenn sich jemand dadurch getroffen fühle, so beweise das nur, daß sie die Natur richtig wiedergegeben habe, so glaubte ihr das doch niemand, und man fiel mit Neugier über jedes neue Heft des „Gesprächsgenossen" her, um an dem Inhalte der kaiserlichen Skizzen herumzudeuteln. Daß Katharina in der That Porträts zeichnete, können wir noch heute kontroliren. In ihren von Alex. Herzen übersetzten Memoiren kommt ein Oberhofmeistcr Tschoglokow. vor, der sie, als sie noch Großfürstin war, zu beaufsichtigen hatte, sie anfangs quälte, aber von ihr bald mit großer Menschenkenntnis gegängelt wurde. Der¬ selbe wird unter der Überschrift „Essay über Eigenliebe" fast mit denselben Worten im „Gesprächsgenossen" dargestellt wie in den Memoiren. In dieser Weise lieferte sie noch mehr Personalschilderungen, deren Originale teils noch jetzt bekannt sind. Nachdem sie so die Aufmerksamkeit an sich gefesselt, überließ sie sich zwanglos ihren Einfällen, schrieb, wie man zu sagen pflegt „durch Korn und Flachs", mischte, um die Spannung zu erhalten, hie und da dunkle An¬ spielungen ein, immer aber ließ sich in den kaleidoskopartigen Bilderchen, mit denen sie ihre Leser unterhielt, eine pädagogische Absicht erkennen. Dabei hütete sie sich, Laster und Sünden oder, wie sie es nannte, „Garstiges und Widerwillen Erregendes" zu berühren, überhaupt zu verletzen und zu strafen; sie erklärte alles als ungeeignet für „Wahrheit und Dichtung," was nicht im „Geiste des Lächelns" geschrieben sei. Fand Katharina aber in dieser Beschäftigung und in der Anerkennung, die ihr dafür zu Teil ward, eine gewisse Befriedigung, so sollten ihr doch auch die Verdrießlichkeiten nicht erspart bleiben, welche mit literarischer Thätigkeit verbunden sind. Sie und die unternehmende Fürstin Daschkow hatten die Keck¬ heit, die Kritik herauszufordern. Sie baten nicht nur offen darum, der Redaktion Bemerkungen und Urteile über den Inhalt des „Gcsprächsgenossen" einzusenden, sondern die Kaiserin spottete auch: „Was wird nicht iritisirt! Sogar mein bunter Hahn und sein Kikeriki wird den Kritikern nicht entgehen." Der geweckte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/451
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/451>, abgerufen am 22.07.2024.