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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Katharina die Zweite als Journalistin.

eine Gevatterin von ihm, ferner ein Major Eigenliebe, zwei Kritiker, von denen
der eine mehr lacht als weint, der andre mehr weint als lacht -- ersterer
heißt aas, ("laut lachen" heißt im Russischen oNÄcng-ez), der zweite iii (KritiKi,
ist der Plural von Kritiker) -- und noch verschiedne andre Figuranten. Diese
schreiben ihr Briefe, die sie mit den Antworten publizirt, sie bringt Tagebuch¬
blätter, Erzählungen, Wünsche, Anfragen derselben. Zur Abwechslung läßt sie
auch statt der Personen Sachen für sich reden: auf dem Speicher der litera-
rischen Werkstatt des Verfassers findet man ein Packet mit der Aufschrift
"Mitgift für ein hübsches Mädchen," der Inhalt wird mitgeteilt; ebenda ent¬
deckt man einen Koffer mit Papieren; dann giebt sie ohne Übergang ein Rezept,
aus dessen Dosen man leicht einen Durchschnittsmenschen zusammensetzen kann,
dann wieder die Statistik der Insel Tichomvre (Stillmeer), auf der es nur vier
Männer giebt, die ihre Frauen lieben, und ebensowenig Frauen, die ihre Männer
lieben, dagegen 500 Halblinge, 8 Verständige, 450 Verschwender:c.

Man ist wirklich versucht zu glauben, daß die Kaiserin die Wahrheit spreche,
wenn sie an einer Stelle sagt: "Ich kann keine reine Feder sehen, ohne daß
mir die Lust kommt, sie in Tinte zu tauchen; wenn dazu noch Papier auf
dem Tische liegt, befindet sich unversehens meine Hand mit der Feder auf
jenem Papiere. Wenn ich dann begonnen habe, weiß ich niemals, was ich
niederschreiben werde; sowie ich aber die Hand über das Papier sichre, wickelt
sich das Denken ab wie ein Faden vom Knäuel," mit andern Worten, daß
sie nur durch die äußere Gelegenheit und nicht durch innern Drang zum
Schreiben veranlaßt wurde und deshalb auch mancherlei schrieb, was nicht allein
des Salzes entbehrt, sondern nicht einmal vor dem Forum des gesunden Menschen¬
verstandes bestehen kann. Aber die Frau, welche sich zwanzig Jahre früher
mit kühler Überlegung und männlicher Energie den Weg zum Throne gebahnt
und seitdem eine neue Epoche in Rußland heraufgeführt hatte, war viel zu
praktisch, um ihre Zeit mit Lappalien zu vertrödeln und sich geistig mit dem
von ihr beherrschten Publikum in Rapport zu setzen, ohne die Absicht eines
ganz bestimmten Einflusses. In der That ist alles, was sie schrieb -- und
sie schrieb außer ihren Beiträgen zum "Gesprächsgenossen" noch sehr viel --,
im höchsten Grade tendenziös: sie wollte die Russen erziehen, und zwar zunächst
zu guten, moralischen Menschen; doch dies nicht etwa um seiner selbst willen,
sondern weil es ein Mittel war, sie dadurch zu guten Unterthanen zu machen.
Es ist alles kalte Berechnung bei ihr; alles galt ihr nur als Mittel, und man
muß gestehen, daß sie darin ebenso geschickt als kühn war. So ergriff z. B.
ihr scharfer Verstand rasch die Ideen der französischen Encyklopädisten, sie
brachte dieselben in dem von ihr aufgestellten und in Rußland mit großen
Opfern durchgeführten neuen Erziehungssysteme zur Geltung, aber ohne Be¬
geisterung des Herzens, sie stellte sich nur an die Spitze der Bewegung, um
dieselbe in ihrem Sinne zu leiten, um die erwärmten Herzen der andern nach


Katharina die Zweite als Journalistin.

eine Gevatterin von ihm, ferner ein Major Eigenliebe, zwei Kritiker, von denen
der eine mehr lacht als weint, der andre mehr weint als lacht — ersterer
heißt aas, („laut lachen" heißt im Russischen oNÄcng-ez), der zweite iii (KritiKi,
ist der Plural von Kritiker) — und noch verschiedne andre Figuranten. Diese
schreiben ihr Briefe, die sie mit den Antworten publizirt, sie bringt Tagebuch¬
blätter, Erzählungen, Wünsche, Anfragen derselben. Zur Abwechslung läßt sie
auch statt der Personen Sachen für sich reden: auf dem Speicher der litera-
rischen Werkstatt des Verfassers findet man ein Packet mit der Aufschrift
„Mitgift für ein hübsches Mädchen," der Inhalt wird mitgeteilt; ebenda ent¬
deckt man einen Koffer mit Papieren; dann giebt sie ohne Übergang ein Rezept,
aus dessen Dosen man leicht einen Durchschnittsmenschen zusammensetzen kann,
dann wieder die Statistik der Insel Tichomvre (Stillmeer), auf der es nur vier
Männer giebt, die ihre Frauen lieben, und ebensowenig Frauen, die ihre Männer
lieben, dagegen 500 Halblinge, 8 Verständige, 450 Verschwender:c.

Man ist wirklich versucht zu glauben, daß die Kaiserin die Wahrheit spreche,
wenn sie an einer Stelle sagt: „Ich kann keine reine Feder sehen, ohne daß
mir die Lust kommt, sie in Tinte zu tauchen; wenn dazu noch Papier auf
dem Tische liegt, befindet sich unversehens meine Hand mit der Feder auf
jenem Papiere. Wenn ich dann begonnen habe, weiß ich niemals, was ich
niederschreiben werde; sowie ich aber die Hand über das Papier sichre, wickelt
sich das Denken ab wie ein Faden vom Knäuel," mit andern Worten, daß
sie nur durch die äußere Gelegenheit und nicht durch innern Drang zum
Schreiben veranlaßt wurde und deshalb auch mancherlei schrieb, was nicht allein
des Salzes entbehrt, sondern nicht einmal vor dem Forum des gesunden Menschen¬
verstandes bestehen kann. Aber die Frau, welche sich zwanzig Jahre früher
mit kühler Überlegung und männlicher Energie den Weg zum Throne gebahnt
und seitdem eine neue Epoche in Rußland heraufgeführt hatte, war viel zu
praktisch, um ihre Zeit mit Lappalien zu vertrödeln und sich geistig mit dem
von ihr beherrschten Publikum in Rapport zu setzen, ohne die Absicht eines
ganz bestimmten Einflusses. In der That ist alles, was sie schrieb — und
sie schrieb außer ihren Beiträgen zum „Gesprächsgenossen" noch sehr viel —,
im höchsten Grade tendenziös: sie wollte die Russen erziehen, und zwar zunächst
zu guten, moralischen Menschen; doch dies nicht etwa um seiner selbst willen,
sondern weil es ein Mittel war, sie dadurch zu guten Unterthanen zu machen.
Es ist alles kalte Berechnung bei ihr; alles galt ihr nur als Mittel, und man
muß gestehen, daß sie darin ebenso geschickt als kühn war. So ergriff z. B.
ihr scharfer Verstand rasch die Ideen der französischen Encyklopädisten, sie
brachte dieselben in dem von ihr aufgestellten und in Rußland mit großen
Opfern durchgeführten neuen Erziehungssysteme zur Geltung, aber ohne Be¬
geisterung des Herzens, sie stellte sich nur an die Spitze der Bewegung, um
dieselbe in ihrem Sinne zu leiten, um die erwärmten Herzen der andern nach


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[0450] Katharina die Zweite als Journalistin. eine Gevatterin von ihm, ferner ein Major Eigenliebe, zwei Kritiker, von denen der eine mehr lacht als weint, der andre mehr weint als lacht — ersterer heißt aas, („laut lachen" heißt im Russischen oNÄcng-ez), der zweite iii (KritiKi, ist der Plural von Kritiker) — und noch verschiedne andre Figuranten. Diese schreiben ihr Briefe, die sie mit den Antworten publizirt, sie bringt Tagebuch¬ blätter, Erzählungen, Wünsche, Anfragen derselben. Zur Abwechslung läßt sie auch statt der Personen Sachen für sich reden: auf dem Speicher der litera- rischen Werkstatt des Verfassers findet man ein Packet mit der Aufschrift „Mitgift für ein hübsches Mädchen," der Inhalt wird mitgeteilt; ebenda ent¬ deckt man einen Koffer mit Papieren; dann giebt sie ohne Übergang ein Rezept, aus dessen Dosen man leicht einen Durchschnittsmenschen zusammensetzen kann, dann wieder die Statistik der Insel Tichomvre (Stillmeer), auf der es nur vier Männer giebt, die ihre Frauen lieben, und ebensowenig Frauen, die ihre Männer lieben, dagegen 500 Halblinge, 8 Verständige, 450 Verschwender:c. Man ist wirklich versucht zu glauben, daß die Kaiserin die Wahrheit spreche, wenn sie an einer Stelle sagt: „Ich kann keine reine Feder sehen, ohne daß mir die Lust kommt, sie in Tinte zu tauchen; wenn dazu noch Papier auf dem Tische liegt, befindet sich unversehens meine Hand mit der Feder auf jenem Papiere. Wenn ich dann begonnen habe, weiß ich niemals, was ich niederschreiben werde; sowie ich aber die Hand über das Papier sichre, wickelt sich das Denken ab wie ein Faden vom Knäuel," mit andern Worten, daß sie nur durch die äußere Gelegenheit und nicht durch innern Drang zum Schreiben veranlaßt wurde und deshalb auch mancherlei schrieb, was nicht allein des Salzes entbehrt, sondern nicht einmal vor dem Forum des gesunden Menschen¬ verstandes bestehen kann. Aber die Frau, welche sich zwanzig Jahre früher mit kühler Überlegung und männlicher Energie den Weg zum Throne gebahnt und seitdem eine neue Epoche in Rußland heraufgeführt hatte, war viel zu praktisch, um ihre Zeit mit Lappalien zu vertrödeln und sich geistig mit dem von ihr beherrschten Publikum in Rapport zu setzen, ohne die Absicht eines ganz bestimmten Einflusses. In der That ist alles, was sie schrieb — und sie schrieb außer ihren Beiträgen zum „Gesprächsgenossen" noch sehr viel —, im höchsten Grade tendenziös: sie wollte die Russen erziehen, und zwar zunächst zu guten, moralischen Menschen; doch dies nicht etwa um seiner selbst willen, sondern weil es ein Mittel war, sie dadurch zu guten Unterthanen zu machen. Es ist alles kalte Berechnung bei ihr; alles galt ihr nur als Mittel, und man muß gestehen, daß sie darin ebenso geschickt als kühn war. So ergriff z. B. ihr scharfer Verstand rasch die Ideen der französischen Encyklopädisten, sie brachte dieselben in dem von ihr aufgestellten und in Rußland mit großen Opfern durchgeführten neuen Erziehungssysteme zur Geltung, aber ohne Be¬ geisterung des Herzens, sie stellte sich nur an die Spitze der Bewegung, um dieselbe in ihrem Sinne zu leiten, um die erwärmten Herzen der andern nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/450>, abgerufen am 02.10.2024.