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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Katharina die Zweite als Journalistin.

Löwe brüllte. Schon im zweiten Hefte des Journals erschien ein gelehrter
Herr in steifleinener Toga und erklärte herablassend, er bemerke in den "Auf¬
zeichnungen aus der russischen Geschichte" Talent, aber keine glückliche Behandlung.
"Glaubt der Verfasser z. B., daß er die Begebenheiten besser darstelle als der
ehrliche Nestor oder der scharfsinnige nitor? Wir dürfen es nach dem ersten
Hefte nicht hoffen. Wie trocken und unbedeutend ist u. a. Ihre Darstellung
vom Ursprünge der Russen. Konnten Sie denn einem so berühmten Volke
wie das unsrige nicht eine wunderbarere Wiege geben? Nicht so, mein Herr,
wahrhaftig nicht so schreibt man Geschichte. Aber Sie haben sich wohl mit
dem Altertume nicht genügend beschäftigt, um eine zuverlässige Kenntnis des¬
selben zu besitzen? Wir wollen nicht nur einfache und mögliche Ereignisse lesen.
Es war Ihre Sache, die alten Zeiten, in denen so viele Wunder geschahen,
zu durchforschen. Außerdem scheinen Sie mir nicht ganz fest in der Grammatik
zu sein____ Vieles erscheint Ihnen nicht merkwürdig. Die Elephantenknochen
in Sibirien ziehen Sie garnicht in Betracht. Wo Elephantenknochen waren,
müssen doch auch Elephanten gewesen sein, und wie viele große Männer konnten
Sie nicht in verschiednen Feldzügen auf diesen Elephanten expediren!" In
diesem Tone wurde Katharina heruntergekanzelt.

Es war sehr anerkennenswert, daß sie den Konsequenzen ihrer Ausforderung
zur Kritik nicht aus dem Wege ging, gewissenhaft den Tadel drucken und dem
Verfasser noch dafür höflich danken ließ. Aber sie ärgerte sich doch, verspottete
den Splitterrichter, machte sich über seinen plumpen, dunkeln Stil lustig, tändelte
mit seinen unbeholfenen Ausdrücken und erklärte, daß achtungswerte Grundsätze,
gesunder Menschenverstand und leichter Scherz der Pedanterie vorzuziehen seien.

Solcher Scharmützel gab es mehrere, sie dienten zur Belebung des jour¬
nalistischen Unternehmens, aber es würde zu weit führen, wenn wir hier näher
darauf eingehen wollten. Ein ernsteres Rencontre dagegen, welches der witzige,
kecke, spottsüchtige Denis v. Wisin mit der Kaiserin hatte, dürfen wir nicht über¬
gehen. Wisin hielt die Gelegenheit für günstig, die Kaiserin ans einige soziale
Schäden aufmerksam zu machen, und sandte der Redaktion 20 (eigentlich 21,
denn Ur. 14 stand doppelt) Fragen zum Druck ein, die so dreist waren, daß
die Daschkow ganz konsternirt sich mit dem Oberkanunerherrn I. I. Schuwalow
verbündete, um Wisin zur Zurücknahme seiner Fragen zu bewegen. Wisin sah
ein und gab auch zu, daß seine Jnterpellation verwegen sei, aber er wollte sich
zu keinem Kompromiß verstehen. So wurden denn die Fragen der Kaiserin
mit Zagen vorgelegt, und sie nahm dieselben auch anfangs mit höchst stutziger
Miene auf. Nachdem sie sie aber mehrmals aufmerksam durchgelesen hatte,
bekämpfte sie ihre Verstimmung mit Hilfe ihrer höhern Einsicht und ließ die
Fragen zugleich mit ihren Antworten drucken. Man urteile, ob Katharina,
welche auf die von ihr in Nußland eingeführten Reformen und aufgeklärten
Ideen stolz hinzuweisen liebte, Grund hatte, sich gekränkt zu fühlen.


Katharina die Zweite als Journalistin.

Löwe brüllte. Schon im zweiten Hefte des Journals erschien ein gelehrter
Herr in steifleinener Toga und erklärte herablassend, er bemerke in den „Auf¬
zeichnungen aus der russischen Geschichte" Talent, aber keine glückliche Behandlung.
„Glaubt der Verfasser z. B., daß er die Begebenheiten besser darstelle als der
ehrliche Nestor oder der scharfsinnige nitor? Wir dürfen es nach dem ersten
Hefte nicht hoffen. Wie trocken und unbedeutend ist u. a. Ihre Darstellung
vom Ursprünge der Russen. Konnten Sie denn einem so berühmten Volke
wie das unsrige nicht eine wunderbarere Wiege geben? Nicht so, mein Herr,
wahrhaftig nicht so schreibt man Geschichte. Aber Sie haben sich wohl mit
dem Altertume nicht genügend beschäftigt, um eine zuverlässige Kenntnis des¬
selben zu besitzen? Wir wollen nicht nur einfache und mögliche Ereignisse lesen.
Es war Ihre Sache, die alten Zeiten, in denen so viele Wunder geschahen,
zu durchforschen. Außerdem scheinen Sie mir nicht ganz fest in der Grammatik
zu sein____ Vieles erscheint Ihnen nicht merkwürdig. Die Elephantenknochen
in Sibirien ziehen Sie garnicht in Betracht. Wo Elephantenknochen waren,
müssen doch auch Elephanten gewesen sein, und wie viele große Männer konnten
Sie nicht in verschiednen Feldzügen auf diesen Elephanten expediren!" In
diesem Tone wurde Katharina heruntergekanzelt.

Es war sehr anerkennenswert, daß sie den Konsequenzen ihrer Ausforderung
zur Kritik nicht aus dem Wege ging, gewissenhaft den Tadel drucken und dem
Verfasser noch dafür höflich danken ließ. Aber sie ärgerte sich doch, verspottete
den Splitterrichter, machte sich über seinen plumpen, dunkeln Stil lustig, tändelte
mit seinen unbeholfenen Ausdrücken und erklärte, daß achtungswerte Grundsätze,
gesunder Menschenverstand und leichter Scherz der Pedanterie vorzuziehen seien.

Solcher Scharmützel gab es mehrere, sie dienten zur Belebung des jour¬
nalistischen Unternehmens, aber es würde zu weit führen, wenn wir hier näher
darauf eingehen wollten. Ein ernsteres Rencontre dagegen, welches der witzige,
kecke, spottsüchtige Denis v. Wisin mit der Kaiserin hatte, dürfen wir nicht über¬
gehen. Wisin hielt die Gelegenheit für günstig, die Kaiserin ans einige soziale
Schäden aufmerksam zu machen, und sandte der Redaktion 20 (eigentlich 21,
denn Ur. 14 stand doppelt) Fragen zum Druck ein, die so dreist waren, daß
die Daschkow ganz konsternirt sich mit dem Oberkanunerherrn I. I. Schuwalow
verbündete, um Wisin zur Zurücknahme seiner Fragen zu bewegen. Wisin sah
ein und gab auch zu, daß seine Jnterpellation verwegen sei, aber er wollte sich
zu keinem Kompromiß verstehen. So wurden denn die Fragen der Kaiserin
mit Zagen vorgelegt, und sie nahm dieselben auch anfangs mit höchst stutziger
Miene auf. Nachdem sie sie aber mehrmals aufmerksam durchgelesen hatte,
bekämpfte sie ihre Verstimmung mit Hilfe ihrer höhern Einsicht und ließ die
Fragen zugleich mit ihren Antworten drucken. Man urteile, ob Katharina,
welche auf die von ihr in Nußland eingeführten Reformen und aufgeklärten
Ideen stolz hinzuweisen liebte, Grund hatte, sich gekränkt zu fühlen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/452>, abgerufen am 22.07.2024.