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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die königliche Bibliothek in Berlin.

Wurmstich zu Tage treten müsse. Wir haben keine Neigung, von den sozialen
Zuständen, den deutscheu überhaupt und denen der Reichshauptstadt insbesondre,
sehr hoch zu denken. Indeß wollen wir doch noch anstehen, diese "Berliner
Romane" als getreue und erschöpfende Sittenbilder zu betrachten und die Hoffnung
nicht aufgeben, daß sich Schriftsteller finden, die wahrer und schöner zugleich
s .x. ehen.




Die königliche Bibliothek in Berlin,

le die neuesten Laudtagsoerhandluugeu ergeben, hat es mit der
Errichtung eines neuen Gebäudes für die königliche Bibliothek in
Berlin noch gute Weile. So unerfreulich nun auch diese Thatsache an
sich ist, so dürfte der Aufschub doch als Vorbedingung einer rechten
Erledigung der für das ganze deutsche Bibliothekswesen wichtigen
Angelegenheit zu betrachte" sein. Noch sind auffälligerweise eine ganze Reihe
von Vorfragen, deren Entscheidung für die innere Einrichtung, sowie für die
Größe des Neubaues, also selbst für die Platzfrage, maßgebend sein wird, nicht
einmal angeregt worden. Wenigstens nicht in der Öffentlichkeit, wohin sie ihrer
Natur nach gehören, da es sich bei denselben möglichenfalls um Reformen han¬
deln wird, denen sich das am alten haftende Publikum wahrscheinlich nur wider¬
strebend anbequeme" wird und mit denen es nicht überrascht werden darf.

Vor allem erhebt sich die Frage, ob die große Gelegenheit nicht benutzt
werden soll, um endlich einmal mit der alten Sitte des Ausleihens der Bücher
von selten der Bibliothek zu brechen. In der ganzen übrigen, d. h. nichtdeutschen
Welt weiß man bekanntlich nichts von einer solchen patriarchalischen Unter¬
stützung des häuslichen Fleißes der Unterthanen, die im Grunde nur eine Unter¬
stützung häuslicher Bequemlichkeit ist. Das Fortbestehen dieser aus den be¬
schränkten kleinstaatlichen und kleinstädtischen Zuständen der Vorzeit herrührenden
Sitte ist heute ganz und gar überflüssig und mit Nachteilen verknüpft, welche
zu ihren etwaigen kleinen Vorteilen in keinem Verhältnis stehen. Nur in ein¬
zelnen östlichen und nordischen Staaten, welche zeitweise unter deutschem Ein¬
flüsse gestanden haben, mag hier und da das Ausleihen noch im Gange sein,
sonst gilt allerorten als feststehende, eigentlich selbstverständliche Regel, daß die
öffentlichen Bibliotheken nur in den Räumen der Bibliothek selbst beuutzt werden
dürfen, und wo gewohnheitsmäßig oder gesetzlich gewisse Ausnahmen zugelassen
werden, da gelten dieselben eben als Ausnahmen, welche die Regel als solche
bestätigen. Die Studien stehen sich sehr gut dabei. Es ist ein ganz hinfälliger
Einwand, hinter welchem sich selbsttüuscherische Liebhaberei und die Knechtschaft
verbirgt, welche in deutschen Landen der Hausrock samt üblichen Zubehör aus¬
zuüben pflegt, wenn das Gegenteil behauptet wird. Nach kurzer Gewöhnung


Die königliche Bibliothek in Berlin.

Wurmstich zu Tage treten müsse. Wir haben keine Neigung, von den sozialen
Zuständen, den deutscheu überhaupt und denen der Reichshauptstadt insbesondre,
sehr hoch zu denken. Indeß wollen wir doch noch anstehen, diese „Berliner
Romane" als getreue und erschöpfende Sittenbilder zu betrachten und die Hoffnung
nicht aufgeben, daß sich Schriftsteller finden, die wahrer und schöner zugleich
s .x. ehen.




Die königliche Bibliothek in Berlin,

le die neuesten Laudtagsoerhandluugeu ergeben, hat es mit der
Errichtung eines neuen Gebäudes für die königliche Bibliothek in
Berlin noch gute Weile. So unerfreulich nun auch diese Thatsache an
sich ist, so dürfte der Aufschub doch als Vorbedingung einer rechten
Erledigung der für das ganze deutsche Bibliothekswesen wichtigen
Angelegenheit zu betrachte» sein. Noch sind auffälligerweise eine ganze Reihe
von Vorfragen, deren Entscheidung für die innere Einrichtung, sowie für die
Größe des Neubaues, also selbst für die Platzfrage, maßgebend sein wird, nicht
einmal angeregt worden. Wenigstens nicht in der Öffentlichkeit, wohin sie ihrer
Natur nach gehören, da es sich bei denselben möglichenfalls um Reformen han¬
deln wird, denen sich das am alten haftende Publikum wahrscheinlich nur wider¬
strebend anbequeme« wird und mit denen es nicht überrascht werden darf.

Vor allem erhebt sich die Frage, ob die große Gelegenheit nicht benutzt
werden soll, um endlich einmal mit der alten Sitte des Ausleihens der Bücher
von selten der Bibliothek zu brechen. In der ganzen übrigen, d. h. nichtdeutschen
Welt weiß man bekanntlich nichts von einer solchen patriarchalischen Unter¬
stützung des häuslichen Fleißes der Unterthanen, die im Grunde nur eine Unter¬
stützung häuslicher Bequemlichkeit ist. Das Fortbestehen dieser aus den be¬
schränkten kleinstaatlichen und kleinstädtischen Zuständen der Vorzeit herrührenden
Sitte ist heute ganz und gar überflüssig und mit Nachteilen verknüpft, welche
zu ihren etwaigen kleinen Vorteilen in keinem Verhältnis stehen. Nur in ein¬
zelnen östlichen und nordischen Staaten, welche zeitweise unter deutschem Ein¬
flüsse gestanden haben, mag hier und da das Ausleihen noch im Gange sein,
sonst gilt allerorten als feststehende, eigentlich selbstverständliche Regel, daß die
öffentlichen Bibliotheken nur in den Räumen der Bibliothek selbst beuutzt werden
dürfen, und wo gewohnheitsmäßig oder gesetzlich gewisse Ausnahmen zugelassen
werden, da gelten dieselben eben als Ausnahmen, welche die Regel als solche
bestätigen. Die Studien stehen sich sehr gut dabei. Es ist ein ganz hinfälliger
Einwand, hinter welchem sich selbsttüuscherische Liebhaberei und die Knechtschaft
verbirgt, welche in deutschen Landen der Hausrock samt üblichen Zubehör aus¬
zuüben pflegt, wenn das Gegenteil behauptet wird. Nach kurzer Gewöhnung


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[0045] Die königliche Bibliothek in Berlin. Wurmstich zu Tage treten müsse. Wir haben keine Neigung, von den sozialen Zuständen, den deutscheu überhaupt und denen der Reichshauptstadt insbesondre, sehr hoch zu denken. Indeß wollen wir doch noch anstehen, diese „Berliner Romane" als getreue und erschöpfende Sittenbilder zu betrachten und die Hoffnung nicht aufgeben, daß sich Schriftsteller finden, die wahrer und schöner zugleich s .x. ehen. Die königliche Bibliothek in Berlin, le die neuesten Laudtagsoerhandluugeu ergeben, hat es mit der Errichtung eines neuen Gebäudes für die königliche Bibliothek in Berlin noch gute Weile. So unerfreulich nun auch diese Thatsache an sich ist, so dürfte der Aufschub doch als Vorbedingung einer rechten Erledigung der für das ganze deutsche Bibliothekswesen wichtigen Angelegenheit zu betrachte» sein. Noch sind auffälligerweise eine ganze Reihe von Vorfragen, deren Entscheidung für die innere Einrichtung, sowie für die Größe des Neubaues, also selbst für die Platzfrage, maßgebend sein wird, nicht einmal angeregt worden. Wenigstens nicht in der Öffentlichkeit, wohin sie ihrer Natur nach gehören, da es sich bei denselben möglichenfalls um Reformen han¬ deln wird, denen sich das am alten haftende Publikum wahrscheinlich nur wider¬ strebend anbequeme« wird und mit denen es nicht überrascht werden darf. Vor allem erhebt sich die Frage, ob die große Gelegenheit nicht benutzt werden soll, um endlich einmal mit der alten Sitte des Ausleihens der Bücher von selten der Bibliothek zu brechen. In der ganzen übrigen, d. h. nichtdeutschen Welt weiß man bekanntlich nichts von einer solchen patriarchalischen Unter¬ stützung des häuslichen Fleißes der Unterthanen, die im Grunde nur eine Unter¬ stützung häuslicher Bequemlichkeit ist. Das Fortbestehen dieser aus den be¬ schränkten kleinstaatlichen und kleinstädtischen Zuständen der Vorzeit herrührenden Sitte ist heute ganz und gar überflüssig und mit Nachteilen verknüpft, welche zu ihren etwaigen kleinen Vorteilen in keinem Verhältnis stehen. Nur in ein¬ zelnen östlichen und nordischen Staaten, welche zeitweise unter deutschem Ein¬ flüsse gestanden haben, mag hier und da das Ausleihen noch im Gange sein, sonst gilt allerorten als feststehende, eigentlich selbstverständliche Regel, daß die öffentlichen Bibliotheken nur in den Räumen der Bibliothek selbst beuutzt werden dürfen, und wo gewohnheitsmäßig oder gesetzlich gewisse Ausnahmen zugelassen werden, da gelten dieselben eben als Ausnahmen, welche die Regel als solche bestätigen. Die Studien stehen sich sehr gut dabei. Es ist ein ganz hinfälliger Einwand, hinter welchem sich selbsttüuscherische Liebhaberei und die Knechtschaft verbirgt, welche in deutschen Landen der Hausrock samt üblichen Zubehör aus¬ zuüben pflegt, wenn das Gegenteil behauptet wird. Nach kurzer Gewöhnung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/45>, abgerufen am 01.07.2024.