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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die königliche Bibliothek in Berlin.

an die andre Weise wird jeder erfahren, daß man in einem öffentlichen Lese¬
saal ebenso eindringlich, aber zeitnutzender arbeitet als daheim. Die vermut¬
liche Abneigung des Publikums gegen die Änderung aber dürfte die Verwaltung
zu veranlassen haben, demselben den Übergang zu der neuen Weise durch eine
umso ausgesuchtere Zweckmäßigkeit in der Einrichtung und Ausstattung der Ar¬
beitsräume zu erleichtern, und die Berliner Bibliothek käme auf diese Weise in
den glücklichen Fall, hierin zuerst ein vollkommen mustergiltiges Beispiel auf¬
stellen zu können. Nicht nur für das Inland, sondern für alle Welt; denn
auch das von altersher nicht verwöhnte Ausland hat bisher an die Annehm¬
lichkeit der Räume viel zu bescheidne Ansprüche gestellt. Arbeitssäle freilich, wie
der in der königlichen Bibliothek zu Berlin, dürften Wohl nirgends sonst zu
finden sein, und es ist nur verwunderlich, daß nicht schon die Sanitntspolizei
sich der hiesigen Vibliotheksfrage bemächtigt hat. Unsre Baumeister werden es,
was Beleuchtung, Erwärmung und Lufterneuerung angeht, sicherlich an nichts
fehlen lassen; nur in Bezug auf die Notwendigkeit der weitgehendsten Bequem¬
lichkeit in der Einrichtung der Arbeitssäle, bei welcher beispielsweise viele einzeln
stehende und verschließbare Pulte nicht vermißt werden dürfen, steht vielleicht
zu befürchten, daß die neuesten Leistungen des Auslandes schon als ausreichendes
und unübertreffliches Vorbild werden gelten sollen.

Alles, was sich angeblich gegen die Abschaffung des Ausleihens vorbringen
läßt, wird durch die Erfahrungen des Auslandes vollständig widerlegt, von den
Übelständen hingegen, welche mit dem Ausleihen notwendig verbunden sind,
scheint man im Publikum sich gar keine Vorstellung machen zu wollen, und die
Bibliotheksverwaltungen selber scheinen bereits dem lähmenden Einflüsse des
langen Ktaws ano gänzlich verfallen zu sein. Es sei hier zunächst der wahrhaft
anstößigen Möglichkeit gedacht, daß ein Werk zu Gunsten einiger wenigen Leser,
die dasselbe vielleicht monatelang ungeöffnet auf ihren Tischen liegen lassen,
der Bibliothek, also allen übrigen Lesern, entzogen wird, während ein andrer,
der dieses Werkes, wenn auch nur auf wenige Stunden oder Minuten, bedarf
und vielleicht zu diesem Zwecke sich eigens nach dem Bibliotheksort auf den
Weg gemacht hat, des Buches nicht ansichtig zu werden vermag. Das ist ein
Fall, der sich in einer Anstalt wie der Berliner fort und fort und mit jedem
Jahre häufiger wiederholen muß. Wer einmal in die Lage versetzt worden ist,
sich auf diese Weise in der Fortsetzung seiner Arbeiten plötzlich unterbrochen zu
sehen, wird angesichts des bekannten trockenen Wortes "Verlieben" auf dem
zurückgelangenden Meldezettel nicht zweifeln, daß die Ordnung ausländischer
Bibliotheken, nämlich der Grundsatz, daß jedem Leser zu jeder Zeit an jedes
überhaupt in der Anstalt vorhandene Werk zu gelangen ermöglicht sein müsse,
zu den notwendigen Grundgesetzen aller Bibliotheksverwaltung gehöre. Es
liegt auf der Hand, daß dieser Forderung bei dem Wegfall des Ausleihens auf
die leichteste Weise genügt werden kann, indem sich der neue Bewerber, nötigen-


Die königliche Bibliothek in Berlin.

an die andre Weise wird jeder erfahren, daß man in einem öffentlichen Lese¬
saal ebenso eindringlich, aber zeitnutzender arbeitet als daheim. Die vermut¬
liche Abneigung des Publikums gegen die Änderung aber dürfte die Verwaltung
zu veranlassen haben, demselben den Übergang zu der neuen Weise durch eine
umso ausgesuchtere Zweckmäßigkeit in der Einrichtung und Ausstattung der Ar¬
beitsräume zu erleichtern, und die Berliner Bibliothek käme auf diese Weise in
den glücklichen Fall, hierin zuerst ein vollkommen mustergiltiges Beispiel auf¬
stellen zu können. Nicht nur für das Inland, sondern für alle Welt; denn
auch das von altersher nicht verwöhnte Ausland hat bisher an die Annehm¬
lichkeit der Räume viel zu bescheidne Ansprüche gestellt. Arbeitssäle freilich, wie
der in der königlichen Bibliothek zu Berlin, dürften Wohl nirgends sonst zu
finden sein, und es ist nur verwunderlich, daß nicht schon die Sanitntspolizei
sich der hiesigen Vibliotheksfrage bemächtigt hat. Unsre Baumeister werden es,
was Beleuchtung, Erwärmung und Lufterneuerung angeht, sicherlich an nichts
fehlen lassen; nur in Bezug auf die Notwendigkeit der weitgehendsten Bequem¬
lichkeit in der Einrichtung der Arbeitssäle, bei welcher beispielsweise viele einzeln
stehende und verschließbare Pulte nicht vermißt werden dürfen, steht vielleicht
zu befürchten, daß die neuesten Leistungen des Auslandes schon als ausreichendes
und unübertreffliches Vorbild werden gelten sollen.

Alles, was sich angeblich gegen die Abschaffung des Ausleihens vorbringen
läßt, wird durch die Erfahrungen des Auslandes vollständig widerlegt, von den
Übelständen hingegen, welche mit dem Ausleihen notwendig verbunden sind,
scheint man im Publikum sich gar keine Vorstellung machen zu wollen, und die
Bibliotheksverwaltungen selber scheinen bereits dem lähmenden Einflüsse des
langen Ktaws ano gänzlich verfallen zu sein. Es sei hier zunächst der wahrhaft
anstößigen Möglichkeit gedacht, daß ein Werk zu Gunsten einiger wenigen Leser,
die dasselbe vielleicht monatelang ungeöffnet auf ihren Tischen liegen lassen,
der Bibliothek, also allen übrigen Lesern, entzogen wird, während ein andrer,
der dieses Werkes, wenn auch nur auf wenige Stunden oder Minuten, bedarf
und vielleicht zu diesem Zwecke sich eigens nach dem Bibliotheksort auf den
Weg gemacht hat, des Buches nicht ansichtig zu werden vermag. Das ist ein
Fall, der sich in einer Anstalt wie der Berliner fort und fort und mit jedem
Jahre häufiger wiederholen muß. Wer einmal in die Lage versetzt worden ist,
sich auf diese Weise in der Fortsetzung seiner Arbeiten plötzlich unterbrochen zu
sehen, wird angesichts des bekannten trockenen Wortes „Verlieben" auf dem
zurückgelangenden Meldezettel nicht zweifeln, daß die Ordnung ausländischer
Bibliotheken, nämlich der Grundsatz, daß jedem Leser zu jeder Zeit an jedes
überhaupt in der Anstalt vorhandene Werk zu gelangen ermöglicht sein müsse,
zu den notwendigen Grundgesetzen aller Bibliotheksverwaltung gehöre. Es
liegt auf der Hand, daß dieser Forderung bei dem Wegfall des Ausleihens auf
die leichteste Weise genügt werden kann, indem sich der neue Bewerber, nötigen-


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[0046] Die königliche Bibliothek in Berlin. an die andre Weise wird jeder erfahren, daß man in einem öffentlichen Lese¬ saal ebenso eindringlich, aber zeitnutzender arbeitet als daheim. Die vermut¬ liche Abneigung des Publikums gegen die Änderung aber dürfte die Verwaltung zu veranlassen haben, demselben den Übergang zu der neuen Weise durch eine umso ausgesuchtere Zweckmäßigkeit in der Einrichtung und Ausstattung der Ar¬ beitsräume zu erleichtern, und die Berliner Bibliothek käme auf diese Weise in den glücklichen Fall, hierin zuerst ein vollkommen mustergiltiges Beispiel auf¬ stellen zu können. Nicht nur für das Inland, sondern für alle Welt; denn auch das von altersher nicht verwöhnte Ausland hat bisher an die Annehm¬ lichkeit der Räume viel zu bescheidne Ansprüche gestellt. Arbeitssäle freilich, wie der in der königlichen Bibliothek zu Berlin, dürften Wohl nirgends sonst zu finden sein, und es ist nur verwunderlich, daß nicht schon die Sanitntspolizei sich der hiesigen Vibliotheksfrage bemächtigt hat. Unsre Baumeister werden es, was Beleuchtung, Erwärmung und Lufterneuerung angeht, sicherlich an nichts fehlen lassen; nur in Bezug auf die Notwendigkeit der weitgehendsten Bequem¬ lichkeit in der Einrichtung der Arbeitssäle, bei welcher beispielsweise viele einzeln stehende und verschließbare Pulte nicht vermißt werden dürfen, steht vielleicht zu befürchten, daß die neuesten Leistungen des Auslandes schon als ausreichendes und unübertreffliches Vorbild werden gelten sollen. Alles, was sich angeblich gegen die Abschaffung des Ausleihens vorbringen läßt, wird durch die Erfahrungen des Auslandes vollständig widerlegt, von den Übelständen hingegen, welche mit dem Ausleihen notwendig verbunden sind, scheint man im Publikum sich gar keine Vorstellung machen zu wollen, und die Bibliotheksverwaltungen selber scheinen bereits dem lähmenden Einflüsse des langen Ktaws ano gänzlich verfallen zu sein. Es sei hier zunächst der wahrhaft anstößigen Möglichkeit gedacht, daß ein Werk zu Gunsten einiger wenigen Leser, die dasselbe vielleicht monatelang ungeöffnet auf ihren Tischen liegen lassen, der Bibliothek, also allen übrigen Lesern, entzogen wird, während ein andrer, der dieses Werkes, wenn auch nur auf wenige Stunden oder Minuten, bedarf und vielleicht zu diesem Zwecke sich eigens nach dem Bibliotheksort auf den Weg gemacht hat, des Buches nicht ansichtig zu werden vermag. Das ist ein Fall, der sich in einer Anstalt wie der Berliner fort und fort und mit jedem Jahre häufiger wiederholen muß. Wer einmal in die Lage versetzt worden ist, sich auf diese Weise in der Fortsetzung seiner Arbeiten plötzlich unterbrochen zu sehen, wird angesichts des bekannten trockenen Wortes „Verlieben" auf dem zurückgelangenden Meldezettel nicht zweifeln, daß die Ordnung ausländischer Bibliotheken, nämlich der Grundsatz, daß jedem Leser zu jeder Zeit an jedes überhaupt in der Anstalt vorhandene Werk zu gelangen ermöglicht sein müsse, zu den notwendigen Grundgesetzen aller Bibliotheksverwaltung gehöre. Es liegt auf der Hand, daß dieser Forderung bei dem Wegfall des Ausleihens auf die leichteste Weise genügt werden kann, indem sich der neue Bewerber, nötigen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/46>, abgerufen am 01.07.2024.