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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Lismcircks Iukcmsequeliz im Streite "tit den Ultramouwnen.

sich ein großer Teil der Partei dieser Sache näher verwandt als derjenigen,
welche die Regierung vertritt.

Und ganz ähnlich wie von 1872 an mit den Konservativen erging es dein
Kanzler von 1877 an mit den Liberalen. Auch hier bewog neben doktrinären
Velleiciten der Neid, der Wunsch, mehr noch als bisher zu gelten, mehr Anteil
am Regiment zu haben, Minister aus dem Kreise der Parteigenossen neben den
Kanzler oder an seine Stelle zu setzen, zum Abfall, und wieder erfuhr die
Situation, mit welcher Bismcirck den Ultramvntnnen gegenüber zu rechnen, nach
welcher er sich mit seinen Gedanken und Tendenzen einzurichten, hatte, eine wesent¬
liche Veränderung. Es war hier der andre große Zweck des Kanzlers, der
in Frage kam, die Verteidigung des monarchischen Prinzips gegen verfassungs¬
widrigen Parlamentarismus, wie ihn nicht bloß die Fortschrittspartei, sondern
auch die weiter rechts stehenden Liberalen, wenn auch gemäßigter und verhüllter,
erstrebten.

Der Liberalismus hatte vor 1866 behauptet, die Regierung habe sich dem
Willen der Volksvertretung zu unterwerfen oder zurückzutreten und einem aus
der Mehrheit der letztern gebildeten Ministerium Platz zu machen. Bis zu
dem genannten Jahre hatte Bismarck diese vom Westen her importirte Lehre
einfach für unanwendbar auf Preußen erklärt. Jetzt bemühte er sich im Hin¬
blick ans die Notwendigkeit, das neue Deutschland durch Eintracht gegen das
Anstand zu sichern und zu stärken, bei jeder Gelegenheit, die Liberalen zu An¬
sichten zu belehren, die besser zu den monarchischen Institutionen stimmten. Er
führte die Politik der Kompromisse ein, ans welche er schon 1863 hingewiesen hatte,
und auf welche die Nationalliberalen gleich andern Gemäßigten jetzt in den
meisten Fällen eingingen. Er gewann sie durch Entgegenkommen gegen ihre
Lieblingswünsche und möglichst schonende Behandlung ihrer Vorurteile.

Bei der Schnelligkeit, mit welcher der innere Ausbau des deutschen Staates
infolge dieser Methode vor sich ging, konnte es nicht fehlen, daß sich, als man
Zeit zu genauerer Betrachtung des Geschaffenen fand, Mängel am Werke heraus¬
stellten, die rascher Beseitigung bedurften. Ein Teil der Nationalliberalen er¬
kannte dies an, ein andrer nicht. Alle erinnerten sich jetzt mehr oder minder
ihrer doktrinären Vergangenheit, in allen, namentlich in den Führern, regte sich
die Neigung, nun endlich sein Teil an der Gewalt zu bekommen, direkter und
umfänglicher mitzuregieren, und so wurde die Unterstützung des Kanzlers durch
die Partei immer fraglicher. Man setzte sie noch in sein Programm, aber die
Thaten ließen zu wünschen übrig. Man verfuhr erst dilatorisch, dann kühl,
darauf abwehrend und zuletzt geradezu feindselig. Als der Kanzler sich Ostern
1877 vom Kaiser seinen Abschied erbat, war einer der Beweggründe dazu auch
Verdruß und Ermüdung vor der zunehmenden Opposition der stärksten unter
den liberalen Parteien, die sich namentlich im Hinblick auf die Feindschaft der
Ultramontanen gegen das Reich entschieden auf die Seite des Schöpfers des


Lismcircks Iukcmsequeliz im Streite »tit den Ultramouwnen.

sich ein großer Teil der Partei dieser Sache näher verwandt als derjenigen,
welche die Regierung vertritt.

Und ganz ähnlich wie von 1872 an mit den Konservativen erging es dein
Kanzler von 1877 an mit den Liberalen. Auch hier bewog neben doktrinären
Velleiciten der Neid, der Wunsch, mehr noch als bisher zu gelten, mehr Anteil
am Regiment zu haben, Minister aus dem Kreise der Parteigenossen neben den
Kanzler oder an seine Stelle zu setzen, zum Abfall, und wieder erfuhr die
Situation, mit welcher Bismcirck den Ultramvntnnen gegenüber zu rechnen, nach
welcher er sich mit seinen Gedanken und Tendenzen einzurichten, hatte, eine wesent¬
liche Veränderung. Es war hier der andre große Zweck des Kanzlers, der
in Frage kam, die Verteidigung des monarchischen Prinzips gegen verfassungs¬
widrigen Parlamentarismus, wie ihn nicht bloß die Fortschrittspartei, sondern
auch die weiter rechts stehenden Liberalen, wenn auch gemäßigter und verhüllter,
erstrebten.

Der Liberalismus hatte vor 1866 behauptet, die Regierung habe sich dem
Willen der Volksvertretung zu unterwerfen oder zurückzutreten und einem aus
der Mehrheit der letztern gebildeten Ministerium Platz zu machen. Bis zu
dem genannten Jahre hatte Bismarck diese vom Westen her importirte Lehre
einfach für unanwendbar auf Preußen erklärt. Jetzt bemühte er sich im Hin¬
blick ans die Notwendigkeit, das neue Deutschland durch Eintracht gegen das
Anstand zu sichern und zu stärken, bei jeder Gelegenheit, die Liberalen zu An¬
sichten zu belehren, die besser zu den monarchischen Institutionen stimmten. Er
führte die Politik der Kompromisse ein, ans welche er schon 1863 hingewiesen hatte,
und auf welche die Nationalliberalen gleich andern Gemäßigten jetzt in den
meisten Fällen eingingen. Er gewann sie durch Entgegenkommen gegen ihre
Lieblingswünsche und möglichst schonende Behandlung ihrer Vorurteile.

Bei der Schnelligkeit, mit welcher der innere Ausbau des deutschen Staates
infolge dieser Methode vor sich ging, konnte es nicht fehlen, daß sich, als man
Zeit zu genauerer Betrachtung des Geschaffenen fand, Mängel am Werke heraus¬
stellten, die rascher Beseitigung bedurften. Ein Teil der Nationalliberalen er¬
kannte dies an, ein andrer nicht. Alle erinnerten sich jetzt mehr oder minder
ihrer doktrinären Vergangenheit, in allen, namentlich in den Führern, regte sich
die Neigung, nun endlich sein Teil an der Gewalt zu bekommen, direkter und
umfänglicher mitzuregieren, und so wurde die Unterstützung des Kanzlers durch
die Partei immer fraglicher. Man setzte sie noch in sein Programm, aber die
Thaten ließen zu wünschen übrig. Man verfuhr erst dilatorisch, dann kühl,
darauf abwehrend und zuletzt geradezu feindselig. Als der Kanzler sich Ostern
1877 vom Kaiser seinen Abschied erbat, war einer der Beweggründe dazu auch
Verdruß und Ermüdung vor der zunehmenden Opposition der stärksten unter
den liberalen Parteien, die sich namentlich im Hinblick auf die Feindschaft der
Ultramontanen gegen das Reich entschieden auf die Seite des Schöpfers des


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[0435] Lismcircks Iukcmsequeliz im Streite »tit den Ultramouwnen. sich ein großer Teil der Partei dieser Sache näher verwandt als derjenigen, welche die Regierung vertritt. Und ganz ähnlich wie von 1872 an mit den Konservativen erging es dein Kanzler von 1877 an mit den Liberalen. Auch hier bewog neben doktrinären Velleiciten der Neid, der Wunsch, mehr noch als bisher zu gelten, mehr Anteil am Regiment zu haben, Minister aus dem Kreise der Parteigenossen neben den Kanzler oder an seine Stelle zu setzen, zum Abfall, und wieder erfuhr die Situation, mit welcher Bismcirck den Ultramvntnnen gegenüber zu rechnen, nach welcher er sich mit seinen Gedanken und Tendenzen einzurichten, hatte, eine wesent¬ liche Veränderung. Es war hier der andre große Zweck des Kanzlers, der in Frage kam, die Verteidigung des monarchischen Prinzips gegen verfassungs¬ widrigen Parlamentarismus, wie ihn nicht bloß die Fortschrittspartei, sondern auch die weiter rechts stehenden Liberalen, wenn auch gemäßigter und verhüllter, erstrebten. Der Liberalismus hatte vor 1866 behauptet, die Regierung habe sich dem Willen der Volksvertretung zu unterwerfen oder zurückzutreten und einem aus der Mehrheit der letztern gebildeten Ministerium Platz zu machen. Bis zu dem genannten Jahre hatte Bismarck diese vom Westen her importirte Lehre einfach für unanwendbar auf Preußen erklärt. Jetzt bemühte er sich im Hin¬ blick ans die Notwendigkeit, das neue Deutschland durch Eintracht gegen das Anstand zu sichern und zu stärken, bei jeder Gelegenheit, die Liberalen zu An¬ sichten zu belehren, die besser zu den monarchischen Institutionen stimmten. Er führte die Politik der Kompromisse ein, ans welche er schon 1863 hingewiesen hatte, und auf welche die Nationalliberalen gleich andern Gemäßigten jetzt in den meisten Fällen eingingen. Er gewann sie durch Entgegenkommen gegen ihre Lieblingswünsche und möglichst schonende Behandlung ihrer Vorurteile. Bei der Schnelligkeit, mit welcher der innere Ausbau des deutschen Staates infolge dieser Methode vor sich ging, konnte es nicht fehlen, daß sich, als man Zeit zu genauerer Betrachtung des Geschaffenen fand, Mängel am Werke heraus¬ stellten, die rascher Beseitigung bedurften. Ein Teil der Nationalliberalen er¬ kannte dies an, ein andrer nicht. Alle erinnerten sich jetzt mehr oder minder ihrer doktrinären Vergangenheit, in allen, namentlich in den Führern, regte sich die Neigung, nun endlich sein Teil an der Gewalt zu bekommen, direkter und umfänglicher mitzuregieren, und so wurde die Unterstützung des Kanzlers durch die Partei immer fraglicher. Man setzte sie noch in sein Programm, aber die Thaten ließen zu wünschen übrig. Man verfuhr erst dilatorisch, dann kühl, darauf abwehrend und zuletzt geradezu feindselig. Als der Kanzler sich Ostern 1877 vom Kaiser seinen Abschied erbat, war einer der Beweggründe dazu auch Verdruß und Ermüdung vor der zunehmenden Opposition der stärksten unter den liberalen Parteien, die sich namentlich im Hinblick auf die Feindschaft der Ultramontanen gegen das Reich entschieden auf die Seite des Schöpfers des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/435>, abgerufen am 03.07.2024.