Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.beständigkeit der Parteien, deren Verhalten wiederum zum guten Teile durch den Die Position der Regierung dem Ultramontanismus gegenüber war un¬ beständigkeit der Parteien, deren Verhalten wiederum zum guten Teile durch den Die Position der Regierung dem Ultramontanismus gegenüber war un¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0434" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153183"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1713" prev="#ID_1712"> beständigkeit der Parteien, deren Verhalten wiederum zum guten Teile durch den<lb/> Neid bestimmt wurde. „Der Neid im politischen Leben ist das Nationallaster<lb/> der Deutschen, sie können es nicht vertragen, jemand lange eine hohe, leitende<lb/> Stellung einnehmen zu sehen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1714" next="#ID_1715"> Die Position der Regierung dem Ultramontanismus gegenüber war un¬<lb/> mittelbar vor dem Kriege mit Frankreich eine starke und vorteilhafte. Sie wurde<lb/> eine wesentlich andre durch das Entstehen der katholische» Partei, von deren<lb/> Gründern man anfänglich erwarten dürfte, sie würden (man denke an Savignh)<lb/> der Negierung ihre Unterstützung gewähren, während sie ihr alsbald in schroffer<lb/> Weise entgegentraten. War die Stellung des Kanzlers hierdurch schon geschwächt,<lb/> so würde der ganze Kampf mit dem Zentrum immerhin ein andrer gewesen sein<lb/> und zu günstigeren Ergebnissen geführt haben, wenn Bismarck ihn an der<lb/> Spitze der konservativen Partei Hütte durchfechten können. Der Reichskanzler<lb/> war aus dieser Partei hervorgegangen, konnte aber, wenn er dem Bedürfnisse<lb/> der Zeit gerecht werden, wenn er das eine der beiden großen Hauptziele seiner<lb/> Politik, die Sicherstellung und Stärkung Deutschlands, erreichen wollte, nicht<lb/> durchweg mit ihr weitergehen. Dies und daneben der lange verhaltene und<lb/> bald nach dem Kriege ausbrechende Neid der alten Standes- und Glaubens¬<lb/> genossen „drückte ihn hinüber auf die liberale Seite." Wenn das deutsche Reich<lb/> festwachsen sollte, mußte es zu einer Verständigung mit den Politikern dieses<lb/> Lagers kommen, der Kanzler mußte mit der damals stärksten Partei zu einer<lb/> Einigung gelangen, wie er sie vor 1866, wo das gleichfalls im Interesse Preußens<lb/> und Dentschlands wünschenswert war, vergeblich erstrebt hatte. „Das war<lb/> namentlich in den Jahren notwendig, wo das junge Reich noch von einer<lb/> Tripelallianz wie in der Kaunitzschen Epoche bedroht war. Die letzte Leistung<lb/> der deutschen Diplomatie ist die Vereitelung einer Koalition der benachbarten<lb/> Großmächte gegen uns seit dreizehn Jahren. Zu diesem Zwecke mußte die<lb/> Regierung an der Spitze der Liberalen, der Mehrheit im Reichstage, erscheinen,<lb/> und dies wurde durch Kompromisse erreicht." Darüber sielen die Konservativen<lb/> vom Kanzler ab, wobei, wie bemerkt, ihr Neid als starkes Motiv mitwirkte.<lb/> Die „Junker" waren zuerst verstimmt, dann grollten sie, zuletzt brachen sie in<lb/> offenen Zorn aus. Zu Anfang des Jahres 1872 kam es über der Frage des<lb/> Schulaufsichtsgesetzes zwischen ihnen und dem Kanzler zu Hellem Konflikt. Die<lb/> Herren machten Front gegen die Regierung, indem sie im Bedürfnisse gesinnnngs-<lb/> vvller Opposition mit Windthorst und Genossen die „Viudikation des monarchischen<lb/> Prinzips gegen parlamentarische Majoritätswirtschaft" und die „Verteidigung<lb/> des christlichen Charakters unsers Staates" auf ihre Fahne schrieben. Und in<lb/> ähnlicher Weise ging es mehrere Jahre fort, man entsinne sich der Stellung,<lb/> welche die Kreuzzeitung in den Tagen der großen Verleumdungen durch die<lb/> „Reichsglocke" und die sie läutenden Land- und Hofjunker gegen den Minister¬<lb/> präsidenten und zur Sache der Ultramontanen einnahm, und noch heute fühlt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0434]
beständigkeit der Parteien, deren Verhalten wiederum zum guten Teile durch den
Neid bestimmt wurde. „Der Neid im politischen Leben ist das Nationallaster
der Deutschen, sie können es nicht vertragen, jemand lange eine hohe, leitende
Stellung einnehmen zu sehen."
Die Position der Regierung dem Ultramontanismus gegenüber war un¬
mittelbar vor dem Kriege mit Frankreich eine starke und vorteilhafte. Sie wurde
eine wesentlich andre durch das Entstehen der katholische» Partei, von deren
Gründern man anfänglich erwarten dürfte, sie würden (man denke an Savignh)
der Negierung ihre Unterstützung gewähren, während sie ihr alsbald in schroffer
Weise entgegentraten. War die Stellung des Kanzlers hierdurch schon geschwächt,
so würde der ganze Kampf mit dem Zentrum immerhin ein andrer gewesen sein
und zu günstigeren Ergebnissen geführt haben, wenn Bismarck ihn an der
Spitze der konservativen Partei Hütte durchfechten können. Der Reichskanzler
war aus dieser Partei hervorgegangen, konnte aber, wenn er dem Bedürfnisse
der Zeit gerecht werden, wenn er das eine der beiden großen Hauptziele seiner
Politik, die Sicherstellung und Stärkung Deutschlands, erreichen wollte, nicht
durchweg mit ihr weitergehen. Dies und daneben der lange verhaltene und
bald nach dem Kriege ausbrechende Neid der alten Standes- und Glaubens¬
genossen „drückte ihn hinüber auf die liberale Seite." Wenn das deutsche Reich
festwachsen sollte, mußte es zu einer Verständigung mit den Politikern dieses
Lagers kommen, der Kanzler mußte mit der damals stärksten Partei zu einer
Einigung gelangen, wie er sie vor 1866, wo das gleichfalls im Interesse Preußens
und Dentschlands wünschenswert war, vergeblich erstrebt hatte. „Das war
namentlich in den Jahren notwendig, wo das junge Reich noch von einer
Tripelallianz wie in der Kaunitzschen Epoche bedroht war. Die letzte Leistung
der deutschen Diplomatie ist die Vereitelung einer Koalition der benachbarten
Großmächte gegen uns seit dreizehn Jahren. Zu diesem Zwecke mußte die
Regierung an der Spitze der Liberalen, der Mehrheit im Reichstage, erscheinen,
und dies wurde durch Kompromisse erreicht." Darüber sielen die Konservativen
vom Kanzler ab, wobei, wie bemerkt, ihr Neid als starkes Motiv mitwirkte.
Die „Junker" waren zuerst verstimmt, dann grollten sie, zuletzt brachen sie in
offenen Zorn aus. Zu Anfang des Jahres 1872 kam es über der Frage des
Schulaufsichtsgesetzes zwischen ihnen und dem Kanzler zu Hellem Konflikt. Die
Herren machten Front gegen die Regierung, indem sie im Bedürfnisse gesinnnngs-
vvller Opposition mit Windthorst und Genossen die „Viudikation des monarchischen
Prinzips gegen parlamentarische Majoritätswirtschaft" und die „Verteidigung
des christlichen Charakters unsers Staates" auf ihre Fahne schrieben. Und in
ähnlicher Weise ging es mehrere Jahre fort, man entsinne sich der Stellung,
welche die Kreuzzeitung in den Tagen der großen Verleumdungen durch die
„Reichsglocke" und die sie läutenden Land- und Hofjunker gegen den Minister¬
präsidenten und zur Sache der Ultramontanen einnahm, und noch heute fühlt
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