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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafcii von Altenschmerdt,

Sie aber hatten von vornherein einen Narren an ihm gefressen, und Sie haben
ihn zum Hausfreund gemacht.

Da bin ich eben ein alter Esel gewesen! schrie der Baron. Alt wird man,
da haben Sie Recht, aber ob mau klug wird, das ist mir jetzt sehr fraglich.

Dann dürfen Sie auch über Dorothea nicht gar so hart urteilen, sagte
der General lächelnd. Ich denke übrigens, daß Sie es nicht nötig hätten, einen
so harten Stein gegen sich selbst zu schleudern. Herr Eschenburg ist ein Manu
von so vorzüglichen Eigenschaften, daß weder Vater noch Tochter sich zu schämen
brauchen, ihn liebgewonnen zu haben. Ich teile vollständig die Meinung, die
Sie bei einer frühern Gelegenheit gegen mich aussprachen, daß er ein vollkom¬
mener Gentleman ist, und daß ein echter Edelmann auch den Bürgerlichen in¬
sofern schätzt, als er Qualitäten besitzt, durch die der Adel sich auszeichnen soll.
Sie sprachen damals sehr gut und sehr richtig, lieber Nachbar, und ich habe
eine zu hohe Meinung von Ihrer Gerechtigkeitsliebe, um annehmen zu können,
daß der Ärger Sie jetzt verleiten könnte, gegen Ihre bessere Überzeugung zu
sprechen. Es ist schlimm, daß diese Geschichte Ihrem Plan in die Quere kommt,
aber Sie werden nicht im Unmut darüber Ihre eignen Prinzipien verleugnen
wollen.

Baron Sextus dachte an die Warnung der Gräfin Sibylle, und es schwebte
ihm schon auf der Zunge, dem General zu sagen, was sie ihm über die Ver¬
gangenheit Eberhardts in dunkeln Andeutungen mitgeteilt hatte. Aber ver-
schiedne Überlegungen hielten ihn davon zurück. Zunächst die Scheu, sich vor
seinem Freunde zu blamiren. Er hatte dem General gegenüber seinen Scharf¬
blick auf Menschen so sehr betont, daß es ihm ein fataler Gedanke war, sich
nun als einen gänzlich der Menschenkenntnis entbehrenden Mann hingestellt zu
sehen. Es war schon ärgerlich genug, daß der General gesehen hatte, was ihm
entgangen war. Dann aber auch scheute er sich, etwas Ungünstiges über Eber-
hardt weiterzutragen, bevor er sicher war, ob es wahr sei. Er bereute jetzt,
daß er sich durch die Szene mit seiner Tochter hatte abhalten lassen, die Gräfin
näher auszuforschen und der Sache auf den Grund zu gehen. Es war ihm
dabei allerdings auffallend, daß Eberhard: nicht wieder gekommen war, und
es stieg der Verdacht in ihm auf, der junge Mann fühle sich schuldbewußt und
wage es nicht, der Gräfin vor die Augen zu kommen, aber immer wieder sprach
eine innere Stimme gegen solche Vermutungen. Er konnte nicht glauben, daß
Eberhard: ein niedriger Mensch sein sollte. Er neigte jetzt mehr zu dem Glauben,
Dorothea könne ihm einen Wink gegeben haben. Er erklärte sich jetzt die Heftig¬
keit, mit welcher sie Eberhardt verteidigt hatte, und vermutete ganz richtig, daß
sie sein Fernbleiben veranlaßt habe. Der alte Herr konnte über alle diese Ge¬
danken nicht sogleich zur Klarheit kommen und begnügte sich damit, das einzige
auszusprechen, was bei ihm ganz fest stand, nämlich seinen Entschluß, auf jeden
Fall, die Sache möge liegen wie sie wolle, dem Verhältnis zwischen Dorothea


Die Grafcii von Altenschmerdt,

Sie aber hatten von vornherein einen Narren an ihm gefressen, und Sie haben
ihn zum Hausfreund gemacht.

Da bin ich eben ein alter Esel gewesen! schrie der Baron. Alt wird man,
da haben Sie Recht, aber ob mau klug wird, das ist mir jetzt sehr fraglich.

Dann dürfen Sie auch über Dorothea nicht gar so hart urteilen, sagte
der General lächelnd. Ich denke übrigens, daß Sie es nicht nötig hätten, einen
so harten Stein gegen sich selbst zu schleudern. Herr Eschenburg ist ein Manu
von so vorzüglichen Eigenschaften, daß weder Vater noch Tochter sich zu schämen
brauchen, ihn liebgewonnen zu haben. Ich teile vollständig die Meinung, die
Sie bei einer frühern Gelegenheit gegen mich aussprachen, daß er ein vollkom¬
mener Gentleman ist, und daß ein echter Edelmann auch den Bürgerlichen in¬
sofern schätzt, als er Qualitäten besitzt, durch die der Adel sich auszeichnen soll.
Sie sprachen damals sehr gut und sehr richtig, lieber Nachbar, und ich habe
eine zu hohe Meinung von Ihrer Gerechtigkeitsliebe, um annehmen zu können,
daß der Ärger Sie jetzt verleiten könnte, gegen Ihre bessere Überzeugung zu
sprechen. Es ist schlimm, daß diese Geschichte Ihrem Plan in die Quere kommt,
aber Sie werden nicht im Unmut darüber Ihre eignen Prinzipien verleugnen
wollen.

Baron Sextus dachte an die Warnung der Gräfin Sibylle, und es schwebte
ihm schon auf der Zunge, dem General zu sagen, was sie ihm über die Ver¬
gangenheit Eberhardts in dunkeln Andeutungen mitgeteilt hatte. Aber ver-
schiedne Überlegungen hielten ihn davon zurück. Zunächst die Scheu, sich vor
seinem Freunde zu blamiren. Er hatte dem General gegenüber seinen Scharf¬
blick auf Menschen so sehr betont, daß es ihm ein fataler Gedanke war, sich
nun als einen gänzlich der Menschenkenntnis entbehrenden Mann hingestellt zu
sehen. Es war schon ärgerlich genug, daß der General gesehen hatte, was ihm
entgangen war. Dann aber auch scheute er sich, etwas Ungünstiges über Eber-
hardt weiterzutragen, bevor er sicher war, ob es wahr sei. Er bereute jetzt,
daß er sich durch die Szene mit seiner Tochter hatte abhalten lassen, die Gräfin
näher auszuforschen und der Sache auf den Grund zu gehen. Es war ihm
dabei allerdings auffallend, daß Eberhard: nicht wieder gekommen war, und
es stieg der Verdacht in ihm auf, der junge Mann fühle sich schuldbewußt und
wage es nicht, der Gräfin vor die Augen zu kommen, aber immer wieder sprach
eine innere Stimme gegen solche Vermutungen. Er konnte nicht glauben, daß
Eberhard: ein niedriger Mensch sein sollte. Er neigte jetzt mehr zu dem Glauben,
Dorothea könne ihm einen Wink gegeben haben. Er erklärte sich jetzt die Heftig¬
keit, mit welcher sie Eberhardt verteidigt hatte, und vermutete ganz richtig, daß
sie sein Fernbleiben veranlaßt habe. Der alte Herr konnte über alle diese Ge¬
danken nicht sogleich zur Klarheit kommen und begnügte sich damit, das einzige
auszusprechen, was bei ihm ganz fest stand, nämlich seinen Entschluß, auf jeden
Fall, die Sache möge liegen wie sie wolle, dem Verhältnis zwischen Dorothea


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/428>, abgerufen am 22.07.2024.