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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die große Kunstausstellung in Berlin.

zahl von Männern verteilt, die in prachtvolle Stoffe gekleidet sind, welche ans
ein Haar dem mattfarbigen, schillernden Seidenplüsch gleichen, mit dem man
heutzutage Möbel bezieht und den man auch zu Portieren und Wandbekleidungen
verarbeitet. So setzt sich das Ganze aus lauter Äußerlichkeiten zusammen, ohne
daß ein inneres Band diese verschiednen Elemente umschließt. Es sind dieselben
bunten Mvsaikstifte, aus welchen Delaroche vor vierzig Jahren seine thränen-
vollen Historienbilder komponirt hat, nur neu aufgefrischt und mit einem Raffine¬
ment in den Farbenverbindnngeu zusammengesetzt, welches in dem Grade zu¬
nimmt, als sich der geistige Inhalt verflüchtigt.

In großen und ganzen läßt sich die Betrachtung, zu welcher uns das
Broziksche Bild veranlaßt hat, ans die meisten Gebiete der modernen Kunst aus¬
dehnen. Das technische nimmt so sehr überHand, drängt so sehr alle geistigen
Interessen zurück, daß sich der Standpunkt der Beurteilung eines Kunstwerkes
danach völlig verschoben hat. Unsere Ausstellung bietet für diesen Umschwung
ein interessantes Beispiel. Der Belgier Emil Wauters hat zwei große Porträts
eingesendet, welche in dem gewaltigen Lichthofe neben Broziks Gemälde ihren
Platz gefunden haben. Das eine derselben stellt eine nicht mehr junge, anmuts¬
lose Dame in ganzer Figur dar, in eleganter Toilette und in ein mit dem
höchsten Luxus ausgestattetes Zimmer hineingestellt. Alle Farben sind bis
zur Stumpfheit abgedämpft, als wären sie sämtlich auf einen mattgrünen Ton
abgestimmt, welcher Rot braun, Gelb lederfarben und Blau grau macht. Diese
Harmonie der matten grauen Töne ruft nun eine wahrhaft leidenschaftliche Be¬
wunderung unsrer Künstler hervor, welche in dieser ungesunden auf die Spitze
getriebenen Neutralisation aller bestimmten Lokalfarben ein nachahmenswertes
Beispiel sehen. Daß das geistige Leben in dem Kopfe der Dame nicht zum
Ausdruck gekommen ist, daß die Seele sich nur mühsam an die Oberfläche
emporarbeitet wie ein Lichtstrahl durch dichten Nebel, daß die Modellirung ohne
Geschmeidigkeit ist, als wären die Formen aus Blech getrieben und nachträglich
lackirt, diese Mängel werden übersehen, weil das Kolorit gar zu vornehm und
interessant ist! Auf dem andren Bilde, welches einen häßlichen Knaben zu
Pferde am Meeresstrande darstellt, ist wenigstens das Tier kräftig heraus-
modellirt, aber ohne Knochengerüst, und auch den, Knaben ist in dem Streben nach
diftinguirter Auffassung alles körperliche, natürliche und gesunde verloren gegangen.

Immerhin hat sich Wauters einen Stil, eine eigene Ausdrucksweise ge¬
schaffen, wenn dieselbe auch nicht für jedermann erfreulich ist. Wie wenigen
modernen Porträtmalern ist ein gleiches gelungen! Von den hundertundzwanzig
Porträts, welchen die Ausstellung ihre Arme geöffnet hat -- eine erschreckend
große Zahl! --, kann man mindestens sechzig aussondern, von denen weiter
nichts zu sagen ist, als daß sie mehr oder minder glücklich kolorirte Photo¬
graphien sind, welchen jede künstlerische Qualität, jedes künstlerische Gepräge fehlt.
Und von der andern Hälfte kann man weitere dreißig aussondern, die vortrefflich


Die große Kunstausstellung in Berlin.

zahl von Männern verteilt, die in prachtvolle Stoffe gekleidet sind, welche ans
ein Haar dem mattfarbigen, schillernden Seidenplüsch gleichen, mit dem man
heutzutage Möbel bezieht und den man auch zu Portieren und Wandbekleidungen
verarbeitet. So setzt sich das Ganze aus lauter Äußerlichkeiten zusammen, ohne
daß ein inneres Band diese verschiednen Elemente umschließt. Es sind dieselben
bunten Mvsaikstifte, aus welchen Delaroche vor vierzig Jahren seine thränen-
vollen Historienbilder komponirt hat, nur neu aufgefrischt und mit einem Raffine¬
ment in den Farbenverbindnngeu zusammengesetzt, welches in dem Grade zu¬
nimmt, als sich der geistige Inhalt verflüchtigt.

In großen und ganzen läßt sich die Betrachtung, zu welcher uns das
Broziksche Bild veranlaßt hat, ans die meisten Gebiete der modernen Kunst aus¬
dehnen. Das technische nimmt so sehr überHand, drängt so sehr alle geistigen
Interessen zurück, daß sich der Standpunkt der Beurteilung eines Kunstwerkes
danach völlig verschoben hat. Unsere Ausstellung bietet für diesen Umschwung
ein interessantes Beispiel. Der Belgier Emil Wauters hat zwei große Porträts
eingesendet, welche in dem gewaltigen Lichthofe neben Broziks Gemälde ihren
Platz gefunden haben. Das eine derselben stellt eine nicht mehr junge, anmuts¬
lose Dame in ganzer Figur dar, in eleganter Toilette und in ein mit dem
höchsten Luxus ausgestattetes Zimmer hineingestellt. Alle Farben sind bis
zur Stumpfheit abgedämpft, als wären sie sämtlich auf einen mattgrünen Ton
abgestimmt, welcher Rot braun, Gelb lederfarben und Blau grau macht. Diese
Harmonie der matten grauen Töne ruft nun eine wahrhaft leidenschaftliche Be¬
wunderung unsrer Künstler hervor, welche in dieser ungesunden auf die Spitze
getriebenen Neutralisation aller bestimmten Lokalfarben ein nachahmenswertes
Beispiel sehen. Daß das geistige Leben in dem Kopfe der Dame nicht zum
Ausdruck gekommen ist, daß die Seele sich nur mühsam an die Oberfläche
emporarbeitet wie ein Lichtstrahl durch dichten Nebel, daß die Modellirung ohne
Geschmeidigkeit ist, als wären die Formen aus Blech getrieben und nachträglich
lackirt, diese Mängel werden übersehen, weil das Kolorit gar zu vornehm und
interessant ist! Auf dem andren Bilde, welches einen häßlichen Knaben zu
Pferde am Meeresstrande darstellt, ist wenigstens das Tier kräftig heraus-
modellirt, aber ohne Knochengerüst, und auch den, Knaben ist in dem Streben nach
diftinguirter Auffassung alles körperliche, natürliche und gesunde verloren gegangen.

Immerhin hat sich Wauters einen Stil, eine eigene Ausdrucksweise ge¬
schaffen, wenn dieselbe auch nicht für jedermann erfreulich ist. Wie wenigen
modernen Porträtmalern ist ein gleiches gelungen! Von den hundertundzwanzig
Porträts, welchen die Ausstellung ihre Arme geöffnet hat — eine erschreckend
große Zahl! —, kann man mindestens sechzig aussondern, von denen weiter
nichts zu sagen ist, als daß sie mehr oder minder glücklich kolorirte Photo¬
graphien sind, welchen jede künstlerische Qualität, jedes künstlerische Gepräge fehlt.
Und von der andern Hälfte kann man weitere dreißig aussondern, die vortrefflich


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[0413] Die große Kunstausstellung in Berlin. zahl von Männern verteilt, die in prachtvolle Stoffe gekleidet sind, welche ans ein Haar dem mattfarbigen, schillernden Seidenplüsch gleichen, mit dem man heutzutage Möbel bezieht und den man auch zu Portieren und Wandbekleidungen verarbeitet. So setzt sich das Ganze aus lauter Äußerlichkeiten zusammen, ohne daß ein inneres Band diese verschiednen Elemente umschließt. Es sind dieselben bunten Mvsaikstifte, aus welchen Delaroche vor vierzig Jahren seine thränen- vollen Historienbilder komponirt hat, nur neu aufgefrischt und mit einem Raffine¬ ment in den Farbenverbindnngeu zusammengesetzt, welches in dem Grade zu¬ nimmt, als sich der geistige Inhalt verflüchtigt. In großen und ganzen läßt sich die Betrachtung, zu welcher uns das Broziksche Bild veranlaßt hat, ans die meisten Gebiete der modernen Kunst aus¬ dehnen. Das technische nimmt so sehr überHand, drängt so sehr alle geistigen Interessen zurück, daß sich der Standpunkt der Beurteilung eines Kunstwerkes danach völlig verschoben hat. Unsere Ausstellung bietet für diesen Umschwung ein interessantes Beispiel. Der Belgier Emil Wauters hat zwei große Porträts eingesendet, welche in dem gewaltigen Lichthofe neben Broziks Gemälde ihren Platz gefunden haben. Das eine derselben stellt eine nicht mehr junge, anmuts¬ lose Dame in ganzer Figur dar, in eleganter Toilette und in ein mit dem höchsten Luxus ausgestattetes Zimmer hineingestellt. Alle Farben sind bis zur Stumpfheit abgedämpft, als wären sie sämtlich auf einen mattgrünen Ton abgestimmt, welcher Rot braun, Gelb lederfarben und Blau grau macht. Diese Harmonie der matten grauen Töne ruft nun eine wahrhaft leidenschaftliche Be¬ wunderung unsrer Künstler hervor, welche in dieser ungesunden auf die Spitze getriebenen Neutralisation aller bestimmten Lokalfarben ein nachahmenswertes Beispiel sehen. Daß das geistige Leben in dem Kopfe der Dame nicht zum Ausdruck gekommen ist, daß die Seele sich nur mühsam an die Oberfläche emporarbeitet wie ein Lichtstrahl durch dichten Nebel, daß die Modellirung ohne Geschmeidigkeit ist, als wären die Formen aus Blech getrieben und nachträglich lackirt, diese Mängel werden übersehen, weil das Kolorit gar zu vornehm und interessant ist! Auf dem andren Bilde, welches einen häßlichen Knaben zu Pferde am Meeresstrande darstellt, ist wenigstens das Tier kräftig heraus- modellirt, aber ohne Knochengerüst, und auch den, Knaben ist in dem Streben nach diftinguirter Auffassung alles körperliche, natürliche und gesunde verloren gegangen. Immerhin hat sich Wauters einen Stil, eine eigene Ausdrucksweise ge¬ schaffen, wenn dieselbe auch nicht für jedermann erfreulich ist. Wie wenigen modernen Porträtmalern ist ein gleiches gelungen! Von den hundertundzwanzig Porträts, welchen die Ausstellung ihre Arme geöffnet hat — eine erschreckend große Zahl! —, kann man mindestens sechzig aussondern, von denen weiter nichts zu sagen ist, als daß sie mehr oder minder glücklich kolorirte Photo¬ graphien sind, welchen jede künstlerische Qualität, jedes künstlerische Gepräge fehlt. Und von der andern Hälfte kann man weitere dreißig aussondern, die vortrefflich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/413>, abgerufen am 03.07.2024.