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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die große Kunstausstellung in Berlin.

Der Böhme Brozik kann uns nicht mehr lehren, wie man im großen Stile
komponirt und malt. Er hat selbst von Lessing und Piloty die Behandlung
historischer Stoffe gelernt, ist dann nach Paris gegangen und hat dort seine
Palette mit einigen französischen Farben bereichert. Deu Parisern haben seine
Gemälde trotz ihrer Dimensionen denn anch garnicht imponirt. Brozik ist
zwanzig Jahre zu spät gekommen, sagten sie mit mitleidigem Achselzucken, und
Brozik schickte seine Bilder nach Berlin, wo sie mit der großen goldnen Medaille
ausgezeichnet wurden. In diesem Jahre hat er aus Dankbarkeit wiederum ein
sehr umfang- und fignrenreiches Gemälde eingesendet, welches die Verurteilung
seines Landsmannes Johannes Huß durch das Konzil voll Konstanz 1415 dar¬
stellt. Brozik ist nämlich ein großer Patriot, welcher sich vorgenommen zu
haben scheint, die ganze böhmische Geschichte nach und nach auf die Leinwand
zu bringen. Technisch ist dieses Gemälde insofern bemerkenswert, als der Künstler
durch Einschaltung der graublauen und schwärzlichen Töne von Munkacsy und
dem Franzosen Laurens seinen schillernden Lokaltönen eine ernste Haltung, eine
feierliche Stimmung zu geben versucht hat. Indessen bleibt noch soviel von
reiner Stoffmalerci übrig, daß das Auge an den Sammet- und Brokatgewändern
des Kaisers und seiner Begleiter, der Geistlichkeit und der Böhmen, die zu Huß
halten, mit größeren Wohlgefallen haftet als an der Physiognomie des dunkel¬
gekleideten Märtyrers, welcher mit dem Ausdruck unerschütterlicher Standhaftig-
keit gen Himmel blickt, während ihm ein Bischof, dessen Gesicht von Leidenschaft
und Haß verzerrt ist, sein Todesurteil vorliest. Hier wie dort ist der Gesichts¬
ausdruck rein konventionell, nicht aus der Tiefe der Seele geschöpft, sondern
äußerlich nach der herkömmlichen Schablone aufgeprägt. Wie die einen ihrer
Entrüstung, ihrem Abscheu, die andern ihrer Teilnahme, ihrem Wohlwollen
Ausdruck geben, das ist alles gleich schematisch und ohne Originalität. Nicht
wenig Figuren sind auch ganz dazu angethan, trotz ihrer pathetische" Haltung
und ihrer aufgeregten Geberde das Gegenteil der von dem Künster beabsichtigten
Wirkung herbeizuführen. Kaiser Sigismund unterscheidet sich nicht viel von
dem sanften Coeurkönig eines Kartenspiels, und auf der böhmischen Seite sieht
man zwei Gestalten, in welchen die Intelligenz den massigen Körperformen nicht
das Gleichgewicht hält. Auf die Komposition, die nach der Regel de tri akade¬
mischer Vorschriften gemacht ist, wollen wir nicht eingehen, weil der Gegenstand,
eine Konzilsfitzung, die langweilige Anordnung bedingt haben kann. Aber
warum wählt man sich einen solchen Vorwurf, mit welchem schlechterdings nichts
anzufangen ist? Eine Konzils- oder Reichstagssitzung kann künstlerisch im
engern Sinne nicht verwertet, soudern nur malerisch ausgenutzt werden, indem
der Künstler den Hcmptaccent auf die Behandlung des Stofflichen legt, und
das hat Brozik gethan. Wir blicken in das Innere einer gothischen Kirche,
durch deren bunte Glasfenster farbige Lichtstrahlen in den dämmerigen Raum
fallen, und sehen in der Kirche auf drei Seiten eines Vierecks eine große An-


Die große Kunstausstellung in Berlin.

Der Böhme Brozik kann uns nicht mehr lehren, wie man im großen Stile
komponirt und malt. Er hat selbst von Lessing und Piloty die Behandlung
historischer Stoffe gelernt, ist dann nach Paris gegangen und hat dort seine
Palette mit einigen französischen Farben bereichert. Deu Parisern haben seine
Gemälde trotz ihrer Dimensionen denn anch garnicht imponirt. Brozik ist
zwanzig Jahre zu spät gekommen, sagten sie mit mitleidigem Achselzucken, und
Brozik schickte seine Bilder nach Berlin, wo sie mit der großen goldnen Medaille
ausgezeichnet wurden. In diesem Jahre hat er aus Dankbarkeit wiederum ein
sehr umfang- und fignrenreiches Gemälde eingesendet, welches die Verurteilung
seines Landsmannes Johannes Huß durch das Konzil voll Konstanz 1415 dar¬
stellt. Brozik ist nämlich ein großer Patriot, welcher sich vorgenommen zu
haben scheint, die ganze böhmische Geschichte nach und nach auf die Leinwand
zu bringen. Technisch ist dieses Gemälde insofern bemerkenswert, als der Künstler
durch Einschaltung der graublauen und schwärzlichen Töne von Munkacsy und
dem Franzosen Laurens seinen schillernden Lokaltönen eine ernste Haltung, eine
feierliche Stimmung zu geben versucht hat. Indessen bleibt noch soviel von
reiner Stoffmalerci übrig, daß das Auge an den Sammet- und Brokatgewändern
des Kaisers und seiner Begleiter, der Geistlichkeit und der Böhmen, die zu Huß
halten, mit größeren Wohlgefallen haftet als an der Physiognomie des dunkel¬
gekleideten Märtyrers, welcher mit dem Ausdruck unerschütterlicher Standhaftig-
keit gen Himmel blickt, während ihm ein Bischof, dessen Gesicht von Leidenschaft
und Haß verzerrt ist, sein Todesurteil vorliest. Hier wie dort ist der Gesichts¬
ausdruck rein konventionell, nicht aus der Tiefe der Seele geschöpft, sondern
äußerlich nach der herkömmlichen Schablone aufgeprägt. Wie die einen ihrer
Entrüstung, ihrem Abscheu, die andern ihrer Teilnahme, ihrem Wohlwollen
Ausdruck geben, das ist alles gleich schematisch und ohne Originalität. Nicht
wenig Figuren sind auch ganz dazu angethan, trotz ihrer pathetische» Haltung
und ihrer aufgeregten Geberde das Gegenteil der von dem Künster beabsichtigten
Wirkung herbeizuführen. Kaiser Sigismund unterscheidet sich nicht viel von
dem sanften Coeurkönig eines Kartenspiels, und auf der böhmischen Seite sieht
man zwei Gestalten, in welchen die Intelligenz den massigen Körperformen nicht
das Gleichgewicht hält. Auf die Komposition, die nach der Regel de tri akade¬
mischer Vorschriften gemacht ist, wollen wir nicht eingehen, weil der Gegenstand,
eine Konzilsfitzung, die langweilige Anordnung bedingt haben kann. Aber
warum wählt man sich einen solchen Vorwurf, mit welchem schlechterdings nichts
anzufangen ist? Eine Konzils- oder Reichstagssitzung kann künstlerisch im
engern Sinne nicht verwertet, soudern nur malerisch ausgenutzt werden, indem
der Künstler den Hcmptaccent auf die Behandlung des Stofflichen legt, und
das hat Brozik gethan. Wir blicken in das Innere einer gothischen Kirche,
durch deren bunte Glasfenster farbige Lichtstrahlen in den dämmerigen Raum
fallen, und sehen in der Kirche auf drei Seiten eines Vierecks eine große An-


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[0412] Die große Kunstausstellung in Berlin. Der Böhme Brozik kann uns nicht mehr lehren, wie man im großen Stile komponirt und malt. Er hat selbst von Lessing und Piloty die Behandlung historischer Stoffe gelernt, ist dann nach Paris gegangen und hat dort seine Palette mit einigen französischen Farben bereichert. Deu Parisern haben seine Gemälde trotz ihrer Dimensionen denn anch garnicht imponirt. Brozik ist zwanzig Jahre zu spät gekommen, sagten sie mit mitleidigem Achselzucken, und Brozik schickte seine Bilder nach Berlin, wo sie mit der großen goldnen Medaille ausgezeichnet wurden. In diesem Jahre hat er aus Dankbarkeit wiederum ein sehr umfang- und fignrenreiches Gemälde eingesendet, welches die Verurteilung seines Landsmannes Johannes Huß durch das Konzil voll Konstanz 1415 dar¬ stellt. Brozik ist nämlich ein großer Patriot, welcher sich vorgenommen zu haben scheint, die ganze böhmische Geschichte nach und nach auf die Leinwand zu bringen. Technisch ist dieses Gemälde insofern bemerkenswert, als der Künstler durch Einschaltung der graublauen und schwärzlichen Töne von Munkacsy und dem Franzosen Laurens seinen schillernden Lokaltönen eine ernste Haltung, eine feierliche Stimmung zu geben versucht hat. Indessen bleibt noch soviel von reiner Stoffmalerci übrig, daß das Auge an den Sammet- und Brokatgewändern des Kaisers und seiner Begleiter, der Geistlichkeit und der Böhmen, die zu Huß halten, mit größeren Wohlgefallen haftet als an der Physiognomie des dunkel¬ gekleideten Märtyrers, welcher mit dem Ausdruck unerschütterlicher Standhaftig- keit gen Himmel blickt, während ihm ein Bischof, dessen Gesicht von Leidenschaft und Haß verzerrt ist, sein Todesurteil vorliest. Hier wie dort ist der Gesichts¬ ausdruck rein konventionell, nicht aus der Tiefe der Seele geschöpft, sondern äußerlich nach der herkömmlichen Schablone aufgeprägt. Wie die einen ihrer Entrüstung, ihrem Abscheu, die andern ihrer Teilnahme, ihrem Wohlwollen Ausdruck geben, das ist alles gleich schematisch und ohne Originalität. Nicht wenig Figuren sind auch ganz dazu angethan, trotz ihrer pathetische» Haltung und ihrer aufgeregten Geberde das Gegenteil der von dem Künster beabsichtigten Wirkung herbeizuführen. Kaiser Sigismund unterscheidet sich nicht viel von dem sanften Coeurkönig eines Kartenspiels, und auf der böhmischen Seite sieht man zwei Gestalten, in welchen die Intelligenz den massigen Körperformen nicht das Gleichgewicht hält. Auf die Komposition, die nach der Regel de tri akade¬ mischer Vorschriften gemacht ist, wollen wir nicht eingehen, weil der Gegenstand, eine Konzilsfitzung, die langweilige Anordnung bedingt haben kann. Aber warum wählt man sich einen solchen Vorwurf, mit welchem schlechterdings nichts anzufangen ist? Eine Konzils- oder Reichstagssitzung kann künstlerisch im engern Sinne nicht verwertet, soudern nur malerisch ausgenutzt werden, indem der Künstler den Hcmptaccent auf die Behandlung des Stofflichen legt, und das hat Brozik gethan. Wir blicken in das Innere einer gothischen Kirche, durch deren bunte Glasfenster farbige Lichtstrahlen in den dämmerigen Raum fallen, und sehen in der Kirche auf drei Seiten eines Vierecks eine große An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/412>, abgerufen am 22.07.2024.