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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die große Kunstausstellung in Berlin.

gezeichnet und tüchtig modellirt sind, die aber in keinem Punkte eine originelle
Auffassung, eine gewisse Selbständigkeit des Künstlers verraten, welche die in die
Ecke gezeichnete Signatur ihres Urhebers überflüssig macht. So trägt z. B. ein
ganz geistreich und lebendig behandeltes Porträt einer jungen Dame von dem Fran¬
zosen Edouard Bertier, einem Schüler von Bouguereau und Cabanel, den
allgemeinen Charakter der modernen französischen Schule: große Vornehmheit in
der Jnszcnirnng und ein Streben nach bizarren Farbenverbindunge". Besondre
Kennzeichen fehlen. Kaum dreißig Porträts bleiben übrig, die sich auf etwa
zwanzig Maler so verteilen, daß man sie an ihrer Handschrift erkennt, mag
dieselbe nun in gutem oder schlechtem Sinne charakteristisch sein. So ist A. von
Werner z. B. kein Porträtmaler im höchsten Sinne des Wortes, weil seine
Malweise ein summarisches Verfahren liebt, welches jeder feinren Indivi-
dualisirung im Wege steht und weil ihm die Kunst fehlt, in den Tiefen der
Seele zu lesen und das Gelesene zu verwerten. Aber er hat sich doch einen
malerischen Stil gebildet, welcher, mag er auch uicht besonders fein und reizvoll
sein, doch markant und charakteristisch ist. In dieselbe Kategorie der Bildnis¬
maler mit eignem Stil -- wir zitiren nach unsrer Ausstellung - - gehören
ferner Gustav Richter, Gussow, Kraus, Bokelmann, Biermann, Schrödl,
Ernst Hildebrand und Keller. Richter hat schon eine so große Zahl roman¬
tischer, poetischer, eleganter oder doch wenigstens malerisch anziehender Bildnisse
geschaffen, daß man von zweien, welche ausnahmsweise diese Vorzüge nicht be¬
sitzen, nicht viel Aufhebens zu machen braucht. Wenn man das ganze Werk
von van Dyck oder von Frans Hals zusammenstellen würde, gäbe es auch genug
Bilder auszumerzen, welche zum Ruhme dieser Meister nichts beitragen. Von
den beiden Damenpvrträts von Gussow könnte man dasselbe gelten lassen,
wenn man nicht zugleich die beunruhigende Beobachtung machte, daß der Künstler,
der so originell begonnen hat, vielleicht infolge der vielen Aufträge Gefahr
läuft, seine Originalität preiszugeben und sich in die flache Alltäglichkeit der
Salonmalerei zu verlieren. Es ist zwar sehr schön und verdienstvoll, daß der
tapfere Naturalist die Atlasrobe einer Balldame ebenso naturgetreu und täuschend
zu malen versteht wie den groben Friesrock einer Bäuerin, daß er das runzliche
Gesicht eines alten Mannes ebenso sorgsam und ebenso liebevoll wiedergiebt wie
den zarten Teint einer jugendlichen Schönheit. Wenn aber das geistige Gepräge
der Physiognomie der Roben- und Stoffmalerei so völlig geopfert wird, wie auf
jenen beiden Bildnissen, so muß man bei Zeiten einen Warnungsruf erheben. Auch
eine Studie in halber Figur, ein junges hübsches Mädchen, welches einen Teller
mit Austern trägt, verrät eine bedenkliche Hinneigung zu jener porzellanartigen
Modellirung des Fleisches, zu jener duftigen, malerischen Behandlung, wie sie
Paul Thumann zur Freude aller ätherischen Pensionsmädchen kultivirt, die
aber in der Natur nirgends ihr Vorbild haben. Der alte Gussow war mir,
trotz seiner bisweilen struppigen Manieren, lieber als der neue mit seinem glänzenden


Die große Kunstausstellung in Berlin.

gezeichnet und tüchtig modellirt sind, die aber in keinem Punkte eine originelle
Auffassung, eine gewisse Selbständigkeit des Künstlers verraten, welche die in die
Ecke gezeichnete Signatur ihres Urhebers überflüssig macht. So trägt z. B. ein
ganz geistreich und lebendig behandeltes Porträt einer jungen Dame von dem Fran¬
zosen Edouard Bertier, einem Schüler von Bouguereau und Cabanel, den
allgemeinen Charakter der modernen französischen Schule: große Vornehmheit in
der Jnszcnirnng und ein Streben nach bizarren Farbenverbindunge». Besondre
Kennzeichen fehlen. Kaum dreißig Porträts bleiben übrig, die sich auf etwa
zwanzig Maler so verteilen, daß man sie an ihrer Handschrift erkennt, mag
dieselbe nun in gutem oder schlechtem Sinne charakteristisch sein. So ist A. von
Werner z. B. kein Porträtmaler im höchsten Sinne des Wortes, weil seine
Malweise ein summarisches Verfahren liebt, welches jeder feinren Indivi-
dualisirung im Wege steht und weil ihm die Kunst fehlt, in den Tiefen der
Seele zu lesen und das Gelesene zu verwerten. Aber er hat sich doch einen
malerischen Stil gebildet, welcher, mag er auch uicht besonders fein und reizvoll
sein, doch markant und charakteristisch ist. In dieselbe Kategorie der Bildnis¬
maler mit eignem Stil — wir zitiren nach unsrer Ausstellung - - gehören
ferner Gustav Richter, Gussow, Kraus, Bokelmann, Biermann, Schrödl,
Ernst Hildebrand und Keller. Richter hat schon eine so große Zahl roman¬
tischer, poetischer, eleganter oder doch wenigstens malerisch anziehender Bildnisse
geschaffen, daß man von zweien, welche ausnahmsweise diese Vorzüge nicht be¬
sitzen, nicht viel Aufhebens zu machen braucht. Wenn man das ganze Werk
von van Dyck oder von Frans Hals zusammenstellen würde, gäbe es auch genug
Bilder auszumerzen, welche zum Ruhme dieser Meister nichts beitragen. Von
den beiden Damenpvrträts von Gussow könnte man dasselbe gelten lassen,
wenn man nicht zugleich die beunruhigende Beobachtung machte, daß der Künstler,
der so originell begonnen hat, vielleicht infolge der vielen Aufträge Gefahr
läuft, seine Originalität preiszugeben und sich in die flache Alltäglichkeit der
Salonmalerei zu verlieren. Es ist zwar sehr schön und verdienstvoll, daß der
tapfere Naturalist die Atlasrobe einer Balldame ebenso naturgetreu und täuschend
zu malen versteht wie den groben Friesrock einer Bäuerin, daß er das runzliche
Gesicht eines alten Mannes ebenso sorgsam und ebenso liebevoll wiedergiebt wie
den zarten Teint einer jugendlichen Schönheit. Wenn aber das geistige Gepräge
der Physiognomie der Roben- und Stoffmalerei so völlig geopfert wird, wie auf
jenen beiden Bildnissen, so muß man bei Zeiten einen Warnungsruf erheben. Auch
eine Studie in halber Figur, ein junges hübsches Mädchen, welches einen Teller
mit Austern trägt, verrät eine bedenkliche Hinneigung zu jener porzellanartigen
Modellirung des Fleisches, zu jener duftigen, malerischen Behandlung, wie sie
Paul Thumann zur Freude aller ätherischen Pensionsmädchen kultivirt, die
aber in der Natur nirgends ihr Vorbild haben. Der alte Gussow war mir,
trotz seiner bisweilen struppigen Manieren, lieber als der neue mit seinem glänzenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/414>, abgerufen am 03.07.2024.