Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die große Aunswusstellung in Berlin.

daß die Kunsthändler, welche große Arbeiten von ihnen in ihren Händen haben,
dieselben für die Dauer der Ausstellung freigäben. Auf der diesjährigen Aus¬
stellung suchen wir vergebens nach einem Meisterwerke von bedeutendem Inhalt,
von idealem Schwung und von großartiger Ausdrucksweise. Wir hätten es,
wenn Peter Janssen, der Düsseldorfer Meister, sein großes Gemälde "Die
Kindheit des Bacchus," in welchem er den ganzen Umfang seines Könnens, den
Reichtum seiner Phantasie und die Fülle seiner Gestaltungskraft zusammengefaßt,
nicht bei dem Kunsthändler, seinem Auftraggeber, sondern im Polytechnikum
ausgestellt hätte. Aber er und viele andre tragen mit Recht Bedenken, Werke
von ernster Bedeutung nnter bunter Jahrmarktswaare aufzustellen, welche der
Zufall zusammengeführt hat.

Der Staat hat den akademischen Kunstausstellungen in Berlin, auch ohne
daß er die direkte Leitung derselben in den Händen hat, immer sein Wohlwollen
bewiesen. So Hut er in diesem Jahre den Neubau der technischen Hochschule
in Charlottenburg, die letzte Monumentalschöpfung Hitzigs, zur Verfügung ge¬
stellt, weil der Holzbau, der seit 1875 den Ausstellungen diente, seit dem Brande
der Ausstellung für Hygiene und Rettnngswesen zu feuergefährlich erschien. In
alle" innern Angelegenheiten läßt er den Akademikern und der Jury, welche
durch Wahlen aus dem Senat, den ordentlichen Mitgliedern der Akademie und
dem Verein Berliner Künstler zur Unterstützung seiner hilfsbedürftigen Mitglieder
zusammengesetzt ist, freie Hand.

Der von Jahr zu Jahr zunehmende Rückgang der akademischen Kunst-
ausstelluugeu macht es unzweifelhaft, daß diese Art der Verwaltung nicht mehr
zweckmäßig ist. Wer sich gern durch Zahlen überzeuge" läßt, dem genüge
die Thatsache, daß die diesjährige Ausstellung etwa 170 Nummern weniger
umfaßt als die vorige, 978 gegen 1118, wobei zu betonen ist, daß sich das
Durchschnittsniveau auch hinsichtlich der Qualität erheblich gesenkt hat.

Groß war die Anzahl von Historienbildern auf den Berliner Ausstellungen
niemals. Soweit war es jedoch noch niemals gekommen wie in diesem Jahre,
wo nur ein einziges Bild vorhanden ist, welches auf jenen stolzen Namen An¬
spruch erheben kann, und dieses eine Bild ist von einem Fremden, von dem
Böhmen Vacslav Brozik eingesendet worden. Daß die Historienbilder alten
Stils mit der Zeit verschwinden, ist an und für sich kein Unglück. Denn es
war ein Irrtum der Schulästhetiker, der längst widerlegt ist, in dem historischen
Gemälde die höchste Entwicklung der Malerei zu sehen. Aber wenn nur irgendwo
Keime zu bemerken wären, welche uns die frohe Zuversicht gäben, daß an die
Stelle des Veralteten etwas Neues, Lebenskräftiges treten, daß der große Stil
in der Malerei nicht verschwinden wird, auch wenn er sich nicht mehr an den
Ereignissen einer Vergangenheit erproben kann, welche unserm Herzen völlig
fremd ist. Nichts dergleichen. Wohin man blickt -- wwla rösa!


Die große Aunswusstellung in Berlin.

daß die Kunsthändler, welche große Arbeiten von ihnen in ihren Händen haben,
dieselben für die Dauer der Ausstellung freigäben. Auf der diesjährigen Aus¬
stellung suchen wir vergebens nach einem Meisterwerke von bedeutendem Inhalt,
von idealem Schwung und von großartiger Ausdrucksweise. Wir hätten es,
wenn Peter Janssen, der Düsseldorfer Meister, sein großes Gemälde „Die
Kindheit des Bacchus," in welchem er den ganzen Umfang seines Könnens, den
Reichtum seiner Phantasie und die Fülle seiner Gestaltungskraft zusammengefaßt,
nicht bei dem Kunsthändler, seinem Auftraggeber, sondern im Polytechnikum
ausgestellt hätte. Aber er und viele andre tragen mit Recht Bedenken, Werke
von ernster Bedeutung nnter bunter Jahrmarktswaare aufzustellen, welche der
Zufall zusammengeführt hat.

Der Staat hat den akademischen Kunstausstellungen in Berlin, auch ohne
daß er die direkte Leitung derselben in den Händen hat, immer sein Wohlwollen
bewiesen. So Hut er in diesem Jahre den Neubau der technischen Hochschule
in Charlottenburg, die letzte Monumentalschöpfung Hitzigs, zur Verfügung ge¬
stellt, weil der Holzbau, der seit 1875 den Ausstellungen diente, seit dem Brande
der Ausstellung für Hygiene und Rettnngswesen zu feuergefährlich erschien. In
alle» innern Angelegenheiten läßt er den Akademikern und der Jury, welche
durch Wahlen aus dem Senat, den ordentlichen Mitgliedern der Akademie und
dem Verein Berliner Künstler zur Unterstützung seiner hilfsbedürftigen Mitglieder
zusammengesetzt ist, freie Hand.

Der von Jahr zu Jahr zunehmende Rückgang der akademischen Kunst-
ausstelluugeu macht es unzweifelhaft, daß diese Art der Verwaltung nicht mehr
zweckmäßig ist. Wer sich gern durch Zahlen überzeuge» läßt, dem genüge
die Thatsache, daß die diesjährige Ausstellung etwa 170 Nummern weniger
umfaßt als die vorige, 978 gegen 1118, wobei zu betonen ist, daß sich das
Durchschnittsniveau auch hinsichtlich der Qualität erheblich gesenkt hat.

Groß war die Anzahl von Historienbildern auf den Berliner Ausstellungen
niemals. Soweit war es jedoch noch niemals gekommen wie in diesem Jahre,
wo nur ein einziges Bild vorhanden ist, welches auf jenen stolzen Namen An¬
spruch erheben kann, und dieses eine Bild ist von einem Fremden, von dem
Böhmen Vacslav Brozik eingesendet worden. Daß die Historienbilder alten
Stils mit der Zeit verschwinden, ist an und für sich kein Unglück. Denn es
war ein Irrtum der Schulästhetiker, der längst widerlegt ist, in dem historischen
Gemälde die höchste Entwicklung der Malerei zu sehen. Aber wenn nur irgendwo
Keime zu bemerken wären, welche uns die frohe Zuversicht gäben, daß an die
Stelle des Veralteten etwas Neues, Lebenskräftiges treten, daß der große Stil
in der Malerei nicht verschwinden wird, auch wenn er sich nicht mehr an den
Ereignissen einer Vergangenheit erproben kann, welche unserm Herzen völlig
fremd ist. Nichts dergleichen. Wohin man blickt — wwla rösa!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0411" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153160"/>
          <fw type="header" place="top"> Die große Aunswusstellung in Berlin.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1603" prev="#ID_1602"> daß die Kunsthändler, welche große Arbeiten von ihnen in ihren Händen haben,<lb/>
dieselben für die Dauer der Ausstellung freigäben. Auf der diesjährigen Aus¬<lb/>
stellung suchen wir vergebens nach einem Meisterwerke von bedeutendem Inhalt,<lb/>
von idealem Schwung und von großartiger Ausdrucksweise. Wir hätten es,<lb/>
wenn Peter Janssen, der Düsseldorfer Meister, sein großes Gemälde &#x201E;Die<lb/>
Kindheit des Bacchus," in welchem er den ganzen Umfang seines Könnens, den<lb/>
Reichtum seiner Phantasie und die Fülle seiner Gestaltungskraft zusammengefaßt,<lb/>
nicht bei dem Kunsthändler, seinem Auftraggeber, sondern im Polytechnikum<lb/>
ausgestellt hätte. Aber er und viele andre tragen mit Recht Bedenken, Werke<lb/>
von ernster Bedeutung nnter bunter Jahrmarktswaare aufzustellen, welche der<lb/>
Zufall zusammengeführt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1604"> Der Staat hat den akademischen Kunstausstellungen in Berlin, auch ohne<lb/>
daß er die direkte Leitung derselben in den Händen hat, immer sein Wohlwollen<lb/>
bewiesen. So Hut er in diesem Jahre den Neubau der technischen Hochschule<lb/>
in Charlottenburg, die letzte Monumentalschöpfung Hitzigs, zur Verfügung ge¬<lb/>
stellt, weil der Holzbau, der seit 1875 den Ausstellungen diente, seit dem Brande<lb/>
der Ausstellung für Hygiene und Rettnngswesen zu feuergefährlich erschien. In<lb/>
alle» innern Angelegenheiten läßt er den Akademikern und der Jury, welche<lb/>
durch Wahlen aus dem Senat, den ordentlichen Mitgliedern der Akademie und<lb/>
dem Verein Berliner Künstler zur Unterstützung seiner hilfsbedürftigen Mitglieder<lb/>
zusammengesetzt ist, freie Hand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1605"> Der von Jahr zu Jahr zunehmende Rückgang der akademischen Kunst-<lb/>
ausstelluugeu macht es unzweifelhaft, daß diese Art der Verwaltung nicht mehr<lb/>
zweckmäßig ist. Wer sich gern durch Zahlen überzeuge» läßt, dem genüge<lb/>
die Thatsache, daß die diesjährige Ausstellung etwa 170 Nummern weniger<lb/>
umfaßt als die vorige, 978 gegen 1118, wobei zu betonen ist, daß sich das<lb/>
Durchschnittsniveau auch hinsichtlich der Qualität erheblich gesenkt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1606"> Groß war die Anzahl von Historienbildern auf den Berliner Ausstellungen<lb/>
niemals. Soweit war es jedoch noch niemals gekommen wie in diesem Jahre,<lb/>
wo nur ein einziges Bild vorhanden ist, welches auf jenen stolzen Namen An¬<lb/>
spruch erheben kann, und dieses eine Bild ist von einem Fremden, von dem<lb/>
Böhmen Vacslav Brozik eingesendet worden. Daß die Historienbilder alten<lb/>
Stils mit der Zeit verschwinden, ist an und für sich kein Unglück. Denn es<lb/>
war ein Irrtum der Schulästhetiker, der längst widerlegt ist, in dem historischen<lb/>
Gemälde die höchste Entwicklung der Malerei zu sehen. Aber wenn nur irgendwo<lb/>
Keime zu bemerken wären, welche uns die frohe Zuversicht gäben, daß an die<lb/>
Stelle des Veralteten etwas Neues, Lebenskräftiges treten, daß der große Stil<lb/>
in der Malerei nicht verschwinden wird, auch wenn er sich nicht mehr an den<lb/>
Ereignissen einer Vergangenheit erproben kann, welche unserm Herzen völlig<lb/>
fremd ist.  Nichts dergleichen.  Wohin man blickt &#x2014; wwla rösa!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0411] Die große Aunswusstellung in Berlin. daß die Kunsthändler, welche große Arbeiten von ihnen in ihren Händen haben, dieselben für die Dauer der Ausstellung freigäben. Auf der diesjährigen Aus¬ stellung suchen wir vergebens nach einem Meisterwerke von bedeutendem Inhalt, von idealem Schwung und von großartiger Ausdrucksweise. Wir hätten es, wenn Peter Janssen, der Düsseldorfer Meister, sein großes Gemälde „Die Kindheit des Bacchus," in welchem er den ganzen Umfang seines Könnens, den Reichtum seiner Phantasie und die Fülle seiner Gestaltungskraft zusammengefaßt, nicht bei dem Kunsthändler, seinem Auftraggeber, sondern im Polytechnikum ausgestellt hätte. Aber er und viele andre tragen mit Recht Bedenken, Werke von ernster Bedeutung nnter bunter Jahrmarktswaare aufzustellen, welche der Zufall zusammengeführt hat. Der Staat hat den akademischen Kunstausstellungen in Berlin, auch ohne daß er die direkte Leitung derselben in den Händen hat, immer sein Wohlwollen bewiesen. So Hut er in diesem Jahre den Neubau der technischen Hochschule in Charlottenburg, die letzte Monumentalschöpfung Hitzigs, zur Verfügung ge¬ stellt, weil der Holzbau, der seit 1875 den Ausstellungen diente, seit dem Brande der Ausstellung für Hygiene und Rettnngswesen zu feuergefährlich erschien. In alle» innern Angelegenheiten läßt er den Akademikern und der Jury, welche durch Wahlen aus dem Senat, den ordentlichen Mitgliedern der Akademie und dem Verein Berliner Künstler zur Unterstützung seiner hilfsbedürftigen Mitglieder zusammengesetzt ist, freie Hand. Der von Jahr zu Jahr zunehmende Rückgang der akademischen Kunst- ausstelluugeu macht es unzweifelhaft, daß diese Art der Verwaltung nicht mehr zweckmäßig ist. Wer sich gern durch Zahlen überzeuge» läßt, dem genüge die Thatsache, daß die diesjährige Ausstellung etwa 170 Nummern weniger umfaßt als die vorige, 978 gegen 1118, wobei zu betonen ist, daß sich das Durchschnittsniveau auch hinsichtlich der Qualität erheblich gesenkt hat. Groß war die Anzahl von Historienbildern auf den Berliner Ausstellungen niemals. Soweit war es jedoch noch niemals gekommen wie in diesem Jahre, wo nur ein einziges Bild vorhanden ist, welches auf jenen stolzen Namen An¬ spruch erheben kann, und dieses eine Bild ist von einem Fremden, von dem Böhmen Vacslav Brozik eingesendet worden. Daß die Historienbilder alten Stils mit der Zeit verschwinden, ist an und für sich kein Unglück. Denn es war ein Irrtum der Schulästhetiker, der längst widerlegt ist, in dem historischen Gemälde die höchste Entwicklung der Malerei zu sehen. Aber wenn nur irgendwo Keime zu bemerken wären, welche uns die frohe Zuversicht gäben, daß an die Stelle des Veralteten etwas Neues, Lebenskräftiges treten, daß der große Stil in der Malerei nicht verschwinden wird, auch wenn er sich nicht mehr an den Ereignissen einer Vergangenheit erproben kann, welche unserm Herzen völlig fremd ist. Nichts dergleichen. Wohin man blickt — wwla rösa!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/411
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/411>, abgerufen am 24.08.2024.