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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Zur Lutherfeitt.

deutschen Volkskirche geworden ist, muß auch ohne Anstand der Begründer der
deutschen Musik genannt werden. Denn das ist er geworden durch das Lied
"Ein' feste Burg," das zündend in das Volksleben und den Volksgeist einschlug,
ebenso wie durch die wuchtige Persönlichkeit, welche er für die Tonkunst einsetzte,
um ihr den Ehrenplatz im deutschen Gemüt und Volksleben, in Kirche, Schule
und Haus zu sichern. So ist er der geistige Ahn des großen Sebastian Bach
geworden."

Daß zuni Jubelfeste gerade dieses Mannes aller Glanz und Schmuck auf¬
geboten werden muß, dessen die musikalischen Ausdrucksmittel fähig sind, ist
klar. So wird man denn auch überall auf musikalische Aufführungen bedacht
fein. Es fragt sich nur, was man aufführen soll. Dankhymnen und Cantaten,
und wäre es selbst S. Bachs Cantate über "Ein' feste Burg," werden der Ab¬
sicht nur unvollkommen genügen. Nur allgemeine, mehr oder weniger unbestimmte
Empfindungen werden ihr Ergebnis bilden, nicht aber eine konkrete Anschauung
von der eigenartigen Persönlichkeit, worauf es doch vor allen Dingen ankommt.
Und doch hat die Tonkunst eben für diesen Zweck die ausgiebigsten, förderlichsten
Formen zu ihrer Verfügung. Wie leben nicht die musikalischen Gestalten unsrer
klassischen Opern in der Seele jedes Deutschen, der sich nur irgend über die
Alltagssphärc erhoben hat! Sie sind uns ebenso gegenwärtig und vertraut
wie die Helden des Dramas. Freilich für die Oper wäre Luther schwerlich
als Held zu verwenden. Seiner hohen Idealität würde durch den für diese
Kunstgattung unentbehrlichen Realismus des Bühneuapparats der Blüteustaub
abgestreift werden. Überhaupt würden sich hier die Schwierigkeiten, welche
Julian Schmidt gegen die dramatische Verarbeitung dieses Stoffes hervorhob,
nur wiederhole". Dagegen dürfte sich innerhalb der musikalischen Kunstformen
eine Aushilfe darbieten, nämlich das sozusagen ideelle Drama, das Konzert¬
drama, von alters her Oratorium genannt. Dies sieht von der szenischen Dar¬
stellung ab, hat es also nicht mit der sinnliche", sondern nur mit der innerlichen
Anschauung zu thun, bei der die Phantasie des Hörers den freiesten Spielraum
behält. Ihm ist kein Stoff zu ideal und zu erhaben. Ebenso wenig wird ihm
leicht einer zu komplizirt sein. Der Oratoriendichter steht seinem Gegenstande
sehr frei gegenüber. Er kann die Vorteile des Dramas mit den Bequemlich¬
keiten des Epos vereinigen. Wohl ist es auch seine Aufgabe, eine bestimmte,
einzelne Handlung in die Mitte zu stellen, in welcher alle sonstigen Einzelheiten
wie in einem Brennpunkt zusammentreffe". Aber dieselbe" brauchen nicht so
eng an den einen Zentralkreis angeschlossen zu werden. Entlegenes läßt sich zu¬
sammenknüpfen, ja zeitlich und räumlich bewegtes ins Spiel ziehen. Kurz,
der Dichter kann hier, auch ohne gerade das dramatische Genie eines Shake¬
speare zu haben, "aus der ganzen Breite einer Heldenlaufbahn die hervor¬
stechendsten Charakterzüge auswählen und mit gänzlicher Hintansetzung der
Zeitbestimmungen ein anschauliches Charaktergemälde darstellen." Ob ein Kunst-


Zur Lutherfeitt.

deutschen Volkskirche geworden ist, muß auch ohne Anstand der Begründer der
deutschen Musik genannt werden. Denn das ist er geworden durch das Lied
»Ein' feste Burg,« das zündend in das Volksleben und den Volksgeist einschlug,
ebenso wie durch die wuchtige Persönlichkeit, welche er für die Tonkunst einsetzte,
um ihr den Ehrenplatz im deutschen Gemüt und Volksleben, in Kirche, Schule
und Haus zu sichern. So ist er der geistige Ahn des großen Sebastian Bach
geworden."

Daß zuni Jubelfeste gerade dieses Mannes aller Glanz und Schmuck auf¬
geboten werden muß, dessen die musikalischen Ausdrucksmittel fähig sind, ist
klar. So wird man denn auch überall auf musikalische Aufführungen bedacht
fein. Es fragt sich nur, was man aufführen soll. Dankhymnen und Cantaten,
und wäre es selbst S. Bachs Cantate über „Ein' feste Burg," werden der Ab¬
sicht nur unvollkommen genügen. Nur allgemeine, mehr oder weniger unbestimmte
Empfindungen werden ihr Ergebnis bilden, nicht aber eine konkrete Anschauung
von der eigenartigen Persönlichkeit, worauf es doch vor allen Dingen ankommt.
Und doch hat die Tonkunst eben für diesen Zweck die ausgiebigsten, förderlichsten
Formen zu ihrer Verfügung. Wie leben nicht die musikalischen Gestalten unsrer
klassischen Opern in der Seele jedes Deutschen, der sich nur irgend über die
Alltagssphärc erhoben hat! Sie sind uns ebenso gegenwärtig und vertraut
wie die Helden des Dramas. Freilich für die Oper wäre Luther schwerlich
als Held zu verwenden. Seiner hohen Idealität würde durch den für diese
Kunstgattung unentbehrlichen Realismus des Bühneuapparats der Blüteustaub
abgestreift werden. Überhaupt würden sich hier die Schwierigkeiten, welche
Julian Schmidt gegen die dramatische Verarbeitung dieses Stoffes hervorhob,
nur wiederhole». Dagegen dürfte sich innerhalb der musikalischen Kunstformen
eine Aushilfe darbieten, nämlich das sozusagen ideelle Drama, das Konzert¬
drama, von alters her Oratorium genannt. Dies sieht von der szenischen Dar¬
stellung ab, hat es also nicht mit der sinnliche», sondern nur mit der innerlichen
Anschauung zu thun, bei der die Phantasie des Hörers den freiesten Spielraum
behält. Ihm ist kein Stoff zu ideal und zu erhaben. Ebenso wenig wird ihm
leicht einer zu komplizirt sein. Der Oratoriendichter steht seinem Gegenstande
sehr frei gegenüber. Er kann die Vorteile des Dramas mit den Bequemlich¬
keiten des Epos vereinigen. Wohl ist es auch seine Aufgabe, eine bestimmte,
einzelne Handlung in die Mitte zu stellen, in welcher alle sonstigen Einzelheiten
wie in einem Brennpunkt zusammentreffe». Aber dieselbe» brauchen nicht so
eng an den einen Zentralkreis angeschlossen zu werden. Entlegenes läßt sich zu¬
sammenknüpfen, ja zeitlich und räumlich bewegtes ins Spiel ziehen. Kurz,
der Dichter kann hier, auch ohne gerade das dramatische Genie eines Shake¬
speare zu haben, „aus der ganzen Breite einer Heldenlaufbahn die hervor¬
stechendsten Charakterzüge auswählen und mit gänzlicher Hintansetzung der
Zeitbestimmungen ein anschauliches Charaktergemälde darstellen." Ob ein Kunst-


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[0402] Zur Lutherfeitt. deutschen Volkskirche geworden ist, muß auch ohne Anstand der Begründer der deutschen Musik genannt werden. Denn das ist er geworden durch das Lied »Ein' feste Burg,« das zündend in das Volksleben und den Volksgeist einschlug, ebenso wie durch die wuchtige Persönlichkeit, welche er für die Tonkunst einsetzte, um ihr den Ehrenplatz im deutschen Gemüt und Volksleben, in Kirche, Schule und Haus zu sichern. So ist er der geistige Ahn des großen Sebastian Bach geworden." Daß zuni Jubelfeste gerade dieses Mannes aller Glanz und Schmuck auf¬ geboten werden muß, dessen die musikalischen Ausdrucksmittel fähig sind, ist klar. So wird man denn auch überall auf musikalische Aufführungen bedacht fein. Es fragt sich nur, was man aufführen soll. Dankhymnen und Cantaten, und wäre es selbst S. Bachs Cantate über „Ein' feste Burg," werden der Ab¬ sicht nur unvollkommen genügen. Nur allgemeine, mehr oder weniger unbestimmte Empfindungen werden ihr Ergebnis bilden, nicht aber eine konkrete Anschauung von der eigenartigen Persönlichkeit, worauf es doch vor allen Dingen ankommt. Und doch hat die Tonkunst eben für diesen Zweck die ausgiebigsten, förderlichsten Formen zu ihrer Verfügung. Wie leben nicht die musikalischen Gestalten unsrer klassischen Opern in der Seele jedes Deutschen, der sich nur irgend über die Alltagssphärc erhoben hat! Sie sind uns ebenso gegenwärtig und vertraut wie die Helden des Dramas. Freilich für die Oper wäre Luther schwerlich als Held zu verwenden. Seiner hohen Idealität würde durch den für diese Kunstgattung unentbehrlichen Realismus des Bühneuapparats der Blüteustaub abgestreift werden. Überhaupt würden sich hier die Schwierigkeiten, welche Julian Schmidt gegen die dramatische Verarbeitung dieses Stoffes hervorhob, nur wiederhole». Dagegen dürfte sich innerhalb der musikalischen Kunstformen eine Aushilfe darbieten, nämlich das sozusagen ideelle Drama, das Konzert¬ drama, von alters her Oratorium genannt. Dies sieht von der szenischen Dar¬ stellung ab, hat es also nicht mit der sinnliche», sondern nur mit der innerlichen Anschauung zu thun, bei der die Phantasie des Hörers den freiesten Spielraum behält. Ihm ist kein Stoff zu ideal und zu erhaben. Ebenso wenig wird ihm leicht einer zu komplizirt sein. Der Oratoriendichter steht seinem Gegenstande sehr frei gegenüber. Er kann die Vorteile des Dramas mit den Bequemlich¬ keiten des Epos vereinigen. Wohl ist es auch seine Aufgabe, eine bestimmte, einzelne Handlung in die Mitte zu stellen, in welcher alle sonstigen Einzelheiten wie in einem Brennpunkt zusammentreffe». Aber dieselbe» brauchen nicht so eng an den einen Zentralkreis angeschlossen zu werden. Entlegenes läßt sich zu¬ sammenknüpfen, ja zeitlich und räumlich bewegtes ins Spiel ziehen. Kurz, der Dichter kann hier, auch ohne gerade das dramatische Genie eines Shake¬ speare zu haben, „aus der ganzen Breite einer Heldenlaufbahn die hervor¬ stechendsten Charakterzüge auswählen und mit gänzlicher Hintansetzung der Zeitbestimmungen ein anschauliches Charaktergemälde darstellen." Ob ein Kunst-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/402>, abgerufen am 24.08.2024.