Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Vie Brogliesche Jnterpellation und die Abrüstungsfrage.

Die letzten Worte waren ein Zoll an das Bedürfnis der Franzosen nach
schönstehender Pose. Die friedlichen Erklärungen des Ministers dagegen waren
dankenswert, da man sie für aufrichtig halten darf. Der Interpellant konnte
sich als abgeführt, seinen eigentlichen Zweck als vereitelt betrachten. Seine Ver¬
teidigung war schwächlich bis auf die allerdings richtige Bemerkung: "Schweigen
schließt Vertrauen auf sich selbst ein, und dieses Selbstvertrauen ist nicht vor¬
handen, und zwar in großem Maße deshalb nicht, weil die sich fortwährend
folgenden Ministerien immer ein andres politisches Programm haben als ihre
Vorgänger." Übertreibung dagegen war der Schlußsatz der Verteidigungsrede
des Herzogs, worin er sagte: "Vor einigen Tagen stellte Herr Bocher einen
Vergleich zwischen dem jetzigen Zustande unsrer Finanzen und dem von 1848
an. Ich kann denselben Vergleich vom diplomatischen Gesichtspunkte aus an¬
stellen. In den Finanzen wie in der Diplomatie habt ihr Republikaner alles
umgeworfen und zerstört."

Die gesperrten Worte in der Rede Challemel-Lacours sehen, verglichen mit
andern, fast aus, als ob der Minister erwarte, von einer Gruppe von Mächten
zu einer Verminderung der gewaltigen Kriegsmacht aufgefordert zu werden, die
Frankreich sich seit 1871 geschaffen hat. Die Reise Graf Schuwaloffs nach
Paris, auf der er Berlin berührte und eine Unterredung mit dem Fürsten
Bismarck hatte, ist mit einem derartigen Plane in Verbindung gebracht worden,
und Andrieux hat sich offen zu der Meinung bekannt, demnächst werde Frank¬
reich direkt ersucht werden, zu entwaffnen. Andre gehen zwar nicht so weit,
nehmen aber an, daß durch den Beitritt verschiedner Mächte zu der Friedens¬
liga Deutschlands, Österreich-Ungarns und Italiens, der auch Rußland sich an¬
zuschließen im Begriff stehe, ein moralischer Druck in jener Richtung geübt
werden würde, und vermuten, daß Schuwaloffs Sendung hiermit im Zusammen¬
hange stehe. Sie glauben zu wissen, daß er beauftragt sei, der französischen
Regierung die Versicherung zu geben, daß der Beitritt Rußlands zur Tripel¬
allianz keinerlei Wirkung auf die vortrefflichen Beziehungen haben werde, die
jetzt zwischen beiden Ländern bestehen, denn den Gliedern des Bundes lägen
alle offensiven Absichten durchaus fern. Schließlich behaupteten diese Wohl¬
unterrichteten, die durch sieben Schlüssellöcher hintereinander gehorcht zu haben
scheinen, daß Schweden und Norwegen auf dem Punkte stehen, der Friedensliga
gleichfalls beizutreten, daß England sie mit günstigen Augen betrachtet, und daß
Spanien noch zwischen Anschluß und Nichtanschluß schwankt, wobei sie darauf
hinwiesen, daß die Offiziösen in Berlin neuerdings wiederholt angedeutet haben,
der spanische Finanzminister sei bei seinem Widerstande gegen die Erneuerung
des deutsch-spanischen Handelsvertrages von rein politischen Beweggründen aus¬
gegangen. Es sei, meinen die Herren, nicht leicht herauszufinden, welche andern
Beweggründe damit gemeint sein könnten als die Furcht, Frankreich zu mi߬
fallen.


Vie Brogliesche Jnterpellation und die Abrüstungsfrage.

Die letzten Worte waren ein Zoll an das Bedürfnis der Franzosen nach
schönstehender Pose. Die friedlichen Erklärungen des Ministers dagegen waren
dankenswert, da man sie für aufrichtig halten darf. Der Interpellant konnte
sich als abgeführt, seinen eigentlichen Zweck als vereitelt betrachten. Seine Ver¬
teidigung war schwächlich bis auf die allerdings richtige Bemerkung: „Schweigen
schließt Vertrauen auf sich selbst ein, und dieses Selbstvertrauen ist nicht vor¬
handen, und zwar in großem Maße deshalb nicht, weil die sich fortwährend
folgenden Ministerien immer ein andres politisches Programm haben als ihre
Vorgänger." Übertreibung dagegen war der Schlußsatz der Verteidigungsrede
des Herzogs, worin er sagte: „Vor einigen Tagen stellte Herr Bocher einen
Vergleich zwischen dem jetzigen Zustande unsrer Finanzen und dem von 1848
an. Ich kann denselben Vergleich vom diplomatischen Gesichtspunkte aus an¬
stellen. In den Finanzen wie in der Diplomatie habt ihr Republikaner alles
umgeworfen und zerstört."

Die gesperrten Worte in der Rede Challemel-Lacours sehen, verglichen mit
andern, fast aus, als ob der Minister erwarte, von einer Gruppe von Mächten
zu einer Verminderung der gewaltigen Kriegsmacht aufgefordert zu werden, die
Frankreich sich seit 1871 geschaffen hat. Die Reise Graf Schuwaloffs nach
Paris, auf der er Berlin berührte und eine Unterredung mit dem Fürsten
Bismarck hatte, ist mit einem derartigen Plane in Verbindung gebracht worden,
und Andrieux hat sich offen zu der Meinung bekannt, demnächst werde Frank¬
reich direkt ersucht werden, zu entwaffnen. Andre gehen zwar nicht so weit,
nehmen aber an, daß durch den Beitritt verschiedner Mächte zu der Friedens¬
liga Deutschlands, Österreich-Ungarns und Italiens, der auch Rußland sich an¬
zuschließen im Begriff stehe, ein moralischer Druck in jener Richtung geübt
werden würde, und vermuten, daß Schuwaloffs Sendung hiermit im Zusammen¬
hange stehe. Sie glauben zu wissen, daß er beauftragt sei, der französischen
Regierung die Versicherung zu geben, daß der Beitritt Rußlands zur Tripel¬
allianz keinerlei Wirkung auf die vortrefflichen Beziehungen haben werde, die
jetzt zwischen beiden Ländern bestehen, denn den Gliedern des Bundes lägen
alle offensiven Absichten durchaus fern. Schließlich behaupteten diese Wohl¬
unterrichteten, die durch sieben Schlüssellöcher hintereinander gehorcht zu haben
scheinen, daß Schweden und Norwegen auf dem Punkte stehen, der Friedensliga
gleichfalls beizutreten, daß England sie mit günstigen Augen betrachtet, und daß
Spanien noch zwischen Anschluß und Nichtanschluß schwankt, wobei sie darauf
hinwiesen, daß die Offiziösen in Berlin neuerdings wiederholt angedeutet haben,
der spanische Finanzminister sei bei seinem Widerstande gegen die Erneuerung
des deutsch-spanischen Handelsvertrages von rein politischen Beweggründen aus¬
gegangen. Es sei, meinen die Herren, nicht leicht herauszufinden, welche andern
Beweggründe damit gemeint sein könnten als die Furcht, Frankreich zu mi߬
fallen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0372" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153121"/>
          <fw type="header" place="top"> Vie Brogliesche Jnterpellation und die Abrüstungsfrage.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1460"> Die letzten Worte waren ein Zoll an das Bedürfnis der Franzosen nach<lb/>
schönstehender Pose. Die friedlichen Erklärungen des Ministers dagegen waren<lb/>
dankenswert, da man sie für aufrichtig halten darf. Der Interpellant konnte<lb/>
sich als abgeführt, seinen eigentlichen Zweck als vereitelt betrachten. Seine Ver¬<lb/>
teidigung war schwächlich bis auf die allerdings richtige Bemerkung: &#x201E;Schweigen<lb/>
schließt Vertrauen auf sich selbst ein, und dieses Selbstvertrauen ist nicht vor¬<lb/>
handen, und zwar in großem Maße deshalb nicht, weil die sich fortwährend<lb/>
folgenden Ministerien immer ein andres politisches Programm haben als ihre<lb/>
Vorgänger." Übertreibung dagegen war der Schlußsatz der Verteidigungsrede<lb/>
des Herzogs, worin er sagte: &#x201E;Vor einigen Tagen stellte Herr Bocher einen<lb/>
Vergleich zwischen dem jetzigen Zustande unsrer Finanzen und dem von 1848<lb/>
an. Ich kann denselben Vergleich vom diplomatischen Gesichtspunkte aus an¬<lb/>
stellen. In den Finanzen wie in der Diplomatie habt ihr Republikaner alles<lb/>
umgeworfen und zerstört."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1461"> Die gesperrten Worte in der Rede Challemel-Lacours sehen, verglichen mit<lb/>
andern, fast aus, als ob der Minister erwarte, von einer Gruppe von Mächten<lb/>
zu einer Verminderung der gewaltigen Kriegsmacht aufgefordert zu werden, die<lb/>
Frankreich sich seit 1871 geschaffen hat. Die Reise Graf Schuwaloffs nach<lb/>
Paris, auf der er Berlin berührte und eine Unterredung mit dem Fürsten<lb/>
Bismarck hatte, ist mit einem derartigen Plane in Verbindung gebracht worden,<lb/>
und Andrieux hat sich offen zu der Meinung bekannt, demnächst werde Frank¬<lb/>
reich direkt ersucht werden, zu entwaffnen. Andre gehen zwar nicht so weit,<lb/>
nehmen aber an, daß durch den Beitritt verschiedner Mächte zu der Friedens¬<lb/>
liga Deutschlands, Österreich-Ungarns und Italiens, der auch Rußland sich an¬<lb/>
zuschließen im Begriff stehe, ein moralischer Druck in jener Richtung geübt<lb/>
werden würde, und vermuten, daß Schuwaloffs Sendung hiermit im Zusammen¬<lb/>
hange stehe. Sie glauben zu wissen, daß er beauftragt sei, der französischen<lb/>
Regierung die Versicherung zu geben, daß der Beitritt Rußlands zur Tripel¬<lb/>
allianz keinerlei Wirkung auf die vortrefflichen Beziehungen haben werde, die<lb/>
jetzt zwischen beiden Ländern bestehen, denn den Gliedern des Bundes lägen<lb/>
alle offensiven Absichten durchaus fern. Schließlich behaupteten diese Wohl¬<lb/>
unterrichteten, die durch sieben Schlüssellöcher hintereinander gehorcht zu haben<lb/>
scheinen, daß Schweden und Norwegen auf dem Punkte stehen, der Friedensliga<lb/>
gleichfalls beizutreten, daß England sie mit günstigen Augen betrachtet, und daß<lb/>
Spanien noch zwischen Anschluß und Nichtanschluß schwankt, wobei sie darauf<lb/>
hinwiesen, daß die Offiziösen in Berlin neuerdings wiederholt angedeutet haben,<lb/>
der spanische Finanzminister sei bei seinem Widerstande gegen die Erneuerung<lb/>
des deutsch-spanischen Handelsvertrages von rein politischen Beweggründen aus¬<lb/>
gegangen. Es sei, meinen die Herren, nicht leicht herauszufinden, welche andern<lb/>
Beweggründe damit gemeint sein könnten als die Furcht, Frankreich zu mi߬<lb/>
fallen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0372] Vie Brogliesche Jnterpellation und die Abrüstungsfrage. Die letzten Worte waren ein Zoll an das Bedürfnis der Franzosen nach schönstehender Pose. Die friedlichen Erklärungen des Ministers dagegen waren dankenswert, da man sie für aufrichtig halten darf. Der Interpellant konnte sich als abgeführt, seinen eigentlichen Zweck als vereitelt betrachten. Seine Ver¬ teidigung war schwächlich bis auf die allerdings richtige Bemerkung: „Schweigen schließt Vertrauen auf sich selbst ein, und dieses Selbstvertrauen ist nicht vor¬ handen, und zwar in großem Maße deshalb nicht, weil die sich fortwährend folgenden Ministerien immer ein andres politisches Programm haben als ihre Vorgänger." Übertreibung dagegen war der Schlußsatz der Verteidigungsrede des Herzogs, worin er sagte: „Vor einigen Tagen stellte Herr Bocher einen Vergleich zwischen dem jetzigen Zustande unsrer Finanzen und dem von 1848 an. Ich kann denselben Vergleich vom diplomatischen Gesichtspunkte aus an¬ stellen. In den Finanzen wie in der Diplomatie habt ihr Republikaner alles umgeworfen und zerstört." Die gesperrten Worte in der Rede Challemel-Lacours sehen, verglichen mit andern, fast aus, als ob der Minister erwarte, von einer Gruppe von Mächten zu einer Verminderung der gewaltigen Kriegsmacht aufgefordert zu werden, die Frankreich sich seit 1871 geschaffen hat. Die Reise Graf Schuwaloffs nach Paris, auf der er Berlin berührte und eine Unterredung mit dem Fürsten Bismarck hatte, ist mit einem derartigen Plane in Verbindung gebracht worden, und Andrieux hat sich offen zu der Meinung bekannt, demnächst werde Frank¬ reich direkt ersucht werden, zu entwaffnen. Andre gehen zwar nicht so weit, nehmen aber an, daß durch den Beitritt verschiedner Mächte zu der Friedens¬ liga Deutschlands, Österreich-Ungarns und Italiens, der auch Rußland sich an¬ zuschließen im Begriff stehe, ein moralischer Druck in jener Richtung geübt werden würde, und vermuten, daß Schuwaloffs Sendung hiermit im Zusammen¬ hange stehe. Sie glauben zu wissen, daß er beauftragt sei, der französischen Regierung die Versicherung zu geben, daß der Beitritt Rußlands zur Tripel¬ allianz keinerlei Wirkung auf die vortrefflichen Beziehungen haben werde, die jetzt zwischen beiden Ländern bestehen, denn den Gliedern des Bundes lägen alle offensiven Absichten durchaus fern. Schließlich behaupteten diese Wohl¬ unterrichteten, die durch sieben Schlüssellöcher hintereinander gehorcht zu haben scheinen, daß Schweden und Norwegen auf dem Punkte stehen, der Friedensliga gleichfalls beizutreten, daß England sie mit günstigen Augen betrachtet, und daß Spanien noch zwischen Anschluß und Nichtanschluß schwankt, wobei sie darauf hinwiesen, daß die Offiziösen in Berlin neuerdings wiederholt angedeutet haben, der spanische Finanzminister sei bei seinem Widerstande gegen die Erneuerung des deutsch-spanischen Handelsvertrages von rein politischen Beweggründen aus¬ gegangen. Es sei, meinen die Herren, nicht leicht herauszufinden, welche andern Beweggründe damit gemeint sein könnten als die Furcht, Frankreich zu mi߬ fallen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/372
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/372>, abgerufen am 22.07.2024.