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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Brogliesche Jnterpellation und die Abrüstungsfrage.

wie heute. Nun denn, damals verlautete nichts von Feindschaft gegen Frank¬
reich, und ich bin der festen Überzeugung, daß diese Annäherung Deutschlands,
Österreichs und Italiens von nicht sehr jungem Datum war. Ferner, hat sie
die Lage der Dinge irgendwie geändert? Ans welche besondre Macht zielte sie
ab? England, Rußland und die Türkei waren ebenso wie Frankreich davon
ausgeschlossen, und sowohl in Rom als in Pest hat man offen jede feindliche
Absicht gegen Frankreich in Abrede gestellt. Ich halte diese Ableugnungen für
aufrichtig. Ich kann an die Existenz einer solchen feindlichen Absicht nicht
glauben, da kein Staatsmann, kein Mensch, der im Besitze seiner gesunden Sinne
ist, glauben kann, Frankreich könne aus dem Rate Europas gestoßen werden.
Ließe sich irgendeine Macht durch unverständige Berechnung oder Leidenschaft
zu dem Gedanken an aggressives Vorgehen und zur Ausführung dieses Planes
verleiten, so würde sie die Aufgabe keineswegs leicht finden. Wir sind weder
beunruhigt noch getäuscht, wir nehmen eine Annäherung, die uns nicht bedroht,
nicht übel. Man hat erklärt, daß niemand davon träumt, unsre Sicherheit an¬
zugreifen, und ich bin mit dieser Erklärung vollständig zufriedengestellt. Ich
bedauere aber, daß ich uicht imstande bin, den Herzog de Broglie weiter auf¬
zuklären. Doch darf ich sagen, daß dieses Ereignis unsre Beziehungen zu den
Mächten weder verändert hat noch verändern wird. Herr de Broglie hat es
für passend gehalten, auf unsre Ohnmacht und Vereinzelung hinzudeuten.
Wohlan, wir streben nach keinem Bündnisse. Wir bemühen uns nur, mit den
Mächten auf gutem Fuße zu leben. Wir arbeiten mit Geduld, Offenherzigkeit
und Ehrlichkeit auf dieses Ziel hin und werden damit fortfahren; aber wir
werden niemand gestatten, von uns etwas zu verlangen, was sich mit unsrer
Würde nicht verträgt. Indem wir fortfahren, die Rechte aller zu achten, werden
wir die unsrigen nicht aufgeben, und wir sind überzeugt, daß wir gleiche Ge¬
rechtigkeit beanspruchen können. Wenn aber Frankreich nicht eifersüchtig ist, so
ist es deshalb nicht unvorsichtig. Ein Land wie das unsre, welches, besiegt,
sich wieder aufgerichtet hat, ein altes Land mit einer geographischen
Lage, die es nötigt, eine starke Armee ans den Beinen zu halten,
hat die Verpflichtung, stets auf der Wacht zu sein. Wir haben auch mit einem
gewissen Maße von Mißtrauen zu kämpfen, aber dieses wird hoffentlich im Ver¬
laufe der Zeit überwunden werden. Ich hoffe, daß die Offenheit und Aufrichtig¬
keit unsrer Politik dieses Gefühl modifiziren wird. Ich habe nicht die Absicht,
mich ans Spekulationen über die Zukunft einzulassen. Nach all dem Gerede,
das während der letzten drei oder vier Wochen über die Tripelallianz ergangen
ist, habe ich Grund zu glauben, daß Frankreich diese Erörterung nicht gewünscht
hat. Das Land ist wachsam, aber nicht ängstlich, es macht sich nichts aus
fruchtlosen Debatten, es weiß sehr wohl, daß zu gewissen Zeiten Schweigen
der beste Weg ist. Schweigen allein ist stolz. Schweigen allein ist mit Würde
bekleidet."


Die Brogliesche Jnterpellation und die Abrüstungsfrage.

wie heute. Nun denn, damals verlautete nichts von Feindschaft gegen Frank¬
reich, und ich bin der festen Überzeugung, daß diese Annäherung Deutschlands,
Österreichs und Italiens von nicht sehr jungem Datum war. Ferner, hat sie
die Lage der Dinge irgendwie geändert? Ans welche besondre Macht zielte sie
ab? England, Rußland und die Türkei waren ebenso wie Frankreich davon
ausgeschlossen, und sowohl in Rom als in Pest hat man offen jede feindliche
Absicht gegen Frankreich in Abrede gestellt. Ich halte diese Ableugnungen für
aufrichtig. Ich kann an die Existenz einer solchen feindlichen Absicht nicht
glauben, da kein Staatsmann, kein Mensch, der im Besitze seiner gesunden Sinne
ist, glauben kann, Frankreich könne aus dem Rate Europas gestoßen werden.
Ließe sich irgendeine Macht durch unverständige Berechnung oder Leidenschaft
zu dem Gedanken an aggressives Vorgehen und zur Ausführung dieses Planes
verleiten, so würde sie die Aufgabe keineswegs leicht finden. Wir sind weder
beunruhigt noch getäuscht, wir nehmen eine Annäherung, die uns nicht bedroht,
nicht übel. Man hat erklärt, daß niemand davon träumt, unsre Sicherheit an¬
zugreifen, und ich bin mit dieser Erklärung vollständig zufriedengestellt. Ich
bedauere aber, daß ich uicht imstande bin, den Herzog de Broglie weiter auf¬
zuklären. Doch darf ich sagen, daß dieses Ereignis unsre Beziehungen zu den
Mächten weder verändert hat noch verändern wird. Herr de Broglie hat es
für passend gehalten, auf unsre Ohnmacht und Vereinzelung hinzudeuten.
Wohlan, wir streben nach keinem Bündnisse. Wir bemühen uns nur, mit den
Mächten auf gutem Fuße zu leben. Wir arbeiten mit Geduld, Offenherzigkeit
und Ehrlichkeit auf dieses Ziel hin und werden damit fortfahren; aber wir
werden niemand gestatten, von uns etwas zu verlangen, was sich mit unsrer
Würde nicht verträgt. Indem wir fortfahren, die Rechte aller zu achten, werden
wir die unsrigen nicht aufgeben, und wir sind überzeugt, daß wir gleiche Ge¬
rechtigkeit beanspruchen können. Wenn aber Frankreich nicht eifersüchtig ist, so
ist es deshalb nicht unvorsichtig. Ein Land wie das unsre, welches, besiegt,
sich wieder aufgerichtet hat, ein altes Land mit einer geographischen
Lage, die es nötigt, eine starke Armee ans den Beinen zu halten,
hat die Verpflichtung, stets auf der Wacht zu sein. Wir haben auch mit einem
gewissen Maße von Mißtrauen zu kämpfen, aber dieses wird hoffentlich im Ver¬
laufe der Zeit überwunden werden. Ich hoffe, daß die Offenheit und Aufrichtig¬
keit unsrer Politik dieses Gefühl modifiziren wird. Ich habe nicht die Absicht,
mich ans Spekulationen über die Zukunft einzulassen. Nach all dem Gerede,
das während der letzten drei oder vier Wochen über die Tripelallianz ergangen
ist, habe ich Grund zu glauben, daß Frankreich diese Erörterung nicht gewünscht
hat. Das Land ist wachsam, aber nicht ängstlich, es macht sich nichts aus
fruchtlosen Debatten, es weiß sehr wohl, daß zu gewissen Zeiten Schweigen
der beste Weg ist. Schweigen allein ist stolz. Schweigen allein ist mit Würde
bekleidet."


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[0371] Die Brogliesche Jnterpellation und die Abrüstungsfrage. wie heute. Nun denn, damals verlautete nichts von Feindschaft gegen Frank¬ reich, und ich bin der festen Überzeugung, daß diese Annäherung Deutschlands, Österreichs und Italiens von nicht sehr jungem Datum war. Ferner, hat sie die Lage der Dinge irgendwie geändert? Ans welche besondre Macht zielte sie ab? England, Rußland und die Türkei waren ebenso wie Frankreich davon ausgeschlossen, und sowohl in Rom als in Pest hat man offen jede feindliche Absicht gegen Frankreich in Abrede gestellt. Ich halte diese Ableugnungen für aufrichtig. Ich kann an die Existenz einer solchen feindlichen Absicht nicht glauben, da kein Staatsmann, kein Mensch, der im Besitze seiner gesunden Sinne ist, glauben kann, Frankreich könne aus dem Rate Europas gestoßen werden. Ließe sich irgendeine Macht durch unverständige Berechnung oder Leidenschaft zu dem Gedanken an aggressives Vorgehen und zur Ausführung dieses Planes verleiten, so würde sie die Aufgabe keineswegs leicht finden. Wir sind weder beunruhigt noch getäuscht, wir nehmen eine Annäherung, die uns nicht bedroht, nicht übel. Man hat erklärt, daß niemand davon träumt, unsre Sicherheit an¬ zugreifen, und ich bin mit dieser Erklärung vollständig zufriedengestellt. Ich bedauere aber, daß ich uicht imstande bin, den Herzog de Broglie weiter auf¬ zuklären. Doch darf ich sagen, daß dieses Ereignis unsre Beziehungen zu den Mächten weder verändert hat noch verändern wird. Herr de Broglie hat es für passend gehalten, auf unsre Ohnmacht und Vereinzelung hinzudeuten. Wohlan, wir streben nach keinem Bündnisse. Wir bemühen uns nur, mit den Mächten auf gutem Fuße zu leben. Wir arbeiten mit Geduld, Offenherzigkeit und Ehrlichkeit auf dieses Ziel hin und werden damit fortfahren; aber wir werden niemand gestatten, von uns etwas zu verlangen, was sich mit unsrer Würde nicht verträgt. Indem wir fortfahren, die Rechte aller zu achten, werden wir die unsrigen nicht aufgeben, und wir sind überzeugt, daß wir gleiche Ge¬ rechtigkeit beanspruchen können. Wenn aber Frankreich nicht eifersüchtig ist, so ist es deshalb nicht unvorsichtig. Ein Land wie das unsre, welches, besiegt, sich wieder aufgerichtet hat, ein altes Land mit einer geographischen Lage, die es nötigt, eine starke Armee ans den Beinen zu halten, hat die Verpflichtung, stets auf der Wacht zu sein. Wir haben auch mit einem gewissen Maße von Mißtrauen zu kämpfen, aber dieses wird hoffentlich im Ver¬ laufe der Zeit überwunden werden. Ich hoffe, daß die Offenheit und Aufrichtig¬ keit unsrer Politik dieses Gefühl modifiziren wird. Ich habe nicht die Absicht, mich ans Spekulationen über die Zukunft einzulassen. Nach all dem Gerede, das während der letzten drei oder vier Wochen über die Tripelallianz ergangen ist, habe ich Grund zu glauben, daß Frankreich diese Erörterung nicht gewünscht hat. Das Land ist wachsam, aber nicht ängstlich, es macht sich nichts aus fruchtlosen Debatten, es weiß sehr wohl, daß zu gewissen Zeiten Schweigen der beste Weg ist. Schweigen allein ist stolz. Schweigen allein ist mit Würde bekleidet."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/371>, abgerufen am 03.07.2024.