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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Brogliesche Jnterpellation und die Abrüstnngsfrcige.

Wir lassen es dahingestellt, wie viel an diesen Vermutungen ist und ob
sie überhaupt irgend welche Begründung in Thatsachen haben. Daß eine Ab¬
rüstung in allen Großstaaten Europas im allgemeinen zu wünschen sei, mag
zugestanden werden, aber das Wie der Ausführung des Gedankens ist die
Hauptsache, und dieses Wie ist angesichts der vorhandenen Schwierigkeiten bis
jetzt für gewöhnliche Augen unerfindlich und selbst ungewöhnlichen vermutlich
noch nicht genügend klar geworden.

Die Abrüstungsfrage ist schon oft aufs Tapet gebracht worden. Die
Gründe für eine Verminderung der Kriegsbudgets in den verschiedenen Ländern
ringsum lassen sich auf den ersten Blick sehr wohl hören. Unter dem heutigen
System starker Einstellung von Arbeitskräften in die Heere und kostspieliger
militärischer Einrichtungen giebt die Welt zur Vorbereitung auf Kriege fast
ebenso große Summen aus als früher bei der Führung von Kriegen selbst.
So scheint es, daß der Friede uns Europäern des Kontinents fast so teuer
zu stehen kommt als der Krieg, und wenn jener ohne die Schrecken ist, welche
dieser im Gefolge hat, so fehlen ihm andrerseits die geistige Erhebung, der
Ruhm und die Möglichkeit von Kompensationen, welche ein Krieg verheißt.
Denn abgesehen von Eroberungen und andern äußern Vorteilen, die dem Sieger
zu Teil werden, hinterläßt ein großer Krieg, wie die Erfahrung in den letzten
Jahrzehnten gezeigt hat, mit der Erinnerung an seine Szenen voll Blut und
Zerstörung, an seine Opfer an Menschen und Geld und an seine Einwirkung
auf Handel und Gewerbe in den Völkern und Regierungen stets eine Sehnsucht
nach Beseitigung der Ursachen einer etwaigen Wiederkehr und damit eine ge¬
wisse Sicherung des Friedens, Ein bewaffneter Friede dagegen hat nichts,
was seine Verluste aufwöge. Höchstens könnte man mit Fug sagen, daß eine
weit ausgedehnte militärische Erziehung wohlthätig für den Charakter der
Völker sei, daß sie, wenn durch sie der allgemeinen Arbeit Kräfte entzogen
werden, dies dadurch wieder einbringt, daß sie breite Schichten der Bevölkerung
um Sauberkeit, Pünktlichkeit und straffen Gehorsam gewöhnt, daß viele in ihr
die Schule fortsetzen, daß andre hier Liebe zu König und Vaterland lernen,
und daß mit alledem eine Macht geschaffen wird, welche einen vortrefflichen
Damm gegen extrem liberale staatsfeindliche Lehren und Bestrebungen zu bilden
geeignet ist.

Der Krieg hat eine sehr ernste Folge: er macht die öffentliche Meinung
gleichgiltig gegen alles andre; Klagen über Mißbräuche, Gebrechen, Mängel
Verhalten dann ungehört, und von Reformen ist nicht die Rede, Vom be¬
waffneten Frieden gilt das zwar nur insofern, daß die Rüstungen und deren
Instandhaltung und stete Verbesserung große Ausgaben verursachen, sodaß andere
Bedürfnisse teilweise nicht befriedigt werden können, aber diese Verkürzung wird
doch bisweilen recht schwer empfunden.

Weiter läßt sich gegen das Bestreben der kontinentalen Staaten Europas,
sichs einander an kriegerischen Einrichtungen gleich zu thun, folgendes sagen.


Die Brogliesche Jnterpellation und die Abrüstnngsfrcige.

Wir lassen es dahingestellt, wie viel an diesen Vermutungen ist und ob
sie überhaupt irgend welche Begründung in Thatsachen haben. Daß eine Ab¬
rüstung in allen Großstaaten Europas im allgemeinen zu wünschen sei, mag
zugestanden werden, aber das Wie der Ausführung des Gedankens ist die
Hauptsache, und dieses Wie ist angesichts der vorhandenen Schwierigkeiten bis
jetzt für gewöhnliche Augen unerfindlich und selbst ungewöhnlichen vermutlich
noch nicht genügend klar geworden.

Die Abrüstungsfrage ist schon oft aufs Tapet gebracht worden. Die
Gründe für eine Verminderung der Kriegsbudgets in den verschiedenen Ländern
ringsum lassen sich auf den ersten Blick sehr wohl hören. Unter dem heutigen
System starker Einstellung von Arbeitskräften in die Heere und kostspieliger
militärischer Einrichtungen giebt die Welt zur Vorbereitung auf Kriege fast
ebenso große Summen aus als früher bei der Führung von Kriegen selbst.
So scheint es, daß der Friede uns Europäern des Kontinents fast so teuer
zu stehen kommt als der Krieg, und wenn jener ohne die Schrecken ist, welche
dieser im Gefolge hat, so fehlen ihm andrerseits die geistige Erhebung, der
Ruhm und die Möglichkeit von Kompensationen, welche ein Krieg verheißt.
Denn abgesehen von Eroberungen und andern äußern Vorteilen, die dem Sieger
zu Teil werden, hinterläßt ein großer Krieg, wie die Erfahrung in den letzten
Jahrzehnten gezeigt hat, mit der Erinnerung an seine Szenen voll Blut und
Zerstörung, an seine Opfer an Menschen und Geld und an seine Einwirkung
auf Handel und Gewerbe in den Völkern und Regierungen stets eine Sehnsucht
nach Beseitigung der Ursachen einer etwaigen Wiederkehr und damit eine ge¬
wisse Sicherung des Friedens, Ein bewaffneter Friede dagegen hat nichts,
was seine Verluste aufwöge. Höchstens könnte man mit Fug sagen, daß eine
weit ausgedehnte militärische Erziehung wohlthätig für den Charakter der
Völker sei, daß sie, wenn durch sie der allgemeinen Arbeit Kräfte entzogen
werden, dies dadurch wieder einbringt, daß sie breite Schichten der Bevölkerung
um Sauberkeit, Pünktlichkeit und straffen Gehorsam gewöhnt, daß viele in ihr
die Schule fortsetzen, daß andre hier Liebe zu König und Vaterland lernen,
und daß mit alledem eine Macht geschaffen wird, welche einen vortrefflichen
Damm gegen extrem liberale staatsfeindliche Lehren und Bestrebungen zu bilden
geeignet ist.

Der Krieg hat eine sehr ernste Folge: er macht die öffentliche Meinung
gleichgiltig gegen alles andre; Klagen über Mißbräuche, Gebrechen, Mängel
Verhalten dann ungehört, und von Reformen ist nicht die Rede, Vom be¬
waffneten Frieden gilt das zwar nur insofern, daß die Rüstungen und deren
Instandhaltung und stete Verbesserung große Ausgaben verursachen, sodaß andere
Bedürfnisse teilweise nicht befriedigt werden können, aber diese Verkürzung wird
doch bisweilen recht schwer empfunden.

Weiter läßt sich gegen das Bestreben der kontinentalen Staaten Europas,
sichs einander an kriegerischen Einrichtungen gleich zu thun, folgendes sagen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/373>, abgerufen am 22.07.2024.