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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Brogliesche Jnterpellation und die Abrüstungsfrage.

so habe Frankreich als die dabei ganz besonders interessirte Partei unzweifel¬
haft das Recht, zu erfahren, wie es mit der Angelegenheit eigentlich stehe. Die
parlamentarische Republik dürfe vor einer vollständigen Klarlegung des Gegen¬
standes nicht zurückschrecken. Die Opposition sei berechtigt, eine solche zu fordern,
die Regierung verpflichtet, sie zu geben. Sollte das Ministerium sich weigern
zu antworten, so würde man daraus den Schluß ziehen können, daß die Frei¬
heit der Tribüne in monarchisch regierten Ländern größer als in republikanischen
sei. Nach einem Hinweise auf den angeblich unsichern Gang der europäischen
Politik seit dem russisch-türkischen Kriege kam der Redner auf den Charakter
der Tripelallianz zu sprechen, wobei er bezweifeln wollte, daß derselbe ein rein
defensiver sei, da der Minister selbst einmal gesagt habe, die fremden Mächte
seien von einem feindseligen Geiste gegen Frankreich beseelt. Früher sei des
österreichisch-deutschen Bündnisses gedacht worden, und dabei habe das damalige
Ministerium behauptet, daß ein Einverständnis zwischen den mitteleuropäischen
Mächten bestehen möge, ein Bündnis im strengen Wortsinne aber nicht existire.
Jetzt sei Italien zu der Gruppe hinzugetreten, könne da die jetzige Regierung
in Abrede stellen, daß sie dies einigermaßen beängstige? Frankreich sei über¬
haupt isolirt, da es auch mit England auseinandergekommen. Der Herzog schloß
mit einer Bemerkung über die Kolonialpolitik des Kabinets und ermahnte das¬
selbe, vorsichtig zu sein, so lange es noch Zeit sei.

Der Minister erwiederte zunächst, daß er nicht verstehe, wie man ihn um
Aufschluß über eine Sache ersuchen könne, deren Ursprung und Beschaffenheit
noch in Dunkel gehüllt sei. Zwar sei dieselbe in andern Parlamenten zur
Sprache gekommen, aber dort habe man sich höchst unbestimmt ausgedrückt,
und er würde sich freuen, wenn der Herr Kollege den Gegenstand etwas mehr
beleuchten könne, da er dann besser mit ihm bekannt erscheinen würde als die
Regierung. "In der That, so fuhr Herr Challemel-Lacour ironisch sort, ich
hoffte zuversichtlich von dem Herrn Herzog etwas neues über ein Thema zu
hören, worüber man bis jetzt nur flüsternd gesprochen hat. Am 26. April gab
Herr Gladstone auf eine Frage, die im Hause der Gemeinen über die Sache
an ihn gerichtet wurde, die etwas schroffe Antwort, man möge sich die Zei¬
tungsberichte über das ansehen, was in Rom und Pest vorgekommen sei. Ich
hätte seinem Beispiele folgen können, aber es lag mir daran, zu zeigen, daß
wir vor keiner öffentlichen Hindeutung auf die Frage zurückscheuen, und so ent¬
schloß ich mich, die Jnterpellation des Herrn Herzogs zu beantworten. Ich
glaube indeß, daß er klüger gethan hätte, sich nach etwas, das so wenig be¬
kannt ist, nicht zu erkundigen. Die Frage war eine verfrühte, obwohl ich zu¬
geben möchte, daß eine Annäherung wirklich stattgefunden hat. Aber was für
eine Annäherung? Führte sie in die europäische Politik ein neues Element ein?
Ich glaube nicht. Vor achtzehn Monaten, bei Gelegenheit eines gewissen könig¬
lichen Besuchs in Wien, hörte man genau ebenso von Verhandlungen sprechen


Die Brogliesche Jnterpellation und die Abrüstungsfrage.

so habe Frankreich als die dabei ganz besonders interessirte Partei unzweifel¬
haft das Recht, zu erfahren, wie es mit der Angelegenheit eigentlich stehe. Die
parlamentarische Republik dürfe vor einer vollständigen Klarlegung des Gegen¬
standes nicht zurückschrecken. Die Opposition sei berechtigt, eine solche zu fordern,
die Regierung verpflichtet, sie zu geben. Sollte das Ministerium sich weigern
zu antworten, so würde man daraus den Schluß ziehen können, daß die Frei¬
heit der Tribüne in monarchisch regierten Ländern größer als in republikanischen
sei. Nach einem Hinweise auf den angeblich unsichern Gang der europäischen
Politik seit dem russisch-türkischen Kriege kam der Redner auf den Charakter
der Tripelallianz zu sprechen, wobei er bezweifeln wollte, daß derselbe ein rein
defensiver sei, da der Minister selbst einmal gesagt habe, die fremden Mächte
seien von einem feindseligen Geiste gegen Frankreich beseelt. Früher sei des
österreichisch-deutschen Bündnisses gedacht worden, und dabei habe das damalige
Ministerium behauptet, daß ein Einverständnis zwischen den mitteleuropäischen
Mächten bestehen möge, ein Bündnis im strengen Wortsinne aber nicht existire.
Jetzt sei Italien zu der Gruppe hinzugetreten, könne da die jetzige Regierung
in Abrede stellen, daß sie dies einigermaßen beängstige? Frankreich sei über¬
haupt isolirt, da es auch mit England auseinandergekommen. Der Herzog schloß
mit einer Bemerkung über die Kolonialpolitik des Kabinets und ermahnte das¬
selbe, vorsichtig zu sein, so lange es noch Zeit sei.

Der Minister erwiederte zunächst, daß er nicht verstehe, wie man ihn um
Aufschluß über eine Sache ersuchen könne, deren Ursprung und Beschaffenheit
noch in Dunkel gehüllt sei. Zwar sei dieselbe in andern Parlamenten zur
Sprache gekommen, aber dort habe man sich höchst unbestimmt ausgedrückt,
und er würde sich freuen, wenn der Herr Kollege den Gegenstand etwas mehr
beleuchten könne, da er dann besser mit ihm bekannt erscheinen würde als die
Regierung. „In der That, so fuhr Herr Challemel-Lacour ironisch sort, ich
hoffte zuversichtlich von dem Herrn Herzog etwas neues über ein Thema zu
hören, worüber man bis jetzt nur flüsternd gesprochen hat. Am 26. April gab
Herr Gladstone auf eine Frage, die im Hause der Gemeinen über die Sache
an ihn gerichtet wurde, die etwas schroffe Antwort, man möge sich die Zei¬
tungsberichte über das ansehen, was in Rom und Pest vorgekommen sei. Ich
hätte seinem Beispiele folgen können, aber es lag mir daran, zu zeigen, daß
wir vor keiner öffentlichen Hindeutung auf die Frage zurückscheuen, und so ent¬
schloß ich mich, die Jnterpellation des Herrn Herzogs zu beantworten. Ich
glaube indeß, daß er klüger gethan hätte, sich nach etwas, das so wenig be¬
kannt ist, nicht zu erkundigen. Die Frage war eine verfrühte, obwohl ich zu¬
geben möchte, daß eine Annäherung wirklich stattgefunden hat. Aber was für
eine Annäherung? Führte sie in die europäische Politik ein neues Element ein?
Ich glaube nicht. Vor achtzehn Monaten, bei Gelegenheit eines gewissen könig¬
lichen Besuchs in Wien, hörte man genau ebenso von Verhandlungen sprechen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/370>, abgerufen am 01.07.2024.