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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Drei Antworten.

Wer noch ein andrer Gewinn würde sich ergeben. Je weniger Bücher
aus der Bibliothek hinausgegeben würden, desto weniger Menschen würden ver¬
geblich auf die Bibliothek kommen, desto mehr würden überhaupt sich einfinden,
weil sie nicht wie bisher immer fürchten müßten vergeblich zu kommen, und
desto mehr würde, wie der Verfasser des Bibliotheksartikels ganz richtig bemerkt,
der in den Büchern steckende Wert wirtschaftlich nutzbar gemacht werden. Unsre
öffentlichen Bibliotheken sind vielleicht der großartigste Luxus, den ein Staat
oder eine Gemeinde sich gestatten kann, ein viel größerer als unsre öffentlichen
Kunstsammlungen. Wie klein ist das Publikum, das von unsern Bibliotheken
Nutzen zieht, im Vergleich zu den Massen, die in unsern Museen Belehrung,
Anregung, Genuß und Erhebung finden! Ich habe einmal ausgerechnet, welchen
Wert es darstellt, wenn auf unsrer städtischen Bibliothek ein Mensch ein Buch
geliehen bekommt. Das Exempel war ganz einfach. Ich schätzte das Areal ab,
auf dem unser mitten in der innern Stadt gelegenes Bibliotheksgebäude steht,
dazu das Gebäude selbst, dazu ferner den ganzen kolossalen, in den seit zwei
Jahrhunderten aufgespeicherten Büchern steckenden Wert. Zu den jährlichen
Zinsen, welche die Summe dieser drei Posten ergab, rechnete ich die jährlich
aus Stiftungsgeldern und städtischen Mitteln gezählten Betriebskosten, Beamten¬
gehalte und die für Neuanschaffungen verfügbaren Mittel und dividirte die
Summe durch die durchschnittliche Anzahl der jährlich ausgeliehenen Bücher.
Ich bin erschrocken über das Ergebnis dieser Rechnung und werde mich wohl
hüten, sie hier mit Ziffern vorzuführen. Ich müßte ja gewärtigen, daß morgen
jemand den Antrag stellte, den Bibliothekar zum Teufel zu jagen, die Bibliothek
zu schließen, die Bücher zu vercmktioniren, das Bibliotheksgebäude abzubrechen
und das Areal als Bauplatz für Zinspaläste zu Parzelliren. Nur so viel will
ich verraten, daß, wenn ein in bescheidnen Verhältnissen lebender Mann, etwa
ein Volksschullehrer, sich einmal im Jahre ein Buch aus der städtischen Bibliothek
leiht, die Stadt ihm damit ungefähr das zurückerstattet, was er das ganze
Jahr über an städtischen Steuern bezahlt. Wie wünschenswert wäre es da, daß
der Nutzwert unsrer Bibliotheken in etwas mehr und dafür lieber in kleineren
Portionen ginge.

Auf die Frage, ob der Bücherversandt in die Provinz grundsätzlich abzu¬
schaffen oder als Ausnahme unter erschwerenden Umständen beizubehalten sein
würde, geht der Verfasser des Bibliotheksartikels nicht ein. Ich will auch
diese Frage schließlich mit ein paar Worten berühren. Der Provinzbewohner,
der aus Neigung oder Liebhaberei wissenschaftliche Studien betreiben möchte,
ist ohne Frage sehr schlimm daran. Wie mancher hat mir schon versichert,
daß er beim besten Willen nicht weiterstudiren könne, daß er vertrocknen und
versäuern müsse, da er von allen literarischen Hilfsmitteln entblößt sei! Wie
gerne möchte man solche Weggesetzte durch möglichst reichliche Bücherzufuhr
unterstützen! Dennoch ist es Kar, daß, sowie einmal das jetzige Ausleihesystem


Drei Antworten.

Wer noch ein andrer Gewinn würde sich ergeben. Je weniger Bücher
aus der Bibliothek hinausgegeben würden, desto weniger Menschen würden ver¬
geblich auf die Bibliothek kommen, desto mehr würden überhaupt sich einfinden,
weil sie nicht wie bisher immer fürchten müßten vergeblich zu kommen, und
desto mehr würde, wie der Verfasser des Bibliotheksartikels ganz richtig bemerkt,
der in den Büchern steckende Wert wirtschaftlich nutzbar gemacht werden. Unsre
öffentlichen Bibliotheken sind vielleicht der großartigste Luxus, den ein Staat
oder eine Gemeinde sich gestatten kann, ein viel größerer als unsre öffentlichen
Kunstsammlungen. Wie klein ist das Publikum, das von unsern Bibliotheken
Nutzen zieht, im Vergleich zu den Massen, die in unsern Museen Belehrung,
Anregung, Genuß und Erhebung finden! Ich habe einmal ausgerechnet, welchen
Wert es darstellt, wenn auf unsrer städtischen Bibliothek ein Mensch ein Buch
geliehen bekommt. Das Exempel war ganz einfach. Ich schätzte das Areal ab,
auf dem unser mitten in der innern Stadt gelegenes Bibliotheksgebäude steht,
dazu das Gebäude selbst, dazu ferner den ganzen kolossalen, in den seit zwei
Jahrhunderten aufgespeicherten Büchern steckenden Wert. Zu den jährlichen
Zinsen, welche die Summe dieser drei Posten ergab, rechnete ich die jährlich
aus Stiftungsgeldern und städtischen Mitteln gezählten Betriebskosten, Beamten¬
gehalte und die für Neuanschaffungen verfügbaren Mittel und dividirte die
Summe durch die durchschnittliche Anzahl der jährlich ausgeliehenen Bücher.
Ich bin erschrocken über das Ergebnis dieser Rechnung und werde mich wohl
hüten, sie hier mit Ziffern vorzuführen. Ich müßte ja gewärtigen, daß morgen
jemand den Antrag stellte, den Bibliothekar zum Teufel zu jagen, die Bibliothek
zu schließen, die Bücher zu vercmktioniren, das Bibliotheksgebäude abzubrechen
und das Areal als Bauplatz für Zinspaläste zu Parzelliren. Nur so viel will
ich verraten, daß, wenn ein in bescheidnen Verhältnissen lebender Mann, etwa
ein Volksschullehrer, sich einmal im Jahre ein Buch aus der städtischen Bibliothek
leiht, die Stadt ihm damit ungefähr das zurückerstattet, was er das ganze
Jahr über an städtischen Steuern bezahlt. Wie wünschenswert wäre es da, daß
der Nutzwert unsrer Bibliotheken in etwas mehr und dafür lieber in kleineren
Portionen ginge.

Auf die Frage, ob der Bücherversandt in die Provinz grundsätzlich abzu¬
schaffen oder als Ausnahme unter erschwerenden Umständen beizubehalten sein
würde, geht der Verfasser des Bibliotheksartikels nicht ein. Ich will auch
diese Frage schließlich mit ein paar Worten berühren. Der Provinzbewohner,
der aus Neigung oder Liebhaberei wissenschaftliche Studien betreiben möchte,
ist ohne Frage sehr schlimm daran. Wie mancher hat mir schon versichert,
daß er beim besten Willen nicht weiterstudiren könne, daß er vertrocknen und
versäuern müsse, da er von allen literarischen Hilfsmitteln entblößt sei! Wie
gerne möchte man solche Weggesetzte durch möglichst reichliche Bücherzufuhr
unterstützen! Dennoch ist es Kar, daß, sowie einmal das jetzige Ausleihesystem


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[0364] Drei Antworten. Wer noch ein andrer Gewinn würde sich ergeben. Je weniger Bücher aus der Bibliothek hinausgegeben würden, desto weniger Menschen würden ver¬ geblich auf die Bibliothek kommen, desto mehr würden überhaupt sich einfinden, weil sie nicht wie bisher immer fürchten müßten vergeblich zu kommen, und desto mehr würde, wie der Verfasser des Bibliotheksartikels ganz richtig bemerkt, der in den Büchern steckende Wert wirtschaftlich nutzbar gemacht werden. Unsre öffentlichen Bibliotheken sind vielleicht der großartigste Luxus, den ein Staat oder eine Gemeinde sich gestatten kann, ein viel größerer als unsre öffentlichen Kunstsammlungen. Wie klein ist das Publikum, das von unsern Bibliotheken Nutzen zieht, im Vergleich zu den Massen, die in unsern Museen Belehrung, Anregung, Genuß und Erhebung finden! Ich habe einmal ausgerechnet, welchen Wert es darstellt, wenn auf unsrer städtischen Bibliothek ein Mensch ein Buch geliehen bekommt. Das Exempel war ganz einfach. Ich schätzte das Areal ab, auf dem unser mitten in der innern Stadt gelegenes Bibliotheksgebäude steht, dazu das Gebäude selbst, dazu ferner den ganzen kolossalen, in den seit zwei Jahrhunderten aufgespeicherten Büchern steckenden Wert. Zu den jährlichen Zinsen, welche die Summe dieser drei Posten ergab, rechnete ich die jährlich aus Stiftungsgeldern und städtischen Mitteln gezählten Betriebskosten, Beamten¬ gehalte und die für Neuanschaffungen verfügbaren Mittel und dividirte die Summe durch die durchschnittliche Anzahl der jährlich ausgeliehenen Bücher. Ich bin erschrocken über das Ergebnis dieser Rechnung und werde mich wohl hüten, sie hier mit Ziffern vorzuführen. Ich müßte ja gewärtigen, daß morgen jemand den Antrag stellte, den Bibliothekar zum Teufel zu jagen, die Bibliothek zu schließen, die Bücher zu vercmktioniren, das Bibliotheksgebäude abzubrechen und das Areal als Bauplatz für Zinspaläste zu Parzelliren. Nur so viel will ich verraten, daß, wenn ein in bescheidnen Verhältnissen lebender Mann, etwa ein Volksschullehrer, sich einmal im Jahre ein Buch aus der städtischen Bibliothek leiht, die Stadt ihm damit ungefähr das zurückerstattet, was er das ganze Jahr über an städtischen Steuern bezahlt. Wie wünschenswert wäre es da, daß der Nutzwert unsrer Bibliotheken in etwas mehr und dafür lieber in kleineren Portionen ginge. Auf die Frage, ob der Bücherversandt in die Provinz grundsätzlich abzu¬ schaffen oder als Ausnahme unter erschwerenden Umständen beizubehalten sein würde, geht der Verfasser des Bibliotheksartikels nicht ein. Ich will auch diese Frage schließlich mit ein paar Worten berühren. Der Provinzbewohner, der aus Neigung oder Liebhaberei wissenschaftliche Studien betreiben möchte, ist ohne Frage sehr schlimm daran. Wie mancher hat mir schon versichert, daß er beim besten Willen nicht weiterstudiren könne, daß er vertrocknen und versäuern müsse, da er von allen literarischen Hilfsmitteln entblößt sei! Wie gerne möchte man solche Weggesetzte durch möglichst reichliche Bücherzufuhr unterstützen! Dennoch ist es Kar, daß, sowie einmal das jetzige Ausleihesystem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/364>, abgerufen am 03.07.2024.