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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Drei Antworten.

schlechterdings auf diesen Unterschied gedrungen werden. Die Bücher einer Leih¬
anstalt können vollständig konsumirt werden. Sie haben nach einer Reihe von
Jahren ihre Dienste gethan, ihr Kaufpreis ist durch die Leihgebühren zehn- und
zwanzigfach wieder eingekommen, das Publikum, das immer nach neuem verlangt,
fragt nicht mehr nach ihnen, und so werden sie endlich ausrcmgirt und machen
andern Büchern Platz. Öffentliche Bibliotheken dagegen haben in erster Linie
den Zweck, die Bücher zu konserviren, sie für die Nachwelt aufzubewahren.
Dieser Zweck wird vereitelt, wenn es der Mitwelt gestattet wird, die Bücher
nach Leihbibliotheksgewohnheit zu konsumiren. Der Verfasser des Bibliotheks¬
artikels hat vollständig Recht, wenn er sagt, daß ein bedeutender Teil der deut¬
schen Literatur unsers Jahrhunderts über kurz oder lang wird neu von den Biblio¬
theken angeschafft werden müssen, wenn anders die Nachwelt noch an diesem
Besitze teilnehmen soll.

Allen den geschilderten Übelständen kann nur dadurch gesteuert werden, daß
die öffentlichen Bibliotheken sich entschließen, das gegenwärtige Ausleihesystem,
wonach das Hinausgehen der Bücher die Regel, die Benutzung an Bibliotheks¬
stelle die Ausnahme ist, fallen zu lassen und zu der frühern Weise zurückzukehren,
nach welcher das Hinausgehen die Ausnahme bildete. Die öffentlichen Biblio¬
theken sollen gewiß das Interesse des Publikums in jeder Weise wahren. Sie
sollen ihre Lese- und Arbeitszimmer täglich öffnen, sollen sie womöglich den
ganzen Tag über offen halten, sollen für jede wünschenswerte Bequemlichkeit
des lesenden und studirenden Publikums sorgen. Gewiß, das alles sollen sie.
Aber höher steht das eigne Interesse der Bibliotheken, und dieses erheischt,
daß die Bücher so viel als möglich unter der Aufsicht von Bibliotheksbeamten
benutzt werden. Was man dagegen geltend gemacht hat: daß es sich in den
Arbeitsräumen einer Bibliothek nicht mit der Sammlung arbeiten lasse wie zu
Hause, daß für viele die Abend-, ja zum Teil die Nachtstunden die Hauptarbeits¬
zeit bilden und ähnliches, verdient gewiß Berücksichtigung, kann aber nicht als
ausschließlich maßgebend betrachtet werden. Tiefe wissenschaftliche Probleme
wird niemand im Lesezimmer einer Bibliothek lösen, Material aber zu wissen¬
schaftlichen Arbeiten läßt sich dort sicherlich ebensogut sammeln wie zu Hause.
Freilich müssen die Herren sich das flüchtige, vorläufige Exzerpiren abgewöhnen,
welches sie nötigt, wenn es dann wirklich soweit ist, von den Exzerpten Ge¬
brauch zu machen, sich dieselben Bücher immer wieder vorlegen zu lassen. Wo
nach Lage der Sache Ausnahmen erwünscht sind, können sie ja jederzeit gemacht
werden, immer natürlich unter gewissenhafter Berücksichtigung der Personell und
der Bücher, um die sichs handelt. Schon der Umstand, daß das Ausleihen
wieder als eine besondre Vergünstigung zu betrachten wäre, würde in hohem
Grade erzieherisch wirken und allen denen, die heutzutage ein Buch für nichts
achten, weil sie es monatelang umsonst zu Hause liegen haben können, vor dem
Werte desselben wieder Achtung einflößen.


Drei Antworten.

schlechterdings auf diesen Unterschied gedrungen werden. Die Bücher einer Leih¬
anstalt können vollständig konsumirt werden. Sie haben nach einer Reihe von
Jahren ihre Dienste gethan, ihr Kaufpreis ist durch die Leihgebühren zehn- und
zwanzigfach wieder eingekommen, das Publikum, das immer nach neuem verlangt,
fragt nicht mehr nach ihnen, und so werden sie endlich ausrcmgirt und machen
andern Büchern Platz. Öffentliche Bibliotheken dagegen haben in erster Linie
den Zweck, die Bücher zu konserviren, sie für die Nachwelt aufzubewahren.
Dieser Zweck wird vereitelt, wenn es der Mitwelt gestattet wird, die Bücher
nach Leihbibliotheksgewohnheit zu konsumiren. Der Verfasser des Bibliotheks¬
artikels hat vollständig Recht, wenn er sagt, daß ein bedeutender Teil der deut¬
schen Literatur unsers Jahrhunderts über kurz oder lang wird neu von den Biblio¬
theken angeschafft werden müssen, wenn anders die Nachwelt noch an diesem
Besitze teilnehmen soll.

Allen den geschilderten Übelständen kann nur dadurch gesteuert werden, daß
die öffentlichen Bibliotheken sich entschließen, das gegenwärtige Ausleihesystem,
wonach das Hinausgehen der Bücher die Regel, die Benutzung an Bibliotheks¬
stelle die Ausnahme ist, fallen zu lassen und zu der frühern Weise zurückzukehren,
nach welcher das Hinausgehen die Ausnahme bildete. Die öffentlichen Biblio¬
theken sollen gewiß das Interesse des Publikums in jeder Weise wahren. Sie
sollen ihre Lese- und Arbeitszimmer täglich öffnen, sollen sie womöglich den
ganzen Tag über offen halten, sollen für jede wünschenswerte Bequemlichkeit
des lesenden und studirenden Publikums sorgen. Gewiß, das alles sollen sie.
Aber höher steht das eigne Interesse der Bibliotheken, und dieses erheischt,
daß die Bücher so viel als möglich unter der Aufsicht von Bibliotheksbeamten
benutzt werden. Was man dagegen geltend gemacht hat: daß es sich in den
Arbeitsräumen einer Bibliothek nicht mit der Sammlung arbeiten lasse wie zu
Hause, daß für viele die Abend-, ja zum Teil die Nachtstunden die Hauptarbeits¬
zeit bilden und ähnliches, verdient gewiß Berücksichtigung, kann aber nicht als
ausschließlich maßgebend betrachtet werden. Tiefe wissenschaftliche Probleme
wird niemand im Lesezimmer einer Bibliothek lösen, Material aber zu wissen¬
schaftlichen Arbeiten läßt sich dort sicherlich ebensogut sammeln wie zu Hause.
Freilich müssen die Herren sich das flüchtige, vorläufige Exzerpiren abgewöhnen,
welches sie nötigt, wenn es dann wirklich soweit ist, von den Exzerpten Ge¬
brauch zu machen, sich dieselben Bücher immer wieder vorlegen zu lassen. Wo
nach Lage der Sache Ausnahmen erwünscht sind, können sie ja jederzeit gemacht
werden, immer natürlich unter gewissenhafter Berücksichtigung der Personell und
der Bücher, um die sichs handelt. Schon der Umstand, daß das Ausleihen
wieder als eine besondre Vergünstigung zu betrachten wäre, würde in hohem
Grade erzieherisch wirken und allen denen, die heutzutage ein Buch für nichts
achten, weil sie es monatelang umsonst zu Hause liegen haben können, vor dem
Werte desselben wieder Achtung einflößen.


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[0363] Drei Antworten. schlechterdings auf diesen Unterschied gedrungen werden. Die Bücher einer Leih¬ anstalt können vollständig konsumirt werden. Sie haben nach einer Reihe von Jahren ihre Dienste gethan, ihr Kaufpreis ist durch die Leihgebühren zehn- und zwanzigfach wieder eingekommen, das Publikum, das immer nach neuem verlangt, fragt nicht mehr nach ihnen, und so werden sie endlich ausrcmgirt und machen andern Büchern Platz. Öffentliche Bibliotheken dagegen haben in erster Linie den Zweck, die Bücher zu konserviren, sie für die Nachwelt aufzubewahren. Dieser Zweck wird vereitelt, wenn es der Mitwelt gestattet wird, die Bücher nach Leihbibliotheksgewohnheit zu konsumiren. Der Verfasser des Bibliotheks¬ artikels hat vollständig Recht, wenn er sagt, daß ein bedeutender Teil der deut¬ schen Literatur unsers Jahrhunderts über kurz oder lang wird neu von den Biblio¬ theken angeschafft werden müssen, wenn anders die Nachwelt noch an diesem Besitze teilnehmen soll. Allen den geschilderten Übelständen kann nur dadurch gesteuert werden, daß die öffentlichen Bibliotheken sich entschließen, das gegenwärtige Ausleihesystem, wonach das Hinausgehen der Bücher die Regel, die Benutzung an Bibliotheks¬ stelle die Ausnahme ist, fallen zu lassen und zu der frühern Weise zurückzukehren, nach welcher das Hinausgehen die Ausnahme bildete. Die öffentlichen Biblio¬ theken sollen gewiß das Interesse des Publikums in jeder Weise wahren. Sie sollen ihre Lese- und Arbeitszimmer täglich öffnen, sollen sie womöglich den ganzen Tag über offen halten, sollen für jede wünschenswerte Bequemlichkeit des lesenden und studirenden Publikums sorgen. Gewiß, das alles sollen sie. Aber höher steht das eigne Interesse der Bibliotheken, und dieses erheischt, daß die Bücher so viel als möglich unter der Aufsicht von Bibliotheksbeamten benutzt werden. Was man dagegen geltend gemacht hat: daß es sich in den Arbeitsräumen einer Bibliothek nicht mit der Sammlung arbeiten lasse wie zu Hause, daß für viele die Abend-, ja zum Teil die Nachtstunden die Hauptarbeits¬ zeit bilden und ähnliches, verdient gewiß Berücksichtigung, kann aber nicht als ausschließlich maßgebend betrachtet werden. Tiefe wissenschaftliche Probleme wird niemand im Lesezimmer einer Bibliothek lösen, Material aber zu wissen¬ schaftlichen Arbeiten läßt sich dort sicherlich ebensogut sammeln wie zu Hause. Freilich müssen die Herren sich das flüchtige, vorläufige Exzerpiren abgewöhnen, welches sie nötigt, wenn es dann wirklich soweit ist, von den Exzerpten Ge¬ brauch zu machen, sich dieselben Bücher immer wieder vorlegen zu lassen. Wo nach Lage der Sache Ausnahmen erwünscht sind, können sie ja jederzeit gemacht werden, immer natürlich unter gewissenhafter Berücksichtigung der Personell und der Bücher, um die sichs handelt. Schon der Umstand, daß das Ausleihen wieder als eine besondre Vergünstigung zu betrachten wäre, würde in hohem Grade erzieherisch wirken und allen denen, die heutzutage ein Buch für nichts achten, weil sie es monatelang umsonst zu Hause liegen haben können, vor dem Werte desselben wieder Achtung einflößen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/363>, abgerufen am 24.08.2024.