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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Drei Antworten,

abgeschafft würde, jeder Bücherversandt in die Provinz damit erst recht weg¬
fallen müßte, wenn nicht die größte Ungerechtigkeit entstehen soll. Wenn der
Bewohner der großen Stadt, der seine hohen Steuern zahlt, der drei-, viermal
so teuer wohnt als der Kleinstädter, der das ganze Jahr über alle Unannehm¬
lichkeiten der großen Stadt erträgt, die Schätze der Bibliothek nur an Ort und
Stelle benutzen darf, wie käme der Provinzielle dazu, daß ihm die Bücher wohl¬
verpackt vom Postboten ins Haus gebracht würden? Dann könnte man ja dem
Großstädter, der bequem studiren will, nur den guten Rat geben, in die Provinz
überzusiedeln. Ich glaube, daß man in diesem Punkte auf Bibliotheken viel
zu sentimental ist. Was würde man sagen, wenn der Provinzbewohner bean¬
spruchen wollte, daß ihm das städtische Museum gelegentlich einige Bilder zur
Besichtigung zuschicken sollte, oder daß das Stadtorchester und das Stadttheater
so und so oft im Jahre zu ihm in die Provinz kämen und ihm Konzert und
Theater vorspielten? Ganz zu schweigen von der enormen Abnutzung, welche
die Bücher bei dem gegenwärtig leider selbst an den Bibliotheken gebräuchlichen
gänzlich ungenügenden Verpacknngsmodus auf dem Transport erfahren. Wer
es je mit angesehen, mit welchem unnötigen Kraftverbrauche in Bahnhofs¬
und PostPackereien die Packete verladen werden, der wird zugestehen, daß die
jetzige Art, kostbare, gutgebundene Bücher in eine dürftige Pappe eingeschnürt
zur Post zu geben, der baare Unsinn ist. Wie werden einem aber erst die
Bücher von den Entleihern zurückgeschickt! Wiederholt habe ich Packete be¬
kommen, die amtlich auf der Post hatten verschlossen werden müssen, weil die
elende Verpackung beim Transport gesprungen war, und kürzlich ist es mir
zweimal hintereinander begegnet, daß Leute, die nach mehrmonatlicher Säumnis
gemahnt worden waren, eingebundene (!) Bücher unter Kreuzband zurücksandten.
Faktum!

Schließlich noch eine Bemerkung. Es ist selbstverständlich, daß alle die
vorstehenden Ausführungen sich nicht auf die Universitätsbibliotheken beziehen.
Diese geistigen Rüstkammern für Professoren und Studenten nehmen in jeder
Beziehung eine Ausnahmestellung ein. Es ist ihre Sache, wie sie es in diesen
Stücken halten wollen. So viel weiß ich, daß ich Gott danke, uicht Uuiver-
sitätsbibliothekar zu sein, denn ein gefährlicheres Bibliothekspublikum als die
studirende Jugend ist für mich gar nicht denkbar. Aber auch die Herren Pro¬
fessoren sind nicht ganz ungefährliche Gäste. Sie genießen ja an der Univer¬
sitätsbibliothek das Vorrecht, selber an die Bücherbretter zu gehen und sich ihren
Bedarf nach Belieben auszusuchen. Was das für die Ordnung in einer Bi¬
bliothek bedeutet, weiß jeder Bibliothekar. Über die Universitätsbibliotheken ließe
sich ein eignes Kapitel schreiben.

Hoffentlich entschließt sich die königliche Bibliothek in Berlin dazu, mit einer
Reform des Ausleihesystems vorzugehen. Sie kann am ehesten "das Odium
auf sich nehmen." Andre werden ihr dann schon nachfolgen.


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abgeschafft würde, jeder Bücherversandt in die Provinz damit erst recht weg¬
fallen müßte, wenn nicht die größte Ungerechtigkeit entstehen soll. Wenn der
Bewohner der großen Stadt, der seine hohen Steuern zahlt, der drei-, viermal
so teuer wohnt als der Kleinstädter, der das ganze Jahr über alle Unannehm¬
lichkeiten der großen Stadt erträgt, die Schätze der Bibliothek nur an Ort und
Stelle benutzen darf, wie käme der Provinzielle dazu, daß ihm die Bücher wohl¬
verpackt vom Postboten ins Haus gebracht würden? Dann könnte man ja dem
Großstädter, der bequem studiren will, nur den guten Rat geben, in die Provinz
überzusiedeln. Ich glaube, daß man in diesem Punkte auf Bibliotheken viel
zu sentimental ist. Was würde man sagen, wenn der Provinzbewohner bean¬
spruchen wollte, daß ihm das städtische Museum gelegentlich einige Bilder zur
Besichtigung zuschicken sollte, oder daß das Stadtorchester und das Stadttheater
so und so oft im Jahre zu ihm in die Provinz kämen und ihm Konzert und
Theater vorspielten? Ganz zu schweigen von der enormen Abnutzung, welche
die Bücher bei dem gegenwärtig leider selbst an den Bibliotheken gebräuchlichen
gänzlich ungenügenden Verpacknngsmodus auf dem Transport erfahren. Wer
es je mit angesehen, mit welchem unnötigen Kraftverbrauche in Bahnhofs¬
und PostPackereien die Packete verladen werden, der wird zugestehen, daß die
jetzige Art, kostbare, gutgebundene Bücher in eine dürftige Pappe eingeschnürt
zur Post zu geben, der baare Unsinn ist. Wie werden einem aber erst die
Bücher von den Entleihern zurückgeschickt! Wiederholt habe ich Packete be¬
kommen, die amtlich auf der Post hatten verschlossen werden müssen, weil die
elende Verpackung beim Transport gesprungen war, und kürzlich ist es mir
zweimal hintereinander begegnet, daß Leute, die nach mehrmonatlicher Säumnis
gemahnt worden waren, eingebundene (!) Bücher unter Kreuzband zurücksandten.
Faktum!

Schließlich noch eine Bemerkung. Es ist selbstverständlich, daß alle die
vorstehenden Ausführungen sich nicht auf die Universitätsbibliotheken beziehen.
Diese geistigen Rüstkammern für Professoren und Studenten nehmen in jeder
Beziehung eine Ausnahmestellung ein. Es ist ihre Sache, wie sie es in diesen
Stücken halten wollen. So viel weiß ich, daß ich Gott danke, uicht Uuiver-
sitätsbibliothekar zu sein, denn ein gefährlicheres Bibliothekspublikum als die
studirende Jugend ist für mich gar nicht denkbar. Aber auch die Herren Pro¬
fessoren sind nicht ganz ungefährliche Gäste. Sie genießen ja an der Univer¬
sitätsbibliothek das Vorrecht, selber an die Bücherbretter zu gehen und sich ihren
Bedarf nach Belieben auszusuchen. Was das für die Ordnung in einer Bi¬
bliothek bedeutet, weiß jeder Bibliothekar. Über die Universitätsbibliotheken ließe
sich ein eignes Kapitel schreiben.

Hoffentlich entschließt sich die königliche Bibliothek in Berlin dazu, mit einer
Reform des Ausleihesystems vorzugehen. Sie kann am ehesten „das Odium
auf sich nehmen." Andre werden ihr dann schon nachfolgen.


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[0365] Drei Antworten, abgeschafft würde, jeder Bücherversandt in die Provinz damit erst recht weg¬ fallen müßte, wenn nicht die größte Ungerechtigkeit entstehen soll. Wenn der Bewohner der großen Stadt, der seine hohen Steuern zahlt, der drei-, viermal so teuer wohnt als der Kleinstädter, der das ganze Jahr über alle Unannehm¬ lichkeiten der großen Stadt erträgt, die Schätze der Bibliothek nur an Ort und Stelle benutzen darf, wie käme der Provinzielle dazu, daß ihm die Bücher wohl¬ verpackt vom Postboten ins Haus gebracht würden? Dann könnte man ja dem Großstädter, der bequem studiren will, nur den guten Rat geben, in die Provinz überzusiedeln. Ich glaube, daß man in diesem Punkte auf Bibliotheken viel zu sentimental ist. Was würde man sagen, wenn der Provinzbewohner bean¬ spruchen wollte, daß ihm das städtische Museum gelegentlich einige Bilder zur Besichtigung zuschicken sollte, oder daß das Stadtorchester und das Stadttheater so und so oft im Jahre zu ihm in die Provinz kämen und ihm Konzert und Theater vorspielten? Ganz zu schweigen von der enormen Abnutzung, welche die Bücher bei dem gegenwärtig leider selbst an den Bibliotheken gebräuchlichen gänzlich ungenügenden Verpacknngsmodus auf dem Transport erfahren. Wer es je mit angesehen, mit welchem unnötigen Kraftverbrauche in Bahnhofs¬ und PostPackereien die Packete verladen werden, der wird zugestehen, daß die jetzige Art, kostbare, gutgebundene Bücher in eine dürftige Pappe eingeschnürt zur Post zu geben, der baare Unsinn ist. Wie werden einem aber erst die Bücher von den Entleihern zurückgeschickt! Wiederholt habe ich Packete be¬ kommen, die amtlich auf der Post hatten verschlossen werden müssen, weil die elende Verpackung beim Transport gesprungen war, und kürzlich ist es mir zweimal hintereinander begegnet, daß Leute, die nach mehrmonatlicher Säumnis gemahnt worden waren, eingebundene (!) Bücher unter Kreuzband zurücksandten. Faktum! Schließlich noch eine Bemerkung. Es ist selbstverständlich, daß alle die vorstehenden Ausführungen sich nicht auf die Universitätsbibliotheken beziehen. Diese geistigen Rüstkammern für Professoren und Studenten nehmen in jeder Beziehung eine Ausnahmestellung ein. Es ist ihre Sache, wie sie es in diesen Stücken halten wollen. So viel weiß ich, daß ich Gott danke, uicht Uuiver- sitätsbibliothekar zu sein, denn ein gefährlicheres Bibliothekspublikum als die studirende Jugend ist für mich gar nicht denkbar. Aber auch die Herren Pro¬ fessoren sind nicht ganz ungefährliche Gäste. Sie genießen ja an der Univer¬ sitätsbibliothek das Vorrecht, selber an die Bücherbretter zu gehen und sich ihren Bedarf nach Belieben auszusuchen. Was das für die Ordnung in einer Bi¬ bliothek bedeutet, weiß jeder Bibliothekar. Über die Universitätsbibliotheken ließe sich ein eignes Kapitel schreiben. Hoffentlich entschließt sich die königliche Bibliothek in Berlin dazu, mit einer Reform des Ausleihesystems vorzugehen. Sie kann am ehesten „das Odium auf sich nehmen." Andre werden ihr dann schon nachfolgen. 5 -i°

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/365>, abgerufen am 01.07.2024.