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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Drei Antworten.

saubern Deckeln in das andre, aufgeschlagne hineinlegen. Diese Beobachtungen
kann man täglich in der Bibliothek selbst machen. Wie wird aber erst beim
Transport und bei der Benutzung zu Hause mit den geliehenen Büchern um¬
gegangen! Da werden mit Bleistift, selbst mit Tinte Striche am Rande und
zwischen die Zeilen gezogen, Bemerkungen hineingeschrieben, Ohren hineinge¬
brochen, Klexe hineingemacht; herauszuschlagende Tafeln und Karten werden
beim Entfalten regelmäßig zerrissen, dann ungeschickt geflickt und schief wieder
eingelegt; das Wasserglas, die Kaffeetasse, die Petroleumlampe wird darüber
geschüttet; Kinder geraten drüber und stellen ihre ersten Zeichenversuche drin
an; Messer, Scheere, Schlüssel, Lineal, Falzbein, Streichholz oder was sonst
gerade zur Hand ist, wird als Buchzeichen hineingeklemmt. Ein Glück, wenn
die Bücher noch auf diese Weise geschlossen werden. Sie werden aber auch auf¬
geschlagen mit dem Rücken nach oben gelegt, was ziemlich auf dasselbe hinaus¬
läuft, als wenn man den Tisch damit abwischte, oder sie bleiben wochenlang
mit denselben zwei Blättern aufgeschlagen auf dem Arbeitstische liegen. All¬
gemein verbreitet ist die Unsitte, die Bücher bei der Benutzung nicht einzuschlagen.
So kann es kommen, daß an einem neuen Bande, der zum erstenmale aus der
Bibliothek hinausgegeben wird, wenn er nach vier Wochen zurückkommt, die Eti¬
kette auf dem Rücken bereits so mit Schmutz überzogen ist, daß die Signatur
darauf kaum noch zu lesen ist. Derselbe Schmutz aber, der an der Etikette
klebt, bedeckt natürlich auch das ganze Buch, nur daß er dort weniger sichtbar
wird. Beim Transport glauben manche den Büchern eine besondre Schonung
angedeihen zu lassen, wenn sie sie in die Kleidertaschen Pfropfen. Wunderliche
Einbildung! Die Bücher werden dadurch nur verdorben, die Ecken werden stumpf,
die Deckel abgescheuert, Schlüssel oder Messer, die man daneben in der Tasche
trägt, schieben sich zwischen die Deckel und zerknittern die Blätter des Buches.
Die ganz unglaubliche Erfahrung endlich, daß Bücher bei schlechtem Wetter
ohne jeden Schutz (!) unterm Arme getragen wurden und total verdorben, mit
halbdurchweichten Deckeln auf die Bibliothek zurückgebracht wurden, habe ich
früher so oft gemacht, daß ich mich endlich genötigt sah, durch besondern An¬
schlag in der Bibliothek anzuordnen, daß bei nassem Wetter die Bücher nur
verpackt transportirt werden dürften. Die Maßregel erregte anfangs Zorn, auch
Gelächter. Und doch lag wahrlich kein Grund vor, weder darüber zu spotten,
noch sich darüber zu erbosen. Öffentlich aufgehängte Anstandsvorschriften sind
natürlich immer nur für diejenigen da, die sie nicht von selber befolgen. Die
Anordnung hat das Gute gehabt, daß ein großer Teil des Publikums die
Bücher jetzt überhaupt verpackt transportirt, und hat sicherlich so manchen
veranlaßt, auch bei der Benutzung die Bücher etwas mehr zu schonen als
früher.

Das Schlimme ist, daß das Publikum keinen Unterschied machen will zwischen
gewöhnlichen Leihanstalten und großen öffentlichen Bibliotheken. Und doch muß


Drei Antworten.

saubern Deckeln in das andre, aufgeschlagne hineinlegen. Diese Beobachtungen
kann man täglich in der Bibliothek selbst machen. Wie wird aber erst beim
Transport und bei der Benutzung zu Hause mit den geliehenen Büchern um¬
gegangen! Da werden mit Bleistift, selbst mit Tinte Striche am Rande und
zwischen die Zeilen gezogen, Bemerkungen hineingeschrieben, Ohren hineinge¬
brochen, Klexe hineingemacht; herauszuschlagende Tafeln und Karten werden
beim Entfalten regelmäßig zerrissen, dann ungeschickt geflickt und schief wieder
eingelegt; das Wasserglas, die Kaffeetasse, die Petroleumlampe wird darüber
geschüttet; Kinder geraten drüber und stellen ihre ersten Zeichenversuche drin
an; Messer, Scheere, Schlüssel, Lineal, Falzbein, Streichholz oder was sonst
gerade zur Hand ist, wird als Buchzeichen hineingeklemmt. Ein Glück, wenn
die Bücher noch auf diese Weise geschlossen werden. Sie werden aber auch auf¬
geschlagen mit dem Rücken nach oben gelegt, was ziemlich auf dasselbe hinaus¬
läuft, als wenn man den Tisch damit abwischte, oder sie bleiben wochenlang
mit denselben zwei Blättern aufgeschlagen auf dem Arbeitstische liegen. All¬
gemein verbreitet ist die Unsitte, die Bücher bei der Benutzung nicht einzuschlagen.
So kann es kommen, daß an einem neuen Bande, der zum erstenmale aus der
Bibliothek hinausgegeben wird, wenn er nach vier Wochen zurückkommt, die Eti¬
kette auf dem Rücken bereits so mit Schmutz überzogen ist, daß die Signatur
darauf kaum noch zu lesen ist. Derselbe Schmutz aber, der an der Etikette
klebt, bedeckt natürlich auch das ganze Buch, nur daß er dort weniger sichtbar
wird. Beim Transport glauben manche den Büchern eine besondre Schonung
angedeihen zu lassen, wenn sie sie in die Kleidertaschen Pfropfen. Wunderliche
Einbildung! Die Bücher werden dadurch nur verdorben, die Ecken werden stumpf,
die Deckel abgescheuert, Schlüssel oder Messer, die man daneben in der Tasche
trägt, schieben sich zwischen die Deckel und zerknittern die Blätter des Buches.
Die ganz unglaubliche Erfahrung endlich, daß Bücher bei schlechtem Wetter
ohne jeden Schutz (!) unterm Arme getragen wurden und total verdorben, mit
halbdurchweichten Deckeln auf die Bibliothek zurückgebracht wurden, habe ich
früher so oft gemacht, daß ich mich endlich genötigt sah, durch besondern An¬
schlag in der Bibliothek anzuordnen, daß bei nassem Wetter die Bücher nur
verpackt transportirt werden dürften. Die Maßregel erregte anfangs Zorn, auch
Gelächter. Und doch lag wahrlich kein Grund vor, weder darüber zu spotten,
noch sich darüber zu erbosen. Öffentlich aufgehängte Anstandsvorschriften sind
natürlich immer nur für diejenigen da, die sie nicht von selber befolgen. Die
Anordnung hat das Gute gehabt, daß ein großer Teil des Publikums die
Bücher jetzt überhaupt verpackt transportirt, und hat sicherlich so manchen
veranlaßt, auch bei der Benutzung die Bücher etwas mehr zu schonen als
früher.

Das Schlimme ist, daß das Publikum keinen Unterschied machen will zwischen
gewöhnlichen Leihanstalten und großen öffentlichen Bibliotheken. Und doch muß


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[0362] Drei Antworten. saubern Deckeln in das andre, aufgeschlagne hineinlegen. Diese Beobachtungen kann man täglich in der Bibliothek selbst machen. Wie wird aber erst beim Transport und bei der Benutzung zu Hause mit den geliehenen Büchern um¬ gegangen! Da werden mit Bleistift, selbst mit Tinte Striche am Rande und zwischen die Zeilen gezogen, Bemerkungen hineingeschrieben, Ohren hineinge¬ brochen, Klexe hineingemacht; herauszuschlagende Tafeln und Karten werden beim Entfalten regelmäßig zerrissen, dann ungeschickt geflickt und schief wieder eingelegt; das Wasserglas, die Kaffeetasse, die Petroleumlampe wird darüber geschüttet; Kinder geraten drüber und stellen ihre ersten Zeichenversuche drin an; Messer, Scheere, Schlüssel, Lineal, Falzbein, Streichholz oder was sonst gerade zur Hand ist, wird als Buchzeichen hineingeklemmt. Ein Glück, wenn die Bücher noch auf diese Weise geschlossen werden. Sie werden aber auch auf¬ geschlagen mit dem Rücken nach oben gelegt, was ziemlich auf dasselbe hinaus¬ läuft, als wenn man den Tisch damit abwischte, oder sie bleiben wochenlang mit denselben zwei Blättern aufgeschlagen auf dem Arbeitstische liegen. All¬ gemein verbreitet ist die Unsitte, die Bücher bei der Benutzung nicht einzuschlagen. So kann es kommen, daß an einem neuen Bande, der zum erstenmale aus der Bibliothek hinausgegeben wird, wenn er nach vier Wochen zurückkommt, die Eti¬ kette auf dem Rücken bereits so mit Schmutz überzogen ist, daß die Signatur darauf kaum noch zu lesen ist. Derselbe Schmutz aber, der an der Etikette klebt, bedeckt natürlich auch das ganze Buch, nur daß er dort weniger sichtbar wird. Beim Transport glauben manche den Büchern eine besondre Schonung angedeihen zu lassen, wenn sie sie in die Kleidertaschen Pfropfen. Wunderliche Einbildung! Die Bücher werden dadurch nur verdorben, die Ecken werden stumpf, die Deckel abgescheuert, Schlüssel oder Messer, die man daneben in der Tasche trägt, schieben sich zwischen die Deckel und zerknittern die Blätter des Buches. Die ganz unglaubliche Erfahrung endlich, daß Bücher bei schlechtem Wetter ohne jeden Schutz (!) unterm Arme getragen wurden und total verdorben, mit halbdurchweichten Deckeln auf die Bibliothek zurückgebracht wurden, habe ich früher so oft gemacht, daß ich mich endlich genötigt sah, durch besondern An¬ schlag in der Bibliothek anzuordnen, daß bei nassem Wetter die Bücher nur verpackt transportirt werden dürften. Die Maßregel erregte anfangs Zorn, auch Gelächter. Und doch lag wahrlich kein Grund vor, weder darüber zu spotten, noch sich darüber zu erbosen. Öffentlich aufgehängte Anstandsvorschriften sind natürlich immer nur für diejenigen da, die sie nicht von selber befolgen. Die Anordnung hat das Gute gehabt, daß ein großer Teil des Publikums die Bücher jetzt überhaupt verpackt transportirt, und hat sicherlich so manchen veranlaßt, auch bei der Benutzung die Bücher etwas mehr zu schonen als früher. Das Schlimme ist, daß das Publikum keinen Unterschied machen will zwischen gewöhnlichen Leihanstalten und großen öffentlichen Bibliotheken. Und doch muß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/362>, abgerufen am 22.07.2024.