Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Grafen von Altenschwerdt.

Rechte handelte. Er hatte der Mutter sein Wort gegeben, den Namen des
Vaters zu schonen, und das wollte er halten. In diesem Gedanken wurde seine
Seele wieder ruhig, und es erfüllte ihn das Vertrauen, daß eine gütige Vorsehung,
deren Wege unbegreiflich sind, über dem guten Menschen fürsorglich wache.

Hütte Eberhardt in die letzte Tiefe seines Herzens hinabsteigen, hätte er
alle jene feinen Fäden der Jdeenverbindungen lösen können, die in der Menschen-
brust fast unentwirrbar sich schlingen und die Erkenntnis der eignen Natur so
schwer und wohl unmöglich machen, so würde er noch auf eine andre Entdeckung
gestoßen sein. Das Festhalten an seinen Grundsätzen und das Vertrauen auf
die Vorsehung wurden ihm durch seinen Stolz erleichtert. War es nicht der
höchste Triumph, wen" Dorothecns Liebe über alle Hindernisse lediglich durch
Liebe siegte? War es uicht der höchste Triumph, wenn er als Bürgerlicher,
als unbekannter Maler die Hand der durch Geburt und Vermögen hochgestellten
Dame errang? Wenn er sich vorstellte, daß dieses schöne Mädchen, deren
energischen Geist er schon in den feinen, ideal gezogenen und in kühnen Linien
hervortretenden Gesichtszügen ausgeprägt fand, ihm zu Liebe alle Vorurteile der
Welt überwand, so schwebte das stolze Lächeln des Siegers um seine Lippen.

Eberhardt konnte die anhaltende Abwesenheit von dem Orte seines Glückes
uicht ertragen, und da er Schloß Eichhausen selbst auf Dorothecns Bitte für
jetzt nicht besuchen wollte, gedachte er seine Seele wenigstens im Anblick der
ihm teuer gewordenen Behausung des Grafen zu weiden. Der Graf hatte ihm
ja erlaubt, an einem Vormittage die Ansicht vom Thurme aus aufzunehmen,
sein Zögern, dieser Erlaubnis nachzukommen, hatte ihn heute zu der spätern
Stunde erst hergeführt, die, in Rücksicht ans die Beleuchtung, fast zu spät war,
und um fügte das freundliche Geschick es so, daß er Dorothea selbst zu Ge¬
sicht bekam.

Er kam, das Skizzenbuch unterm Arme tragend, langsam herangeschritten
und bemühte sich, eine ruhige Haltung zu bewahren, während doch sein Herz
hoch schlug und seine Augen vor Freude strahlte". Dorothea erwartete ihn
mit ganz derselben Empfindung. Sie war glücklich darüber, daß der Zufall
ihre Absicht durchkreuzte, ihre Absicht, den Geliebten aus Rücksicht auf den
Scharfblick und die Feindschaft der Gräfin fernzuhalten.

Wohl war keine Möglichkeit vorhanden, den wahren Gefühlen Ausdruck zu
geben lind in innigen Worten dem überwallenden Ströme der Gedanken Luft
zu machen, sondern die Anwesenheit Dietrichs nötigte zu einer gesetzten Unter¬
haltung über gleichgiltige Dinge, nötigte sogar zu sorgfältiger Überwachung der
Blicke, aber es war doch schon eine Seligkeit, die Nähe des Geliebten zu spüren,
dieselbe Luft zu atmen und das Bild im Herzen durch die Wirklichkeit zu er¬
neuern.

Freilich nur für sehr kurze Zeit. Auch Gräfin Sibylle hatte von oben,
vom Fenster aus, die Ankunft Eberhardts bemerkt. Sie hatte sich auf der


Die Grafen von Altenschwerdt.

Rechte handelte. Er hatte der Mutter sein Wort gegeben, den Namen des
Vaters zu schonen, und das wollte er halten. In diesem Gedanken wurde seine
Seele wieder ruhig, und es erfüllte ihn das Vertrauen, daß eine gütige Vorsehung,
deren Wege unbegreiflich sind, über dem guten Menschen fürsorglich wache.

Hütte Eberhardt in die letzte Tiefe seines Herzens hinabsteigen, hätte er
alle jene feinen Fäden der Jdeenverbindungen lösen können, die in der Menschen-
brust fast unentwirrbar sich schlingen und die Erkenntnis der eignen Natur so
schwer und wohl unmöglich machen, so würde er noch auf eine andre Entdeckung
gestoßen sein. Das Festhalten an seinen Grundsätzen und das Vertrauen auf
die Vorsehung wurden ihm durch seinen Stolz erleichtert. War es nicht der
höchste Triumph, wen» Dorothecns Liebe über alle Hindernisse lediglich durch
Liebe siegte? War es uicht der höchste Triumph, wenn er als Bürgerlicher,
als unbekannter Maler die Hand der durch Geburt und Vermögen hochgestellten
Dame errang? Wenn er sich vorstellte, daß dieses schöne Mädchen, deren
energischen Geist er schon in den feinen, ideal gezogenen und in kühnen Linien
hervortretenden Gesichtszügen ausgeprägt fand, ihm zu Liebe alle Vorurteile der
Welt überwand, so schwebte das stolze Lächeln des Siegers um seine Lippen.

Eberhardt konnte die anhaltende Abwesenheit von dem Orte seines Glückes
uicht ertragen, und da er Schloß Eichhausen selbst auf Dorothecns Bitte für
jetzt nicht besuchen wollte, gedachte er seine Seele wenigstens im Anblick der
ihm teuer gewordenen Behausung des Grafen zu weiden. Der Graf hatte ihm
ja erlaubt, an einem Vormittage die Ansicht vom Thurme aus aufzunehmen,
sein Zögern, dieser Erlaubnis nachzukommen, hatte ihn heute zu der spätern
Stunde erst hergeführt, die, in Rücksicht ans die Beleuchtung, fast zu spät war,
und um fügte das freundliche Geschick es so, daß er Dorothea selbst zu Ge¬
sicht bekam.

Er kam, das Skizzenbuch unterm Arme tragend, langsam herangeschritten
und bemühte sich, eine ruhige Haltung zu bewahren, während doch sein Herz
hoch schlug und seine Augen vor Freude strahlte». Dorothea erwartete ihn
mit ganz derselben Empfindung. Sie war glücklich darüber, daß der Zufall
ihre Absicht durchkreuzte, ihre Absicht, den Geliebten aus Rücksicht auf den
Scharfblick und die Feindschaft der Gräfin fernzuhalten.

Wohl war keine Möglichkeit vorhanden, den wahren Gefühlen Ausdruck zu
geben lind in innigen Worten dem überwallenden Ströme der Gedanken Luft
zu machen, sondern die Anwesenheit Dietrichs nötigte zu einer gesetzten Unter¬
haltung über gleichgiltige Dinge, nötigte sogar zu sorgfältiger Überwachung der
Blicke, aber es war doch schon eine Seligkeit, die Nähe des Geliebten zu spüren,
dieselbe Luft zu atmen und das Bild im Herzen durch die Wirklichkeit zu er¬
neuern.

Freilich nur für sehr kurze Zeit. Auch Gräfin Sibylle hatte von oben,
vom Fenster aus, die Ankunft Eberhardts bemerkt. Sie hatte sich auf der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153068"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Grafen von Altenschwerdt.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1256" prev="#ID_1255"> Rechte handelte. Er hatte der Mutter sein Wort gegeben, den Namen des<lb/>
Vaters zu schonen, und das wollte er halten. In diesem Gedanken wurde seine<lb/>
Seele wieder ruhig, und es erfüllte ihn das Vertrauen, daß eine gütige Vorsehung,<lb/>
deren Wege unbegreiflich sind, über dem guten Menschen fürsorglich wache.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1257"> Hütte Eberhardt in die letzte Tiefe seines Herzens hinabsteigen, hätte er<lb/>
alle jene feinen Fäden der Jdeenverbindungen lösen können, die in der Menschen-<lb/>
brust fast unentwirrbar sich schlingen und die Erkenntnis der eignen Natur so<lb/>
schwer und wohl unmöglich machen, so würde er noch auf eine andre Entdeckung<lb/>
gestoßen sein. Das Festhalten an seinen Grundsätzen und das Vertrauen auf<lb/>
die Vorsehung wurden ihm durch seinen Stolz erleichtert. War es nicht der<lb/>
höchste Triumph, wen» Dorothecns Liebe über alle Hindernisse lediglich durch<lb/>
Liebe siegte? War es uicht der höchste Triumph, wenn er als Bürgerlicher,<lb/>
als unbekannter Maler die Hand der durch Geburt und Vermögen hochgestellten<lb/>
Dame errang? Wenn er sich vorstellte, daß dieses schöne Mädchen, deren<lb/>
energischen Geist er schon in den feinen, ideal gezogenen und in kühnen Linien<lb/>
hervortretenden Gesichtszügen ausgeprägt fand, ihm zu Liebe alle Vorurteile der<lb/>
Welt überwand, so schwebte das stolze Lächeln des Siegers um seine Lippen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1258"> Eberhardt konnte die anhaltende Abwesenheit von dem Orte seines Glückes<lb/>
uicht ertragen, und da er Schloß Eichhausen selbst auf Dorothecns Bitte für<lb/>
jetzt nicht besuchen wollte, gedachte er seine Seele wenigstens im Anblick der<lb/>
ihm teuer gewordenen Behausung des Grafen zu weiden. Der Graf hatte ihm<lb/>
ja erlaubt, an einem Vormittage die Ansicht vom Thurme aus aufzunehmen,<lb/>
sein Zögern, dieser Erlaubnis nachzukommen, hatte ihn heute zu der spätern<lb/>
Stunde erst hergeführt, die, in Rücksicht ans die Beleuchtung, fast zu spät war,<lb/>
und um fügte das freundliche Geschick es so, daß er Dorothea selbst zu Ge¬<lb/>
sicht bekam.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1259"> Er kam, das Skizzenbuch unterm Arme tragend, langsam herangeschritten<lb/>
und bemühte sich, eine ruhige Haltung zu bewahren, während doch sein Herz<lb/>
hoch schlug und seine Augen vor Freude strahlte». Dorothea erwartete ihn<lb/>
mit ganz derselben Empfindung. Sie war glücklich darüber, daß der Zufall<lb/>
ihre Absicht durchkreuzte, ihre Absicht, den Geliebten aus Rücksicht auf den<lb/>
Scharfblick und die Feindschaft der Gräfin fernzuhalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1260"> Wohl war keine Möglichkeit vorhanden, den wahren Gefühlen Ausdruck zu<lb/>
geben lind in innigen Worten dem überwallenden Ströme der Gedanken Luft<lb/>
zu machen, sondern die Anwesenheit Dietrichs nötigte zu einer gesetzten Unter¬<lb/>
haltung über gleichgiltige Dinge, nötigte sogar zu sorgfältiger Überwachung der<lb/>
Blicke, aber es war doch schon eine Seligkeit, die Nähe des Geliebten zu spüren,<lb/>
dieselbe Luft zu atmen und das Bild im Herzen durch die Wirklichkeit zu er¬<lb/>
neuern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1261" next="#ID_1262"> Freilich nur für sehr kurze Zeit. Auch Gräfin Sibylle hatte von oben,<lb/>
vom Fenster aus, die Ankunft Eberhardts bemerkt.  Sie hatte sich auf der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0319] Die Grafen von Altenschwerdt. Rechte handelte. Er hatte der Mutter sein Wort gegeben, den Namen des Vaters zu schonen, und das wollte er halten. In diesem Gedanken wurde seine Seele wieder ruhig, und es erfüllte ihn das Vertrauen, daß eine gütige Vorsehung, deren Wege unbegreiflich sind, über dem guten Menschen fürsorglich wache. Hütte Eberhardt in die letzte Tiefe seines Herzens hinabsteigen, hätte er alle jene feinen Fäden der Jdeenverbindungen lösen können, die in der Menschen- brust fast unentwirrbar sich schlingen und die Erkenntnis der eignen Natur so schwer und wohl unmöglich machen, so würde er noch auf eine andre Entdeckung gestoßen sein. Das Festhalten an seinen Grundsätzen und das Vertrauen auf die Vorsehung wurden ihm durch seinen Stolz erleichtert. War es nicht der höchste Triumph, wen» Dorothecns Liebe über alle Hindernisse lediglich durch Liebe siegte? War es uicht der höchste Triumph, wenn er als Bürgerlicher, als unbekannter Maler die Hand der durch Geburt und Vermögen hochgestellten Dame errang? Wenn er sich vorstellte, daß dieses schöne Mädchen, deren energischen Geist er schon in den feinen, ideal gezogenen und in kühnen Linien hervortretenden Gesichtszügen ausgeprägt fand, ihm zu Liebe alle Vorurteile der Welt überwand, so schwebte das stolze Lächeln des Siegers um seine Lippen. Eberhardt konnte die anhaltende Abwesenheit von dem Orte seines Glückes uicht ertragen, und da er Schloß Eichhausen selbst auf Dorothecns Bitte für jetzt nicht besuchen wollte, gedachte er seine Seele wenigstens im Anblick der ihm teuer gewordenen Behausung des Grafen zu weiden. Der Graf hatte ihm ja erlaubt, an einem Vormittage die Ansicht vom Thurme aus aufzunehmen, sein Zögern, dieser Erlaubnis nachzukommen, hatte ihn heute zu der spätern Stunde erst hergeführt, die, in Rücksicht ans die Beleuchtung, fast zu spät war, und um fügte das freundliche Geschick es so, daß er Dorothea selbst zu Ge¬ sicht bekam. Er kam, das Skizzenbuch unterm Arme tragend, langsam herangeschritten und bemühte sich, eine ruhige Haltung zu bewahren, während doch sein Herz hoch schlug und seine Augen vor Freude strahlte». Dorothea erwartete ihn mit ganz derselben Empfindung. Sie war glücklich darüber, daß der Zufall ihre Absicht durchkreuzte, ihre Absicht, den Geliebten aus Rücksicht auf den Scharfblick und die Feindschaft der Gräfin fernzuhalten. Wohl war keine Möglichkeit vorhanden, den wahren Gefühlen Ausdruck zu geben lind in innigen Worten dem überwallenden Ströme der Gedanken Luft zu machen, sondern die Anwesenheit Dietrichs nötigte zu einer gesetzten Unter¬ haltung über gleichgiltige Dinge, nötigte sogar zu sorgfältiger Überwachung der Blicke, aber es war doch schon eine Seligkeit, die Nähe des Geliebten zu spüren, dieselbe Luft zu atmen und das Bild im Herzen durch die Wirklichkeit zu er¬ neuern. Freilich nur für sehr kurze Zeit. Auch Gräfin Sibylle hatte von oben, vom Fenster aus, die Ankunft Eberhardts bemerkt. Sie hatte sich auf der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/319
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/319>, abgerufen am 03.07.2024.