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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Oomxejamschc Spaziergänge.

sind, und er kann unmöglich glauben, daß es um die Kunst wirklich so ver¬
zweifelt schlecht gestanden habe, wie Plinius und Petromus behaupten. Alles
aber erklärt sich, wenn wir uus erinnern, daß diese reizenden Malereien nur
Kopien sind; sie besitzen nicht das Verdienst der Erfindung, und in dieser besteht
doch nach Petromus und Plinius, die ihre Ehre darein setzten, Klassiker zu sein,
vor allem die Größe der Malerei. Da sie nicht mehr selbständig schaffen kann
und nur "och von der Nachahmung lebt, kommt sie ihnen wie tot vor. Daher
ihre Strenge.

Wir Heutigen nehmen eine andre Stellung zu der Sache ein. Die Vor¬
bilder sind heute nicht mehr vorhanden, und so kann kein Vergleich mit ihnen
den Nachahmungen schaden. Wir steigen nicht mehr von den Originalen zu den
Kopien nieder, was für diese immer sehr gefährlich ist; im Gegenteil: lediglich
den Kopien verdanken wir es, daß wir zu den verlorenen Originalen aufsteigen
und uns eine Vorstellung machen können, was diese einst gewesen. Dieser Dienst,
den sie uns leisten, stimmt uns günstig für sie. Weit entfernt, uns darüber
zu beklagen, daß die pompejanischen Künstler keine genialen Erfinder sind, möchten
wir ihnen eher dafür danken, daß sie fast nichts Eigenes zu Tage gefördert haben.
Gerade durch ihre Beschränkung auf die Reproduktiv" fremder Erfindungen ver¬
setzen sie, uns in jene großen Zeiten der antiken Kunst, welche wir ohne sie
nicht kennen würden.

Welches Jahrhundert ist es nun eigentlich, dem die Künstler von Pompeji
ihre Muster eutncihmeu? Können wir überhaupt genauer feststellen, welcher
geschichtlichen Epoche, welcher Periode der Kunst die Meister angehörten, aus
deren Werken jene Epigonen ihre Anregungen schöpften?

Zunächst -- haben sich diese überhaupt darauf beschränkt, die Gemälde
eiuer einzigen Schule zu kopiren? Gehörte" sie nicht vielmehr zu jenen Eklek¬
tikern, die das Gute so ziemlich überall nehmen, wo sie es finden, und die Werke
aller Zeiten wiedergeben? -- Unzweifelhaft haben sie dies manchmal gethan.
Es finden sich bei ihnen Arbeiten, die von der großen Menge der übrigen ab¬
weichen und offenbar aus ihrer gewöhnlichen Manier herausfallen. Dieser Art
ist z. B. das berühmte Bild des Opfers der Jphigeneia, eins der schönsten, die
u> Pompeji entdeckt wurden, und -- el" seltenes Glück -- anch eins der best¬
erhaltenen. In der Mitte tragen Odysseus und Diomedes die Jphigeneia, welche
die Arme weinend gen Himmel streckt, zum Altare. Links bedeckt Agamemnon
sein Antlitz, um den Tod der Tochter nicht zu sehen. Rechts steht Kalchas,
das Schwert in der Hand, traurig sinnend, doch bereit, das grausame Opfer
M vollstrecken. Oben erscheint Artemis in leichtem Gewölk mit der an Stelle
der Jungfrau zu opfernden Hirschkuh. Helbig, ein kundiger Beurteiler auf diesem
Gebiete, ist der Meinung, daß die so regelmäßige Anordnung des Bildes, die
Symmetrie in der Verteilung der Figuren, die Farbe des Hintergrundes, die Be¬
handlung des Faltenwnrfs der Gewänder an eine Kunstentwicklung von verhcilt-


Ärenzbolen II. 188-Z, "g
Oomxejamschc Spaziergänge.

sind, und er kann unmöglich glauben, daß es um die Kunst wirklich so ver¬
zweifelt schlecht gestanden habe, wie Plinius und Petromus behaupten. Alles
aber erklärt sich, wenn wir uus erinnern, daß diese reizenden Malereien nur
Kopien sind; sie besitzen nicht das Verdienst der Erfindung, und in dieser besteht
doch nach Petromus und Plinius, die ihre Ehre darein setzten, Klassiker zu sein,
vor allem die Größe der Malerei. Da sie nicht mehr selbständig schaffen kann
und nur »och von der Nachahmung lebt, kommt sie ihnen wie tot vor. Daher
ihre Strenge.

Wir Heutigen nehmen eine andre Stellung zu der Sache ein. Die Vor¬
bilder sind heute nicht mehr vorhanden, und so kann kein Vergleich mit ihnen
den Nachahmungen schaden. Wir steigen nicht mehr von den Originalen zu den
Kopien nieder, was für diese immer sehr gefährlich ist; im Gegenteil: lediglich
den Kopien verdanken wir es, daß wir zu den verlorenen Originalen aufsteigen
und uns eine Vorstellung machen können, was diese einst gewesen. Dieser Dienst,
den sie uns leisten, stimmt uns günstig für sie. Weit entfernt, uns darüber
zu beklagen, daß die pompejanischen Künstler keine genialen Erfinder sind, möchten
wir ihnen eher dafür danken, daß sie fast nichts Eigenes zu Tage gefördert haben.
Gerade durch ihre Beschränkung auf die Reproduktiv» fremder Erfindungen ver¬
setzen sie, uns in jene großen Zeiten der antiken Kunst, welche wir ohne sie
nicht kennen würden.

Welches Jahrhundert ist es nun eigentlich, dem die Künstler von Pompeji
ihre Muster eutncihmeu? Können wir überhaupt genauer feststellen, welcher
geschichtlichen Epoche, welcher Periode der Kunst die Meister angehörten, aus
deren Werken jene Epigonen ihre Anregungen schöpften?

Zunächst — haben sich diese überhaupt darauf beschränkt, die Gemälde
eiuer einzigen Schule zu kopiren? Gehörte» sie nicht vielmehr zu jenen Eklek¬
tikern, die das Gute so ziemlich überall nehmen, wo sie es finden, und die Werke
aller Zeiten wiedergeben? — Unzweifelhaft haben sie dies manchmal gethan.
Es finden sich bei ihnen Arbeiten, die von der großen Menge der übrigen ab¬
weichen und offenbar aus ihrer gewöhnlichen Manier herausfallen. Dieser Art
ist z. B. das berühmte Bild des Opfers der Jphigeneia, eins der schönsten, die
u> Pompeji entdeckt wurden, und — el» seltenes Glück — anch eins der best¬
erhaltenen. In der Mitte tragen Odysseus und Diomedes die Jphigeneia, welche
die Arme weinend gen Himmel streckt, zum Altare. Links bedeckt Agamemnon
sein Antlitz, um den Tod der Tochter nicht zu sehen. Rechts steht Kalchas,
das Schwert in der Hand, traurig sinnend, doch bereit, das grausame Opfer
M vollstrecken. Oben erscheint Artemis in leichtem Gewölk mit der an Stelle
der Jungfrau zu opfernden Hirschkuh. Helbig, ein kundiger Beurteiler auf diesem
Gebiete, ist der Meinung, daß die so regelmäßige Anordnung des Bildes, die
Symmetrie in der Verteilung der Figuren, die Farbe des Hintergrundes, die Be¬
handlung des Faltenwnrfs der Gewänder an eine Kunstentwicklung von verhcilt-


Ärenzbolen II. 188-Z, »g
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[0305] Oomxejamschc Spaziergänge. sind, und er kann unmöglich glauben, daß es um die Kunst wirklich so ver¬ zweifelt schlecht gestanden habe, wie Plinius und Petromus behaupten. Alles aber erklärt sich, wenn wir uus erinnern, daß diese reizenden Malereien nur Kopien sind; sie besitzen nicht das Verdienst der Erfindung, und in dieser besteht doch nach Petromus und Plinius, die ihre Ehre darein setzten, Klassiker zu sein, vor allem die Größe der Malerei. Da sie nicht mehr selbständig schaffen kann und nur »och von der Nachahmung lebt, kommt sie ihnen wie tot vor. Daher ihre Strenge. Wir Heutigen nehmen eine andre Stellung zu der Sache ein. Die Vor¬ bilder sind heute nicht mehr vorhanden, und so kann kein Vergleich mit ihnen den Nachahmungen schaden. Wir steigen nicht mehr von den Originalen zu den Kopien nieder, was für diese immer sehr gefährlich ist; im Gegenteil: lediglich den Kopien verdanken wir es, daß wir zu den verlorenen Originalen aufsteigen und uns eine Vorstellung machen können, was diese einst gewesen. Dieser Dienst, den sie uns leisten, stimmt uns günstig für sie. Weit entfernt, uns darüber zu beklagen, daß die pompejanischen Künstler keine genialen Erfinder sind, möchten wir ihnen eher dafür danken, daß sie fast nichts Eigenes zu Tage gefördert haben. Gerade durch ihre Beschränkung auf die Reproduktiv» fremder Erfindungen ver¬ setzen sie, uns in jene großen Zeiten der antiken Kunst, welche wir ohne sie nicht kennen würden. Welches Jahrhundert ist es nun eigentlich, dem die Künstler von Pompeji ihre Muster eutncihmeu? Können wir überhaupt genauer feststellen, welcher geschichtlichen Epoche, welcher Periode der Kunst die Meister angehörten, aus deren Werken jene Epigonen ihre Anregungen schöpften? Zunächst — haben sich diese überhaupt darauf beschränkt, die Gemälde eiuer einzigen Schule zu kopiren? Gehörte» sie nicht vielmehr zu jenen Eklek¬ tikern, die das Gute so ziemlich überall nehmen, wo sie es finden, und die Werke aller Zeiten wiedergeben? — Unzweifelhaft haben sie dies manchmal gethan. Es finden sich bei ihnen Arbeiten, die von der großen Menge der übrigen ab¬ weichen und offenbar aus ihrer gewöhnlichen Manier herausfallen. Dieser Art ist z. B. das berühmte Bild des Opfers der Jphigeneia, eins der schönsten, die u> Pompeji entdeckt wurden, und — el» seltenes Glück — anch eins der best¬ erhaltenen. In der Mitte tragen Odysseus und Diomedes die Jphigeneia, welche die Arme weinend gen Himmel streckt, zum Altare. Links bedeckt Agamemnon sein Antlitz, um den Tod der Tochter nicht zu sehen. Rechts steht Kalchas, das Schwert in der Hand, traurig sinnend, doch bereit, das grausame Opfer M vollstrecken. Oben erscheint Artemis in leichtem Gewölk mit der an Stelle der Jungfrau zu opfernden Hirschkuh. Helbig, ein kundiger Beurteiler auf diesem Gebiete, ist der Meinung, daß die so regelmäßige Anordnung des Bildes, die Symmetrie in der Verteilung der Figuren, die Farbe des Hintergrundes, die Be¬ handlung des Faltenwnrfs der Gewänder an eine Kunstentwicklung von verhcilt- Ärenzbolen II. 188-Z, »g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/305>, abgerufen am 03.07.2024.